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Berlin: Charité: Amputiert

Kann es eine medizinische Forschung geben, ohne dass sie auch räumlich eng mit der Klinik und der Krankenbehandlung verbunden ist? Dies ist die zentrale Frage.

Kann es eine medizinische Forschung geben, ohne dass sie auch räumlich eng mit der Klinik und der Krankenbehandlung verbunden ist? Dies ist die zentrale Frage. Wenn ja, hängt das Schicksal der Charité in Berlin-Mitte vom Bettenhaus ab. Lässt sich die Universitätsmedizin so organisieren, dass die Charité in Mitte nur noch als Forschungsstandort bestehen bleibt und die Krankenversorgung am zweiten Standort der Charité im Universitätsklinikum Rudolf Virchow in Wedding angesiedelt ist?

Führende Mediziner der Charité verneinen das. Sowohl die Lehre als auch die Forschung würden durch eine solche Umorganisation schwer geschädigt. Und die Aussichten für Berlin, in der Universitätsmedizin ein bedeutender Standort zu sein, würden schwer geschädigt. Der Transplantationsmediziner Professor Peter Neuhaus betont: "Wir wollen in der Universitätsmedizin zu einem Center of Excellence innerhalb Europas werden, und das ist nur machbar, wenn die kritische Masse an Medizinern dazu vorhanden ist. Das ist nur an der Charité gegeben." Neuhaus hat sein Behandlungszentrum in Wedding auf dem Campus des Virchow Klinikums. Er bezeichnet schon die jetzige Verteilung der Medizin auf die zwei Standorte in Mitte und Wedding als problematisch: In der Transplantationsmedizin müssten die Ärzte ständig zwischen Wedding und Mitte hin- und herpendeln - die Pathologie, die für die Transplantationsmedizin von entscheidender Bedeutung ist, musste in Wedding aufgegeben werden, um sie in Mitte zu zentralisieren. Eine weitere organisatorische Veränderung sei nicht mehr zumutbar, sagt Neuhaus.

Die Begeisterung für die neue gemeinsame Aufgabe nach der Fusion der beiden Universitätsklinika in Mitte und Wedding unter dem Dach der Charité sei unter den finanziellen Engpässen der letzten Jahre einer "zunehmenden Konfrontation" zwischen beiden Standorten gewichen". "Wenn der Standort Charité in der Krankenbehandlung aufgegeben wird, dann wird es zu einer Qualitätsminderung in Berlin insgesamt kommen, weil nur dort Behandlungen möglich sind, die anderswo so nicht geleistet werden können", betont Professor Neuhaus. Der ärztliche Direktor der Charité, Eckart Köttgen, verweist auf verschiedene Gutachten: Der Wissenschaftsrat habe immer wieder erklärt, dass die Forschung in unmittelbarer Verbindung mit den in den Kliniken tätigen Medizinern zu organisieren ist.

Der Rheumataloge Gerd-Rüdiger Burmester hat längere Zeit in den Vereinigten Staaten gearbeitet. Er wünscht sich, dass die Deutschen die USA in der Medizin endlich einholen könnten: "In den USA werden nahezu unbegrenzte Möglichkeiten in der Grundlagenforschung geboten. In Deutschland muss man daher eine enge räumliche Verzahnung von klinischer Forschung und Grundlagenforschung erreichen. Der Arzt muss ständig von der Klinik ins Labor wechseln können und umgekehrt." Wer täglich von Wedding nach Mitte fahren müsse, um von der Klinik ins Labor zu gehen, verliere mindestens eine Stunde am Tag.

Dass Burmester besondere Hoffnungen in den Standort Mitte der Charité gesetzt hat, ist verständlich. Gerade erst sind auf dem Campus in Mitte zwei Institute für die Grundlagenforschung errichtet worden: Das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und das Rheumazentrum. Ihre räumliche Nähe zu den Kliniken der Inneren Medizin und zur Krankenbehandlung im Bettenhochhaus ist für Burmester beispielhaft. Außerdem siedeln sich zahlreiche Biotech-Firmen im Umkreis der Charité an. Diese Standortentscheidung hätten sie nur wegen der Nähe zum Krankenhausbetrieb und zur klinischen Forschung gewählt.

Einig sind sich die Mediziner, dass die Diskussion um die Zukunft des Bettenhochhauses und die Bettenreduzierung nicht nach medizinischen Gesichtspunkten oder unter Beachtung von Qualitätsfragen geführt wird, sondern allein auf Druck der Krankenkassen. Professor Neuhaus: "Die Kassen interessieren nur ihre Kosten. Sie wollen vorrangig Betten der Hochleistungsmedizin schließen. Wenn sich Deutschland ein Gesundheitssystem auf hohem Niveau leisten will, bekommen wir das nicht zum Nulltarif."

Eine weitreichende Aufgabe des Krankenhausbetriebs in Mitte und damit verbunden eine Konzentration der Forschung auf den Standort wird nach Einschätzung der Medizinprofessoren auch schwere Beeinträchtigungen der Lehre nach sich ziehen. Der ärztliche Direktor der Charité, Professor Köttgen, weist darauf hin, dass die Charité zu den ganz wenigen Unikrankenhäusern in Deutschland gehört, die bei den Studienbewerbern immer noch auf einen Zuwachs verweisen können. Das liegt am Reformstudiengang. "Wenn dieser Reformstudiengang scheitert, dann wird für die nächsten 20 Jahre jeder Ansatz für eine Innovation in der Medizinerausbildung in Deutschland zerstört." Gerade dieser Reformstudiengang beruht auf der engen Verzahnung von Grundlagenmedizin und klinischer Medizin. Er ist auf die häufige Anwesenheit der Studenten am Krankenbett abgestellt und soll dazu den Studenten bereits während des Studiums in zwei Forschungssemestern einen viel intensiveren Zugang zur Wissenschaft ermöglichen als bisher.

Die Befürchtung von Staatssekretär Josef Lange, dass die Charité nach Inbetriebnahme der 150 Betten für die Innere Medizin das Bettenhochhaus gar nicht mehr voll auslasten könnte, weist Köttgen zurück. Der ärztliche Direktor verweist darauf, dass die Innere Medizin zur Zeit zu 90 Prozent ausgelastet ist und das Bettenhochhaus mit seinen derzeit 700 Betten ebenfalls eine Auslastung von knapp 90 Prozent erreicht. Köttgen: "In einem Krankenhaus der Maximalversorgung gilt eine Nutzung von 80 bis 85 Prozent als Vollauslastung. Es ist Unsinn davon zu reden, dass das Bettenhaus auch in Zukunft nicht ausgelastet werden könnte."

Vor aktuellen Überlegungen des Wissenschaftsrats, über die Zahl der Universitätsklinika und die richtige Zahl der Betten für ein Klinikum neu nachzudenken, ist Köttgen nicht bange. Eher könne das Land Berlin damit rechnen, "dass der Wissenschaftsrat nur noch mit Kopfschütteln das Planungschaos in der Stadt zur Kenntnis nimmt".

Welche Wirkungen diese Planungsunsicherheit auf die Wissenschaftler und das Pflegepersonal hat, ist schon heute zu beobachten. Der ärztliche Direktor Köttgen berichtet: "Die bisherige große Zufriedenheit der Patienten in der Charité ist der hohen Motivation von Krankenschwestern, Pflegern und Ärzten zu verdanken. Wenn weiterhin über den Standort immer neu nachgedacht wird, dann werden dieses Engagement und die Motivation zerstört".

Der Rheumaspezialist Professor Burmester kennt viele Professoren - 120 neue Berufungen gab es an der Charité seit der Wiedervereinigung - , die voller Hoffnungen nach Berlin gekommen sind. "Wissenschaftler im Alter um die 50 befinden sich in einem engen Zeitfenster. Wenn Berlin keine zuverlässigen Perspektiven mehr bietet, werden sich viele Professoren nach Köln, Bonn, Heidelberg oder München wegbewerben, obwohl sie gerade nach Berlin gekommen waren, weil sie bisher hier einen hervorragenden Standort hatten. Aber die seit sieben Jahren bestehende Unsicherheit in Berlin sind wir leid."

Uwe Schlicht

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