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In der „Operette für zwei schwule Tenöre“ kommt Jan (Felix Heller, rechts) vom Land nach Berlin und lernt Tobi (Ricardo Frenzel Baudisch, links) kennen.

© Lukas von Loeper

Champagner von Aldi: Das Berliner BKA bringt die „Operette für zwei schwule Tenöre“ auf die Bühne

Die Ära der Operette ist längst vorbei. Das BKA Theater wagt sich an eine moderne, queere Fortsetzung.

Der Titel des Stücks lässt eigentlich keine Fragen offen: „Operette für zwei schwule Tenöre“, damit ist alles gesagt, oder? Vielleicht nicht ganz, denn im Jahr 2021 eine neue Operette auf die Bühne zu bringen, das ist schon etwas ungewöhnlich.

Gefühlt wurde das Genre seit seit 1930, seit der Uraufführung von Ralph Benatzkys „Im Weißen Rössl“ im Berliner Großen Schauspielhaus, nicht mehr weiterentwickelt, was natürlich auch mit dem Nationalsozialismus zu tun hat. Und doch passiert jetzt genau das, im BKA Theater am Kreuzberger Mehringdamm. Die Premiere findet zwar erst am 6. Oktober statt, doch am Mittwoch haben die Macher um Autor Johannes Kram schon mal Auszüge aus der Produktion präsentiert.

Kram ist Blogger und Produzent, war Manager von Guildo Horn bei dessen Eurovision-Auftritt und hat 2018 mit seinem Buch „Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber...“ auf das nach wie vor virulente Problem der Alltagshomophobie aufmerksam gemacht.

Und er ist ein Fan vor allem der Berliner Operette, wie sie Paul Lincke, Walter Kollo, Paul Abraham oder eben Ralph Benatzky geschaffen haben. „Wir wollen daran anknüpfen, finden aber, dass es an der Zeit ist, die damals schon in den Operetten versteckt angelegten queeren Stränge endlich auch mal zur Haupthandlung zu machen“, erklärt Kram bei der Präsentation im BKA Theater.

Denn: Trotz aller Befreiung und obwohl die Situation schwuler Männer heute elementar besser ist als in den 1930er oder selbst 1960er Jahren, sind gerade junge Schwule beim Coming Out immer noch auf sich alleine gestellt, fehlt es an Rollenvorbildern, wie schwules Leben gelingen kann.

Abziehbild, das die Gesellschaft einträufelt

Worum geht es also in der „Operette für zwei schwule Tenöre“? Ganz klassisch kommt Jan (Felix Heller) vom Land nach Berlin und lernt Tobi (Ricardo Frenzel Baudisch) kennen. Doch das gemeinsame Glück währt nicht lange, Tobi zweifelt bald, ob man „Hund, Haus, Partner“ wirklich braucht oder ob dieses Ideal nicht nur ein Abziehbild ist, das einem die Gesellschaft einträufelt. „Ja, in dem Stück wird viel reflektiert, aber natürlich ist es genauso auch eine riesige, sexpositive Gaudi, die sich über Heteronormativität lustig macht“, sagt Johannes Kram. „Wir parodieren die Operette nicht, wir nehmen sie ernst – und das bedeutet, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen.“

Geprobt und entwickelt wird die Produktion, die von der Präventionskampagne „Ich weiß was ich tu“ der Deutschen Aids-Hilfe unterstützt wird, übrigens schon seit 2017, natürlich mit einer ausgewachsenen Pandemie dazwischen.

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In den Kulissen der Siegfried-Wagner-Ausstellung im Schwulen Museum stellten die beiden Sänger schon vor vier Jahren die ersten Songs vor. „Wir haben das Stück seither ständig weiterentwickelt und manchmal jeden Morgen umgeschrieben. Ich konnte ganz viel von mir selbst in die Figur einfließen lassen, das ist wirklich ein Geschenk“, sagt Felix Heller, der dem Ensemble des Schmidt Theaters in Hamburg angehört, Opernsänger an Musikhochschulen unterrichtete und die Rolle von Bayerns Märchenkönig im Musical „Ludwig“ gesungen hat.

Ricardo Frenzel Baudisch hat unter anderem an der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler studiert, eine CD mit Liedern berühmter Operettenkomponisten veröffentlicht und die Hauptrolle im Musical „Schikaneder“ gesungen, das sich um das Leben des berühmten Theaterdirektors dreht, der Mozarts erster Papageno in der „Zauberflöte“ war.

Reichlich Bühnenerfahrung bringt auch Komponist Florian Ludewig mit, den man bisher vor allem als Pianist des leider aufgelösten, begnadeten Duos Malediva kannte. 16 Songs hat er jetzt geschrieben, und die beamen die Operette ganz in die schwulen Lebenswelten von heute.

„Ich steh total auf Jens Riewa“ im wiegenden Dreivierteltakt

Sie heißen „Champagner von Aldi“ oder „Wann fahr’n wir wieder zu Ikea“ – und wer auf den Geschmack kommen möchte, kann sich schon einige von ihnen auf Youtube anhören. Etwa „Ich steh total auf Jens Riewa“ – im wiegenden Dreivierteltakt singen Heller und Baudisch: „Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann mache ich das Fernseher an/Da schaut er mich an mit sanften Augen/die mich in den Bildschirm saugen“.

So könnte sich im Oktober in Kreuzberg eine kleine Sensation ereignen. Ja, Menschen wie Barrie Kosky an der Komischen Oper arbeiten seit Jahren daran, vergessene Operetten wiederzuentdecken. Aber am BKA Theater entsteht jetzt tatsächlich eine völlig neue.

Natürlich sei es eine „Anmaßung“, sagt Johannes Kram, 100 Jahre nach dem Ende der Ära das Genre fortsetzen zu wollen. Und doch heißt das Stück ganz selbstbewusst so und eben nicht „Musical“. „Wir behaupten, es gibt die Operette nach wie vor, und eben deshalb gibt es sie.“

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