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Berlin: Carlos Kühn (Geb. 1928)

"Erstlingswerke, Widmungsexemplare. Signierte Bücher und Autographen"

Wie von Spitzweg gemalt: ein gebeugter Herr mit Brille und dunklem Anzug, vergeistigt bis unter die hellen Haarspitzen, schleppt einen gewaltigen Folianten. Carlos Kühn mit einem Katalog über mittelalterliche Literatur auf dem Weg zur Pirckheimer-Gesellschaft, organisierte Bibliophile, die sich Stücke aus ihren Sammlungen zeigen.

Doch nicht nur äußerlich entsprach er ganz dem Archetyp eines Antiquars: sorgfältig und gewissenhaft, zurückhaltend und diskret, belesen, gebildet, ein Mann alter Schule, dem nichts Grelles und Schnelles anhaftete, so als ob die leise knisternde Ruhe einer Bibliothek in ihn übergegangen wäre. Und wie eine Bibliothek drängte er sein Wissen nicht auf, sondern stellte es dem Fragenden bereit. Wobei Privates unleserlich blieb.

Carlos Kühn studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften an der FU. In dieser Zeit spielte er auch Theater. Die Hauptrolle in Schillers Don Carlos brachte ihm seinen Vornamen ein, der nicht sein Geburtsname war. Seine ohnehin klangvolle Stimme erhielt durch das schauspielerische Training eine sonore Qualität, die ihn erstklassig vortragen ließ. Und von Anfang an hatte er mit Büchern zu tun: Er arbeitete in einer Galerie für Kunst- und Buchauktionen, dann in einem Düsseldorfer Antiquariat. Seine Heimat fand er 1969 im Antiquariat Carl Wegner in der Schöneberger Martin-Luther-Straße, zunächst als Teilhaber und nach dem Tod Wegners als Inhaber.

Sammler gaben ihm Listen, auf denen notiert stand, was ihnen noch fehlte. Carlos Kühn suchte in anderen Antiquariaten, privaten Sammlungen, Universitätsbibliotheken, stets „im geliebten Altpapier vagierend“. Auf Karteikarten notierte er die Interessen seiner Kunden, Ein- bis zweimal im Jahr gab er liebevoll gestaltete Kataloge heraus: „Erstlingswerke. Widmungsexemplare. Signierte Bücher und Autographen“.

Aber nicht nur als Suchender und Handelnder ist Kühn der Berliner Antiquariatsszene ein Begriff: Er verfasste stilsichere Artikel, die zum Beispiel in den „Marginalien“ erschienen, der Vierteljahresschrift der Pirckheimer-Gesellschaft. Bei den Pirckheimern oder dem „Berliner Bibliophilen Abend“ hielt er Vorträge über „Fontane und die Bücher“ oder „Über den Büchernachlass von Gerhart Hauptmann“. Und er sammelte selbst: allerdings keine Bücher sondern Lesezeichen, Buchhändlermarketten und, als größte Herausforderung, Nullnummern alter Zeitschriften.

Der Wandel der Zeiten verdross Carlos Kühn. Seine Angst vor Überfällen wuchs, er versteckte einen Totschläger im Laden – und wurde tatsächlich überfallen, zusammengeschlagen und der Tageseinnahmen beraubt. Einen noch einschneidenderen Wandel bewirkte das Internet. Wo früher Buchsammler durch die Antiquariate zogen, Bände in den Händen hielten und den Geruch des alten Papiers einatmeten, klickten sie nun ein paar Mal beim ZVAB, dem „Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher“. Kühn richtete sich am Ende seines Lebens immerhin eine E-Mail-Adresse ein. Eine Einbahnstraße: Er las, was man ihm schrieb, und antwortete in seiner schönen, präzisen Handschrift auf Briefpapier.

Arbeiten musste Carlos Kühn bis kurz vor seinem Tod; die Rente hätte nicht gereicht. Seine Frau, die früher im Antiquariat geholfen hatte, war mit der Pflege ihrer Mutter beschäftigt. Die Geschäfte liefen nicht mehr wie früher, und dann hatte er auch noch die Unregelmäßigkeiten eines früheren Kollegen mit abzubezahlen.

So hart und undankbar die Welt der Geschäfte war, so erhaben und reich blieb die Welt der Bücher. An einem seiner letzten Buchpräsentationsabende bei den Pirckheimern legte der Belesene den anderen Bibliophilen schmunzelnd ein gar nicht altes Werk vor: „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“ von Pierre Bayard. Anselm Neft

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