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© David Heerde

BVG-Streik: Die Festung der Busfahrer

Fahrzeuge versperren den Hof, nachts gibt’s Würstchen und markige Sprüche. Wie die Busfahrer des Depots in Wilmersdorf die Streikabende erleben.

Na bitte, und dann ist Feierabend. Michael Wegener, 50, kippt sein kühles „Schultheiss“ hinunter, im Streikcafé gegenüber dem BVG-Busbahnhof in der Cicerostraße. Zigarettennebel liegt in der Eckpinte „Kariti“ in der Luft, 1,90 Euro kostet das Bier, es bleibt sein einziges in dieser Dienstagnacht. „Wir sind ja nicht aus Jux und Dollerei hier“, sagt Wegener. Die Uhr zeigt 3.10 Uhr, sechs Stunden stand er vor dem versperrten BVG-Tor. Jetzt lässt sich Wegener, der Streikleiter, ablösen. „Gute Nacht“, sagt er. Bis morgen.

Seit sieben Tagen geht das so, seit einer Woche streikt die BVG. Und seitdem rollt keine Tram, keine U-Bahn und kein Bus mehr aus den Depots, auch nicht aus der Cicerostraße in Wilmersdorf. 440 BVGler arbeiten „auf Cicero“, wie sie ihr Heimatdepot nennen. Das klingt ein bisschen nach Festung, und ein wenig sieht es in dieser Nacht auch so aus. In der Hofeinfahrt versperren zwei Busse den Weg, ein dickes Schloss hängt am Tor.

Davor steht Christian Kitzing, 43. Er ist eigentlich Busfahrer und an diesem kalten Abend für den Grill zuständig. Pro Nacht wendet er 100 Würstchen auf dem Holzkohlegrill und 50 Nackensteaks. „Ach, schreib lieber Rumpsteak, wir ham’s ja!“, knurrt einer und grinst. Der Spruch ist als bissige Botschaft an Senator Sarrazin zu verstehen, der ja ähnlich bissig gesagt hatte, dass Busfahrer so viel verdienen wie Assistenzärzte. Auf Cicero berichten sie von 1800 Euro netto, maximal. „Und ich hab’ 1300 Euro raus“, sagt Manuela, 39, die seit zwei Jahren im Dienst ist. „So viel habe ich vor 16 Jahren verdient.“ Da war sie in der Bundesdruckerei.

Der Holzkohlegrill lodert, die Stimmen beben. Klar, viele haben alte Verträge, da bekommen sie mehr Geld, sogar sehr viel mehr als Manuela. Aber auch sie schimpfen: „Ich habe manchmal ’ne 50-Stunden- Woche!“ – „Die Nachtschicht!“ – „Wochenenddienst!“ – „Man sieht die Kinder nicht aufwachsen!“ Die Wut bricht in vielen aus, manchmal die Verzweiflung. „Es geht auch um Respekt, um Anerkennung, von Sarrazin und im Alltag“, sagt ein Busfahrer, der seit den 80ern dabei ist. Sie sagen: Wenn du einen guten Tag hast, wirst du von den Fahrgästen nur angemeckert. Aber viele wissen auch zu berichten, wie sich das anfühlt, wenn die Rotze auf der Uniform klebt oder die Faust einem entgegenrauscht. „Wäre ich bei der Polizei, müsste ich ja mit Übergriffen rechnen“, sagt einer. „Ich bin aber kein Polizist. Ich bin nur ein Busfahrer, Mensch!“

Auf Cicero streiken gut 300 Leute. Sie wechseln sich ab, in Schichten, weil sie nicht einfach zu Hause auf der Couch rumliegen können. Deshalb gehen sie ins „Kariti“, das auch Toilette und Wärmestube ist, und holen sich bei den Streikleitern den Anwesenheitsstempel ab. Michael Wegener sagt, er bekomme pro Tag aus der Streikkasse von Verdi 44 Euro ausgezahlt, plus 5 Euro fürs Kind, macht rund 1000 Euro bei 20 Streiktagen. „Normalerweise habe ich 1800 Euro raus.“ In Lichterfelde hat er ein Haus, die Miete muss bezahlt werden, deshalb sagt Wegener: „Wenn wir nach Ostern streiken, dann tut’s langsam richtig weh.“

Kurz vor Mitternacht, es ist kalt. Busfahrer Peter Kämmerer, 51, hat lange Unterhosen an, zwei Fleecepullover, eine dicke Jacke. Vielleicht zünden sie sich auch bald Holz in einem Ölfass an, so wie es die Kollegen vor dem Busdepot in Spandau tun. Das sieht aus wie in einem Hip- Hop-Musikvideo, wärmt aber die Finger.

„Das Schönste ist“, sagt Christian Kitzing, der Mann vom Grill, „dass uns der Streik nicht auseinanderreißt, sondern zusammenführt – so wie früher, als wir wie eine Familie bei der BVG waren.“ Die Kollegen sehe man ja nur kurz an der Endhaltstelle, wenn überhaupt. Jetzt aber bringen sie Streuselkuchen mit oder einen Karton Kaffeesahne. Auf Cicero – oder besser: davor – wird viel gelacht.

Am nächsten Abend, der achte, ist Wegener wieder da. Die zweite Streikwoche hat begonnen. Zum BVG-Depot fährt er mit seinem roten VW-Polo, Baujahr 92.

André Görke

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