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Berlin: Centrum Judaicum: Lieder für den langen Atem

Das Surren einer Singer-Nähmaschine, die Mutter, die dazu polnische, russische und jiddische Lieder sang. Das Geklimper der Klavierschüler des Vaters, sein virtuoses Spiel, wenn er übte.

Das Surren einer Singer-Nähmaschine, die Mutter, die dazu polnische, russische und jiddische Lieder sang. Das Geklimper der Klavierschüler des Vaters, sein virtuoses Spiel, wenn er übte. Das sei die Musik, mit der sie aufwuchs, sagt Chava Alberstein. Morgen und übermorgen steht die israelische Folk-Sängerin gemeinsam mit "The Klezmatics" und Peter Yarrow von "Peter, Paul and Mary" auf der Freilichtbühne des Centrum Judaicum. Diese "Klezmer-Connection" ist für Chava Alberstein wie eine Rückkehr zu den Wurzeln, nicht nur zu denen ihrer Kindheit.

Ihr erstes Instrument war das Akkordeon. Als die Albersteins 1951 aus dem polnischen Szczecin (Stettin) nach Israel emigrierten, war lange kein Geld da für ein Klavier. Der Vater schulte um auf das kleinste Tasteninstrument, und seine erste Schülerin wurde die damals sechsjährige Chava. Aber als sie bei einer Nachbarsfamilie in Jaffa zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand bekam, habe sie gewusst: "Das ist mein Leben." Chava Alberstein wurde in den 70er Jahren die Liedermacherin Israels. Eine schmale Frau mit einer großen Folk-Stimme, schlichte schwarze Kleidung, wilde blonde Locken - so steht Chava Alberstein seit Ende der 60er Jahre auf der Bühne, so sitzt sie uns im Hotel gegenüber.

Bis heute erscheint alle paar Jahre eine neue CD der "First Lady des israelischen Liedes". Die schönsten Lieder auf der letzten Solo-CD von 1998 sind die sparsam instrumentierten, leisen Lieder, auf denen Chava Alberstein sich zur Gitarre begleitet. Ihr größter Erfolg der letzten Zeit: "The Well / Der Brunnen", ein gemeinsames Projekt mit "The Klezmatics". Der fröhlich-melancholischen Klezmermusik ihre Stimme zu geben, sei für sie eine wunderbare Erfahrung, sagt Alberstein. Und Peter Yarrow, der Kopf der legendären Folk-Band "Peter, Paul and Mary", war, neben Joan Baez, eine der großen Inspirationen am Beginn ihrer Karriere.

Die Veranstalter und auch die deutschen, amerikanischen und israelischen Fernsehsender, die die Konzerte aufzeichnen, sehen in dem Zusammenspiel jüdischer Musiker aus Israel und den USA in einer Berliner Synagoge einen spannungsvollen Versuch und ein Symbol der Versöhnung. "Three Voices - One Vision" - drei Stimmen, eine Vision nannten sie das Musikereignis. Chava Alberstein sagt dagegen: "Man sollte nicht zu viele Symbole suchen. Wir wollen dort eine sehr gute künstlerische Arbeit leisten und dann sehen, was daraus wird." Die größte jüdische Botschaft sei immer noch: "Der Staat Israel existiert." Nach den jüngsten Selbstmordanschlägen durch Palästinenser sagten jetzt viele Freunde in Tel Aviv, "das ist vielleicht das Ende eines kurzen historischen Experiments". Ihnen fehle der lange Atem, denkt Chava Alberstein.

Die Tage, bevor sie jetzt ins verregnete Berlin aufbrach, waren die schönsten des Jahres in Tel Aviv - und ein Zeichen für die israelische Lebenskraft: Sonne, keine Hitze, ein leichter Wind am Nachmittag, die "Woche des hebräischen Buches" mit gut besuchten Lesungen und Signierstunden. Allerdings sagten die Leute, "ich gehe hin, aber meine Kinder bleiben zu Hause." Chava Alberstein möchte glauben, dass aus der derzeitigen schwierigen Situation etwas Neues erwächst: "Dass wir lernen, auf Gewalt nicht mit Gewalt zu antworten."

Berlin ist für Chava Alberstein keinesfalls "irgendeine Stadt". Sie komme immer mit gemischten Gefühlen hierher. Die gemischten Gefühle vor den Konzerten im Centrum Judaicum kann die Sängerin genau beschreiben: Auf Jiddisch wird sie singen, in dieser "ermordeten Sprache". Und die Deutschen seien außer den älteren Juden die einzigen, die sie ein bisschen verstehen können. Auf das Berliner Publikum freut sich Chava Alberstein. Die Berliner seien ähnlich empfänglich und aktiv wie die Tel Aviver.

Chava Alberstein macht keine politischen Lieder, sie singt keine Hymnen auf den israelischen Staat. Ein Lieblingsthema der letzten Zeit sind ihre Eltern und deren Freunde, die Israel mit aufgebaut haben, und ihren Lebensabend mit bescheidenen Freuden genießen: Fast jeden Tag treffen sie sich auf dem Balkon eines anderen Paares, um Karten zu spielen.

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