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Sigrid Evelyn Nikutta, 55, wurde geboren in Polen; sie hat vier Kinder und wohnt in Biesdorf. Seit Oktober 2010 ist sie BVG-Chefin. Ihr Jahresgehalt beträgt gut 430 000 Euro. Zuvor arbeitete Nikutta bei der Bahn.

© Wolfgang Kumm/dpa

BVG-Chefin Sigrid Nikutta im Interview: "Wir können die Zukunft der Mobilität planen"

BVG-Chefin Sigrid Nikutta blickt noch einmal aufs Jahr zurück und wagt einen Ausblick für 2015. Ein Gespräch über 500-Euro-Einmalzahlungen, marode Züge und futuristische Zahnbürsten.

Frau Nikutta, wie war das Jahr 2014 für die BVG?

Emotionaler geht es kaum. Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr schaffen werden, was wir uns erst für 2016 vorgenommen hatten: Die schwarze Null. Wir werden ein ausgeglichenes Ergebnis schaffen, was eine wahnsinnig gute Teamleistung ist. Und wir können endlich anfangen, unsere Schulden etwas zu reduzieren.

Sie haben auch Kredite getilgt? Die Schulden lagen zuletzt doch bei rund 800 Millionen Euro.

Ja, auch das haben wir geschafft. Und das müssen wir auch, denn trotz der niedrigen Zinssätze zahlen wir allein im Jahr 2014 rund 23 Millionen Euro Zinsen.

Haben Sie dafür gespart, bis es quietschte?

Nein. Unsere Investitionen sind unverändert hoch geblieben, das müssen sie auch, sonst würden wir unsere Infrastruktur nicht pflegen. Natürlich sind wir sparsam, aber mit Vernunft. Wir haben die Einnahmen steigern können, weil wir auch 2014 wieder mehr Fahrgäste hatten. Mit rund 970 Millionen Fahrten haben wir auch hier einen Rekord aufgestellt. Und auch die Kosten haben wir – trotz aller Widrigkeiten – konstant halten können. Allein die Umlage aus dem Erneuerbaren-Energie-Gesetz kostet uns zweieinhalb Millionen Euro im Jahr. Wir gehen trotzdem davon aus, dass wir auch in den kommenden Jahren die schwarze Null halten werden.

Müssen dafür auch regelmäßig die Fahrpreise steigen?

Unsere Busse und Bahnen fahren mit Strom und Diesel. 173 U-Bahnhöfe, hunderte Kilometer Gleise und Tunnel einschließlich der dazugehörigen Technik für Steuerung und Sicherheit müssen erhalten werden. Diese Kostensteigerungen müssen – genau wie bei den Betriebskosten Ihrer Wohnung – umgelegt werden. Deshalb ist es sehr sinnvoll, einen Index zu haben, der dieses abbildet. Jetzt gibt es eine objektive Grundlage für Preisanpassungen in der Zukunft. Genauso wie die übrige Teuerungsrate werden sich dann auch die Preise im Nahverkehr entwickeln. Das ist klar, berechenbar und transparent.

Ihren Mitarbeitern gegenüber waren Sie großzügig und haben ihnen einen üppigen Tarifabschluss spendiert.

Fairness gegenüber unseren Mitarbeitern ist für mich ein sehr hohes Gut und so bin ich sehr froh, dass wir einen sehr fairen Tarifabschluss vereinbart haben. 2015 bekommt jeder Mitarbeiter der BVG drei Prozent mehr. Und weil jeder merken soll, dass es sich lohnt, sich anzustrengen, gab es dazu zum Ende dieses Jahres eine Einmalzahlung in Höhe von 500 Euro für jeden Mitarbeiter. Schließlich haben wir nur dank ihres Engagements die schwarze Null erreicht.

Berlin ist eine wachsende Stadt. Wächst auch die BVG mit?

Ja. Wir stellen zum Beispiel mehr Fahrer ein. Allein beim Bus schaffen wir 100 zusätzliche Stellen. Und ich freue mich, dass vor wenigen Tagen eine Gruppe von 40 Frauen ihre Prüfungen bestanden hat und nun unser Team verstärkt. Aber auch bei der Straßen- und der U-Bahn stellen wir zusätzliche Fahrer ein.

Für mehr Verkehr brauchen Sie aber auch mehr Fahrzeuge.

Deshalb laufen jetzt auch die politischen Diskussionen in der Stadt. Bei einem Durchschnittsalter von 26 Jahren bei den breiten Großprofilzügen der U-Bahn und sogar 28 Jahren bei den schmaleren Kleinprofilwagen wissen wir schon lange, dass wir neue Fahrzeuge brauchen. Wir müssten mehr fahren, können es aber nicht, weil Fahrzeuge fehlen. Fürs Kleinprofil läuft ein Beschaffungsprogramm. Den ersten Testzug werden wir wohl im Februar erhalten. Und fürs Großprofil arbeiten wir mit Hochdruck an einem neuen Modell. Die Herausforderung ist aber die Finanzierung.

Mit welchen Kosten rechnen Sie?

Bis 2033 müssen wir 60 Prozent der U-Bahnen und die Hälfte der Straßenbahnflotte ersetzen. Nach heutigem Stand würde das etwa 2,6 Milliarden Euro kosten. Aufs Jahr gerechnet sind dies rund 170 Millionen Euro. Darüber müssen wir mit dem Senat diskutieren. Aber es gibt keine Alternative. Neue Fahrzeuge müssen her – wir holen alles, was möglich ist aus den alten heraus, aber irgendwann geht es nicht mehr.

"In der BVG gibt es so gut wie kein S-Bahn-Know-How mehr"

Müssen Sie auch neue Strecken bauen?

Es ist sehr ermutigend, dass sich im Moment so viele Menschen Gedanken über neue Strecken machen. Aber erst einmal müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Die Frage ist doch: Womit befahren wir unsere bisherigen Strecken? Und hier sind wir wieder beim Dilemma mit den alten Fahrzeugen. Sie sind anfällig, gehen öfter kaputt und dann fahren leider Züge mit weniger Wagen als vorgesehen und die sind dann rappelvoll. Dazu kommen leider auch noch die Wagen, die wir wegen Vandalismusschäden in die Werkstätten bringen müssen. Wir ertüchtigen ja unsere Altbauzüge – die Serien aus den Jahren 1974 und 1976 sind noch mal für 20 Jahre fit gemacht worden. Aber schon ab dem Baujahr 1979 gibt es Probleme.

Warum?

Das liegt an der damaligen Leichtbauweise. Auf der einen Seite wollte man Gewicht und damit Energiekosten einsparen. Auf der anderen Seite zeigt sich heute, dass die Wagenkästen so viele Schäden aufweisen, dass sich so eine aufwendige Reparatur kaum noch lohnt. Die Wagenkästen sind aus Aluminium und nicht mehr überholbar. Eine Reparatur lohnt sich einfach nicht mehr. Und wenn der Aufwand so steigt, ist es eindeutig wirtschaftlicher, neue Züge zu beschaffen, die ja dann auch wartungsärmer sind.

Und so die Werkstätten entlasten. Fehlt Ihnen auch dort Personal? Schließlich müssen Sie Züge bereits in Leipzig sanieren lassen.

Wir haben in den letzten Jahren besonders in den Werkstätten Mitarbeiter eingestellt. Wir müssen aber auch die Organisation umstellen. Wir müssen deutlich mehr arbeiten, wenn weniger Züge für den Betrieb gebraucht werden; also nachts und an den Wochenenden. Das machen wir natürlich heute schon, aber das müssen wir noch mehr ausbauen. Das ist für viele Mitarbeiter ungewohnt und verlangt viel Überzeugungsarbeit von uns.

Beim Bus sieht es besser aus. Sie wollen jetzt auch neue Doppeldecker anschaffen. Wann wird es so weit sein?

Der Probebus von Scania soll noch im Januar kommen. Das VDL-Modell soll dann im April oder Mai kommen.

Schwerer tun Sie sich mit dem Elektrobus, dessen Batterie berührungslos gespeist wird – wie bei einer elektrischen Zahnbürste. Braunschweig und Mannheim sind schon beim Testen. Warum hinkt Berlin hier wieder hinterher?

Bitte keine Vergleiche – in der Innenstadt der Hauptstadt ist das eine besondere Herausforderung. Wir haben aber auch eine kompliziertere Linie gewählt, die die beiden Bahnhöfe Zoo und Südkreuz mitten durch die Stadt verbindet. Im nächsten Sommer wird es so weit sein.

An der Spitze des Fortschritts steht die BVG aber ohnehin nicht mehr. Warum gibt es keine solchen Projekte mehr wie den Versuch mit der fahrerlosen U-Bahn, wo die BVG führend war?

Der Versuch, mich hier an der Ehre zu packen, schlägt fehl. Die BVG ist ein Verkehrs- und kein Forschungsunternehmen. Forschungsprojekte sind sehr teuer. Und wir geben das Geld lieber dort aus, wo wir es dringender brauchen. Wenn eine neue Technik ausgereift ist, übernehmen wir sie gern.

Würden Sie auch gern die S-Bahn übernehmen?

Ein klares Nein. Es gibt Geschenke, die man nicht so gerne annimmt. Die S-Bahn gehört mit Sicherheit dazu. Wir wollen sie nicht übernehmen.

Geschenke kann man manchmal aber auch nicht ablehnen.

Die BVG ist ein landeseigenes Unternehmen. Wenn die Landespolitik uns auffordert, den Betrieb des S-Bahn-Teilnetzes zu übernehmen, würden wir das selbstverständlich mit allen Kräften tun. Wir haben uns aber nicht beworben. Und das aus gutem Grund.

Wie könnte eine Übernahme des Verkehrs in der Praxis überhaupt funktionieren. Müssten sie alle Mitarbeiter übernehmen?

Fakt ist: In der BVG gibt es so gut wie kein S-Bahn-Know-how mehr, obwohl sie einmal zehn Jahre zu uns gehört hat – von 1984 bis 1994. Aber die Kollegen von damals sind entweder ausgeschieden oder haben andere Aufgaben, mit denen sie nicht unterbeschäftigt sind. Wir müssten einen Bereich praktisch auf der grünen Wiese völlig neu aufbauen.

Haben Sie auch einen Wunsch für 2015?

Einen ganz großen. Ich wünsche mir, dass wir einen Schulterschluss in Berlin realisieren. Die Stadt wächst, der Verkehr durch Autos soll aber nicht wachsen. Mehr Menschen sind zu Fuß, per Rad und im öffentlichen Personennahverkehr unterwegs. Jeder möchte in der Stadt, aber keiner auf einem Parkplatz wohnen. Das ist eine historische Chance für Berlin! Jetzt können wir die Zukunft der Mobilität planen und auch deren Finanzierung sichern.

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