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BVG-Touren: Von Spandaus Altstadt zur Scharfen Lanke

Die eigene Stadt neu entdecken – mit einer reizvollen Kombination von Stadtspaziergängen und Fahrten mit Bussen und Bahnen. Das ist die Idee unserer Ausflugsserie "Mit der BVG auf Tour". Tour 1 führt von Spandaus Altstadt zur Scharfen Lanke.

Kissners Kirche: Wie St. Mariens Original erhalten wurde

Helmut Kißner erinnert sich noch genau. Es war schon spät am Abend, als er sich ein Herz fasste und seine Frau fragte: „Wollen wir uns eine Kirche kaufen?“ Sie bat sich aus, eine Nacht darüber zu schlafen. „Ich hab’ dann bis zum Morgen kein Auge zugetan“, erzählt Kißner. Schließlich war er schon Feuer und Flamme für sein ungewöhnliches Vorhaben, ein Gotteshaus zu erwerben und es auf eigene Kosten sanieren zu lassen. So etwas hatte es in Berlin noch nie gegeben. Frühmorgens sagte Hannelore Kißner ja. Das Gespräch am Küchentisch ist mehr als acht Jahre her. Es hat das Leben des Spandauer Ehepaares in neue Bahnen gebracht – und die katholische St. Marienkirche am Kolk und Behnitz in Spandau gerettet.

Heute sieht St. Marien rundherum und im Inneren wieder nahezu genau so aus, wie sie sich der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. einst wünschte: eine Basilika im frühchristlichen Stil. Scheint die Sonne, leuchtet ihre Fassade im rötlichen Ton der märkischen Backsteine. Rundbögen, die Fensterrosette über dem Portal und Barocktürmchen auf den Dachtraufen schmücken die Vorderansicht von Berlins zweitältester katholischer Kirche nach der St.-Hedwigskathedrale in Mitte. 1848 weihte der König St. Marien ein, Baumeister war August Soller, ein Schüler Karl Friedrich Schinkels, dessen Hauptwerk die St.-Michaelskirche am Engelbecken in Kreuzberg ist.

2003 wurde St. Marien dann ein zweites Mal eingeweiht: Nach der Wiederherstellung durch ihre Spandauer Mäzene. Seither gibt es dort wieder Gottesdienste und zusätzlich Jazz-, Chanson-, Orgel- oder Klassikkonzerte, die Helmut Kißner organisiert. Bis zu seiner Pensionierung 2008 war der 66-Jährige mit ganz anderen Dingen beschäftigt: Er arbeitete als Finanzbeamter.

Wer ihn besucht, trifft auf einen zurückhaltenden, eher kleinen Mann. Auf den Treppenstufen zu seiner Basilika steht er im hellbeigen Anzug mit Tüchlein in der Brusttasche. Das Farbenspiel, die Schönheit des dreischiffigen Innenraumes lässt er sich ohne viele Worte entfalten. Da ist der Himmel über dem Chor, azurblau mit glänzenden Kupfersternen. Darunter der Hochaltar mit der Mutter Gottes, die Vergoldungen sind auf Glanz poliert. Und all die Wandgemälde mit Engeln und Lilien sehen so frisch aus, als hätte Friedrich Wilhelm IV. das Gotteshaus nach der Einweihung gerade erst verlassen.

Wie kamen die Kißners dazu, die Wiedergeburt dieser Pracht zu bezahlen? Beide sehen sich nicht als „besonders fromme Leute“, er ist Protestant. Auf einer Autofahrt erzählte ihm ein katholischer Freund, die Kirche sei bedroht. Sie war sanierungsbedürftig, aber Spandaus Katholiken, die vier Gotteshäuser unterhalten müssen, hatten kein Geld dafür. Deshalb sollte die Kirche an die rumänisch-orthodoxe Gemeinde verkauft werden. Sie hätte den Innenraum verändern wollen, Kunstschätze ausgeräumt. Der Freund war schlau. „Der wusste, dass ich kunsthistorisch interessiert bin“, sagt Helmut Kißner. Er sah nur eine Chance: die Kirche zu kaufen. Das war möglich, denn seine Frau hatte geerbt. Für 250 000 Euro bekamen die Kißners die Kirche. Sie ließen gleich das Dach neu decken und die Mauern sanieren. Für die Katholiken war dies das „Wunder vom Spandauer Kolk.“

Allerdings stiegen die Kosten gleich heftig an, als klar wurde, dass man die Fundamente trocken legen musste. Als sich die Kißners dann noch in ein Gemälde von 1861 und eine Postkarte von 1895 verguckten, die das Innere der Kirche im früheren Originalzustand zeigten, war es um ihr Vermögen geschehen. Sie verliebten sich in die ursprüngliche Schönheit. „Nun machen wir alles richtig“, lautete die Devise. Sogar die verschollenen Türmchen auf dem Dach wurden neu geschaffen.

Die 13 Monate langen Bau- und Restaurierungsarbeiten waren für das Paar ein großes Abenteuer und kunstgeschichtliches Fortbildungsprogramm. „Wir hatten ja von vielem null Ahnung.“ Detektivisch erkundeten sie mit Experten die Umbrüche des Gotteshauses, beispielsweise die Zeit um 1910, als St. Marien Garnisonskirche wurde und das Militär Altäre, Figuren und Gestühl braun überstreichen ließ. Oder die sechziger Jahre, als man die Wände grün anstrich. Von alledem war 2003 noch ein Mix erhalten. Schwerlaster transportierten das Inventar, Altäre, Gestühl zu Restauratoren in Breslau. Unterdessen brachten Maler wieder die Farben des Marienkultes Blau, Rot und Gold in die Kirche und die Mariensymbole wie Rose und Ähren an die Fenster. „Es war wie im Rausch, alles wurde immer schöner“, sagt Helmut Kißner. Sogar eine neue Orgel ließen sie einbauen.

Was letztlich investiert wurde, verrät er nicht. 2004 bekam das Paar den Deutschen Preis für Denkmalschutz. Ihre Namen ließen sie nirgendwo an der Kirche verewigen. Über dem Portal steht schlicht: Renovatum Anno Domini 2003. Nur ein Privileg haben sie: Die Kißners wohnen im Pfarrhaus hinter St. Marien. Suchen sie einen Ruheort, schließen sie mit dem großen Schlüssel die Kirche auf. Nach ihrem Tod, haben sie verfügt, geht St. Marien wieder in den Besitz der Gemeinde über.

Mehr Infos: www.behnitz.de

Der Winzerort

Für die Hirten aus Pichelsdorf war die Grenze eindeutig beschrieben. „Bis zu den Weinbergen“ durften sie im 16. Jahrhundert ihre Schafe treiben, also rund um die Scharfe Lanke bis zu jener Anhöhe, auf der damals Weinstöcke gediehen wie heute am Rhein oder in der Pfalz. Schon 1509 schätzte der Rat der Stadt Spandau die „sonnige Lage“ des Hügels am Nordufer der Bucht und ließ dort die ersten Weingärten anlegen. Sieben Weinmeister wurden angesiedelt, die sich mit der Kunst der Rebenzucht, des Kelterns und der Weinherstellung auskannten. Zu dieser Zeit war das in Berlin und Brandenburg keine Besonderheit: Viele Orte der Region hatten eigene Weinberge.

Heute ist die Anhöhe eine begehrte Villengegend mit Ausblick über die Havel. An die Winzer an der Scharfen Lanke erinnern nur noch die Straßennamen wie Weinmeisterhornweg, Weingartenweg, Küfersteig oder Keltererweg. Der Anbau der Reben war hier im 16. bis 18. Jahrhundert ein harter Job, man musste die kargen märkischen Böden ausgiebig düngen. Die Arbeit der Winzer hatte Kurfürst Joachim Friedrich 1604 genauestens geregelt. Die „Weinmeisterordnung“ legte fest, an welchen Tagen der Boden gedüngt und geharkt, die Weinstöcke gepflanzt, beschnitten und angebunden und die Trauben geerntet werden sollten.

Anfang des 18. Jahrhunderts brachen eisige Winter über die Region herein. Der Frost 1739/40 zerstörte viele Spandauer Weingärten. Die Winzer bauten danach Obst und Gemüse an. Nur an der Scharfen Lanke verschwanden erst Anfang des 19. Jahrhunderts die letzten Weinreben.

Außer in Werder/Havel wird aber auch in Berlin an einigen Hügeln noch Wein angebaut. Der bekannteste Hang liegt an der Kreuzberger Methfesselstraße. Im Rheingau werden die Trauben gekeltert und als „Kreuz-Neroberger“ in Flaschen füllt. Der Bezirk verschenkt den Wein an Gäste und Förderer. Der Tropfen soll sauer, aber trinkbar sein.

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