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Berlin: Castello: Die widerspenstige Zähmung eines Architekten

Das Haus hat viele Türmchen und Erker, verspielte Geländer und schräge Dächer. Wo sonst die Fenster sind, gibt es Glaswände vom Boden bis zur Decke.

Das Haus hat viele Türmchen und Erker, verspielte Geländer und schräge Dächer. Wo sonst die Fenster sind, gibt es Glaswände vom Boden bis zur Decke. Im riesigen Innenhof wird zwar noch gebaut, aber es sieht trotzdem schon so aus wie im Märchengarten des neuesten Hotels von Las Vegas. Aber das "Castello", der jüngste Beitrag des Berliner Architekten Hinrich Baller zur modernen Baukunst, steht nicht in Nevada. Das "Castello" steht an der Landsberger Allee, und inmitten der teils immer noch steingrauen Plattenbauten weit hinter den Straßenrändern wirkt es tatsächlich wie ein Schloss aus Disneyland. Am Donnerstag wird das neue Einkaufszentrum an der Landsberger Allee Ecke Judith-Auer-Straße eröffnet. Um 9 Uhr sollen sich die Türen öffnen. Danach gibt es ein buntes Programm.

Für den Bauherren ist es ein Abenteuer gewesen, mit Hinrich Baller zu bauen. Vielleicht sogar eine Folter. "Professor Baller ist ein Künstler, ein Genie, aber er interessiert sich nicht sehr für das Baurecht", sagt Herbert Scheickl, der Geschäftsführer des Investors Universale International GmbH aus Wien. Scheickl lobt Ballers visionäre Art, ein Projekt zu entwickeln. Doch er verschwiegt auch nicht, dass das "Castello immer wieder in Gefahr war, eigentlich jeden Tag". Ursache ist Ballers Arbeitsweise. Der Baumeister mit dem starken Hang zu extravaganten Lösungen liebt es, seine Entwürfe immer wieder zu ändern und weiterzuentwickeln. Dies mit viel kreativem Schwung, aber ohne Präzision. Ohne das Zutun von Ballers Mitarbeitern und den Projektentwicklern des Bauherrn hätte so manche Badewanne im Treppenhaus gestanden. Sechs Fluchttreppenhäuser mussten nachträglich eingebaut werden, weil sie schlicht vergessen worden waren. Auch für die Baustatiker war das Unternehmen ein Abenteuer mit zahlreichen unangenehmen Überraschungen. "Wir sind an die Grenze des statisch Machbaren gegangen", sagt Universale-Chef Scheickl, der dennoch findet, dass "das Castello markig in der Landschaft steht". Doch Ballers Extravaganz war dem Bauherrn bekannt. Sie lasen die Berichte über seine Sporthalle am Winterfeldt-Platz, deren Bau acht Jahre dauerte.

Baustart für das 84 Millionen Mark teure Einkaufszentrum war im Juni 1998. Es gibt 5500 Quadratmeter Gewerbefläche für Geschäfte, Restaurants und Bistros. Der Einzelhandel ist mit einem großen Supermarkt, einem Drogeriemarkt, mit Backshop und Bekleidungsfachgeschäft vertreten. Dazu gibt es eine Bank, ein Reisebüro, ferner Schuhreparaturen, Schlüsseldienst, Reinigung und ein Sonnenstudio. 28 Läden sind vermietet, drei Läden sind noch frei. Mit dem möglichen Betreiber eines Spezialitätenrestaurants wird noch verhandelt. 1000 Quadratmeter sind für Büros, Arztpraxen und Kanzleien bestimmt. Die Tiefgarage fasst 150 Stellplätze. Im "Castello" gibt es insgesamt 193 Wohnungen. Nach den Worten von Vermieter Thomas du Chesne sind nur noch drei davon zu haben. Einziges Hindernis: Die Bewerber brauchen einen Wohnberechtigungsschein für den zweiten Förderweg. Die Mietpreise liegen bei 14,80 Mark pro Quadratmeter, Betriebskosten und Heizung inklusive. Die Wohnungen haben zwei, drei oder vier Zimmer, und es gehört zu den Eigenheiten des Neubaus, dass sich mehrere Haushalte eine der zahlreichen Terrassen teilen müssen.

Das gesamte Gebäude ist aus Fertigteilen errichtet, die in Hennigsdorf hergestellt worden sind. Natürlich alles Spezialanfertigungen. Beim Blick auf Ballers Skizzen sollen sich die Betonwerker gelegentlich die Haare gerauft haben. Kaum eine der rasch hingeworfenen Zeichnungen hatte den richtigen Maßstab. Vermieter Thomas du Chesne kann mit einer ganzen Reihe von Anekdoten aufwarten. Etwa über den Augenblick, als eine ältere Frau aus Lichtenberg beim Blick auf die vielen Säulen in der neuen Wohnung sagte: "Hier kann ich ja mit meinem Hund Gassi gehen." Du Chesne ist auch dafür verantwortlich, dass Hinrich Baller auf Türen in Altrosa, Linoleumböden, Küchenmöbel in Pink und weiße Fliesen im Mitropa-Stil verzichtet hat. "So etwas mögen die Menschen hier nicht", sagt der Vermieter. Auch Andreas Geisel, der Baustadtrat von Lichtenberg, hat während der Arbeiten am "Castello" Überraschungen erlebt. "Beim Blick auf die Baupläne brauchte ich Phantasie, die Papiere sahen wie Strickmuster aus", sagt er.

Michael Brunner

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