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Canisius-Kolleg: Staatsanwälte ermitteln – Verjährung ist nicht sicher

Auch die Linke stellt sich hinter den Rektor des Canisius-Kollegs. Ehemalige Schüler berichten von „plumper Vertrautheit“ der Beschuldigten.

Die Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg haben auch die Parteien im Abgeordnetenhaus alarmiert. Politiker forderten gestern parteiübergreifend eine vollständige Aufklärung der Übergriffe. Die Staatsanwaltschaft bestätigte am Sonnabend, dass seit Ende der Woche in mehreren Fällen ermittelt wird. „Sieben betroffene Jungen sollen bis Anfang der 80er Jahre sexuell missbraucht worden sein“, sagte Sprecherin Silke Becker. Man müsse jetzt prüfen, ob die Straftaten bereits verjährt sind. Am Freitag wurde bekannt, dass einer der mutmaßlichen Täter, Peter R., noch im Bezirk Steglitz wohnt, während der andere Verdächtige, Wolfgang S., inzwischen in Südamerika leben soll.

Die Verjährungsfristen bei Missbrauch können laut Staatsanwaltschaft unterschiedlich sein. Alter, Geschlecht und die genauen Umstände der Tat, ob beispielsweise Gewalt angewendet wurde, spielten eine Rolle. Da es sich in jedem Fall um sogenannte Offizialdelikte handelt, muss die Staatsanwaltschaft unabhängig von Anzeigen, falls nötig auch gegen den Willen der Betroffenen, ermitteln.

Die Wohnung des mutmaßlichen Täters Peter R. scheint verlassen. Die Jalousien sind zugezogen, im Garten steht ein Schneemann. Seit zehn Jahren lebt R. in dem Haus in einer Seitenstraße in Steglitz. Eine Anwohnerin erzählt, man treffe den grauhaarigen 69-Jährigen, der alleine wohnt, nur selten. Laut dem „Spiegel“ soll R. die Missbrauchstaten bis heute vehement bestreiten. „Auffällig ist, dass er häufig nach Südamerika reist“, sagt eine andere Nachbarin. Dort hält sich auch der zweite mutmaßliche Täter auf, der Übergriffe inzwischen eingestanden hat.

„Es muss geprüft werden, wie viele Missbrauchsfälle es in der betreffenden Zeit gab“, fordert Andreas Gram, Rechtspolitiker der CDU-Fraktion. Gram selbst machte 1974 sein Abitur am Canisius-Kolleg. Trotz des Missbrauchsskandals beteuert Gram, es sei eine „fantastische Schule“, die Hochbegabte fördere.

Unklar ist, ob sich Schulleiter Klaus Mertes nicht schon viel eher an die Staatsanwaltschaft hätte wenden müssen. Er erfuhr nach seinen eigenen Worten 2004/2005 erstmals von den Übergriffen. Zwei Opfer hatten sich an ihn gewandt. Daraufhin reagierte er aber weniger offensiv als heute und informierte nur die Jesuitenzentrale mit der Aufforderung, die Täter im Auge zu behalten. Diese waren allerdings spätestens seit Mitte der 90er nicht mehr für Jesuitenschulen tätig. Er habe sich damals nicht an die Behörden gewandt, sagt der Rektor, „weil mich die Opfer um Diskretion baten.“ In einer solchen Situation gebe es hochkomplexe Ermessensspielräume. Die Staatsanwaltschaft müsse ermitteln, wenn sie Kenntniss erhalte, und beide Seiten anhören. „Damit hätte ich mein Versprechen zur Diskretion gebrochen“.

Zu klären ist nun die Frage, weshalb die Leitung des Canisius-Kollegs nach eigenem Bekunden bis 2004/05 nichts von der Vorfällen wusste, obwohl sich einer der Täter schon 1991 den Provinzialoberen in der Münchner Jesuitenzentrale offenbart hatte. Was die Ordensleitung damals wusste und welche Konsequenzen gezogen wurden, soll nun in den Archiven des Ordens rekontruiert werden. Möglicherweise entdecke man „Spuren des Wegschauens“, heißt es im Canisius-Kolleg. Der Leiter der Deutschen Jesuiten, Stefan Dartmann, will am Montag in das Gymnasium kommen und erste Auskunft geben.

Die CDU nimmt Rektor Pater Klaus Mertes in Schutz: „Er ist mutig und hat das Richtige getan.“ Auch die Linke sprach sich für den Rektor aus. „Es ist zu begrüßen, dass der Schulleiter an die Öffentlichkeit gegangen ist.“ Aus Sicht der SPD hat die Beauftragte für Missbrauchsfälle des Jesuitenordens, Ursula Raue, eine wichtige Funktion bei der weiteren Aufklärung. Dank ihrer Schweigepflicht falle es Betroffenen leichter, sich ihr gegenüber zu äußern. Die Grünen fordern mehr Prävention gegen sexuellen Missbrauch.

Damaligen Schülern am Canisius-Kolleg fielen die beiden noch jungen Patres durch ihrer „Distanzlosigkeit“ und „plumpen Vertrautheit“ auf. Die älteren Patres hätten Autorität ausgestrahlt, sich korrekt verhalten. Wissenschaftler Ralf Wesendrup machte 1987 sein Abitur am Kolleg. „Die Patres lebten für unsere Erziehung“, sagt er. Helge Sodan, einstiger Verfassungsgerichtspräsident in Berlin und damaliger Vize-Schülersprecher am Canisius-Kolleg, erwarb 1977 seine Abitur. „Ich pflege positive Erinnerungen an meine Schule.“ Aber eines wundert Sodan heute doch. Zumindest einer der Patres verschwand Anfang der 80er Jahre plötzlich ohne die übliche Verabschiedung.

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