zum Hauptinhalt

Berlin: Charité: Umgebettet

Vordergründig geht es um die Sanierung des Bettenhochhauses der Charité. Der Termin wird auf das Jahr 2005 verschoben.

Vordergründig geht es um die Sanierung des Bettenhochhauses der Charité. Der Termin wird auf das Jahr 2005 verschoben. In Wirklichkeit steht aber mehr auf dem Spiel als nur ein zeitlich verschobener Baubeginn: Es geht um die Zukunft des Standortes Mitte. Sollten 2005 die Gelder für die jährlichen Bauraten wirklich fließen, ist der reale Baubeginn in dem dringend sanierungsbedürftigen Bettenhochhaus erst im Jahr 2008 möglich. Das sagen Kenner, die über den Ablauf solcher Planungen Bescheid wissen.

Der Staatssekretär in der Wissenschaftsverwaltung, Josef Lange, denkt bereits laut darüber nach, ob die Charité künftig ihr Bettenhochhaus am Standort Mitte wird füllen können, wenn die Innere Medizin bis 2005 voll ausgebaut ist. Solche Überlegungen unterlegt er mit Bemerkungen wie: Der Wissenschaftsrat denke generell darüber nach, ob es noch so viele Universitätsklinika in Deutschland geben müsse wie bisher und ob die derzeitigen Planungsgrößen für ein Klinikum aufrechterhalten werden.

In führenden Kreisen der SPD wird außerdem erwogen, die Hochschulmedizin in Berlin völlig neu zu ordnen. Der Vorsitzende des Hauptausschusses, Hans-Peter Seitz, meint, es sei an der Zeit, jetzt die Strukturen in der Hochschulmedizin völlig neu zu ordnen. Ihm schwebt vor, nach dem Vorbild einer Krankenhaus GmbH für den städtischen Bereich nun auch in der Hochschulmedizin zu verfahren.

Der Medizinexperte der SPD denkt an eine GmbH mit den beiden Gesellschaftern Klinikum Benjamin Franklin (FU) und Charité (HU). Unter diesem Dach könnte dann ein Großklinikum der Universitäten mit zwei Standorten gemanagt werden. Dann wäre es nicht mehr nötig, nur wegen der Approbationsordnung, die eine Ausbildungsversorgung an jedem Klinikum in voller Breite vorsieht, alles in jedem Klinikum anzubieten. Völlig neue Zuordnungen in der Hochschulmedizin wären möglich: Das komme Einsparungen und Schwerpunkten zugute.

Seitz denkt darüber nach, die eigentlichen Uniklinka in Steglitz und Wedding zu konzentrieren und den Standort Mitte der Charité der Forschung vorzubehalten.

Medizin-Kosten laufen aus dem Ruder

Derartige Überlegungen stellen alle bisherigen Pläne für den Wissenschaftsstandort Berlin auf den Kopf. Jedenfalls hat der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses dem Wissenschaftssenator den Auftrag gegeben, im kommenden Jahr Pläne für eine neue Struktur der Hochschulmedizin vorzulegen.

Die Kosten für die Medizin sind der Stadt längst aus dem Ruder gelaufen. Hätte das Land Brandenburg ein eigenes Universitätsklinikum, so wären zwei Universitätsklinika mit drei Standorten allein in Berlin schon lange politisch nicht mehr haltbar. Die Freie Universität braucht ihr Klinikum Benjamin Franklin, abgesehen von der Krankenversorgung, auch wegen ihres Ranges als Volluniversität. Die Humboldt-Universität hat trotz der Fusion zwei Klinika: eines mit dem Campus Rudolf Virchow in Wedding und eines mit dem Campus Charité in Mitte. Dazu kommen noch zwei weitere Forschungsklinken in Buch.

Wie ist es zu dieser einzigartigen Konzentration in der Hochschulmedizin gekommen? Schon im Jahr 1993 hatte eine hochrangig besetzte Expertenkommission empfohlen, Berlin wieder eine nationale und internationale Ausstrahlung in der Medizin zu geben. Deswegen schlugen die Experten vor, das Renommierkrankenhaus der DDR, die Charité, mit dem besonders leistungsstarken Rudolf-Virchow-Klinikum der Freien Universität zusammenzulegen. Dass dabei ein Großklinikum entstehen würde, war gewollt und nicht etwa die unerwünschte Nebenwirkung einer Fusion.

Es gab genügend Mitglieder des Wissenschaftsrats in dieser Expertenkommission. Von daher lässt sich der Wissenschaftsrat von ähnlichen Gedanken leiten. Der Wissenschaftsrat hatte den Rückstand der deutschen medizinischen Forschung seit Jahren beklagt und einen Grund für diesen Rückstand darin gesehen, dass sich die Universitätsmediziner weniger um die Forschung gekümmert hätten als um die einträgliche Krankenversorgung. Deshalb hatte der Wissenschaftsrat empfohlen, bei künftigen Klinkneubauten gesonderte Forschungshäuser zu errichten. Das erste Universitätskrankenhaus, das nach diesem Muster gebaut wurde, war das Rudolf-Virchow-Klinikum der Freien Universität.

Durch die Fusion mit der Charité sollte nach der Wiedervereinigung eine Dimension geschaffen werden, die "eine weit über das Normalmaß hinausgehende Differenzierung erlaubt" und für "Spitzenleistungen in besonderer Weise prädestiniert" ist, forderte die Expertenkommission 1993. Sie führte weiter aus: "Mit diesem Vorschlag kann in Berlin Mitte wieder eine nationale und internationale Spitzenstellung in der Konkurrenz der medizinischen Lehr- und Forschungsstätten erreicht werden." München und Heidelberg einzuholen, war eines der Nahziele.

An diese Gedanken knüpfte die Berliner Politik an, jedenfalls solange Manfred Erhardt Wissenschaftssenator war. Bereits 1994 wurde die Fusion des Klinikums Rudolf Virchow mit der Charité beschlossen - zusammen sollten beide Klinika auf 2350 Betten kommen. Gewinner war die Humboldt-Universität, Verlierer die Freie Universität, die eine ihrer drittmittelstarken Einrichtungen verlor.

Charité sollte Priorität genießen

Der Wissenschaftsrat verstärkte in seiner Empfehlung aus dem Jahr 1998 diese Tendenz noch. Die zentrale Aussage lautete: absolute Priorität für die Charité unter den Universitätsklinika in Berlin. Selbst wenn das weiter auf Kosten des FU-Klinikums Benjamin Franklin gehen sollte. Bereits damals machte sich der Wissenschaftsrat schwere Sorgen um die Finanzfähigkeit des Landes Berlin. Das einflussreiche Expertengremium hatte keine Illusionen mehr: Berlin schien sich mit seinen ehrgeizigen Plänen in Kultur und Wissenschaft finanziell übernommen zu haben.

Einige der wichtigsten Aussagen aus dem Gutachten des Wissenschaftsrats seien hier zitiert: "Ausbau und Sanierungsmaßnahmen für die Charité und das Klinikum Benjamin Franklin erfordern kurz- und mittelfristig wesentlich größere Investitionen als derzeit im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zur Disposition stehen. An der Priorität zugunsten des Ausbaus der Charité besteht nach Ansicht des Wissenschaftsrats kein Zweifel."

Der Wissenschaftsrat billigte nur zähneknirschend, dass die Berliner Politiker inzwischen der Charité eine finanzielle Abmagerungskur aufgedrückt hatten: nämlich eine Reduzierung der für den Standort Mitte vorgesehenen 1,6 Milliarden Mark auf 800 Millionen Mark.

Der Wissenschaftsrat kommentierte diesen Kuhhandel damals so: "Der Wissenschaftsrat sieht in dieser Entwicklung eine nachhaltige Beeinträchtigung des Neuaufbaus der Charité, zumal angesichts der Tatsache, dass das Land Berlin diesen in den vergangenen Jahren stets als oberste Priorität bezeichnete." Der Wissenschaftsrat steht nach wie vor zu diesen Aussagen, wie sein Generalsekretär Winfried Benz dem Tagesspiegel mitteilte.

Die Charité-Mediziner hatten sich dem Druck des Sparzwanges gebeugt, aber sie verlangten eine Garantie. Sie wollten nicht noch weiter heruntergehandelt werden und bekamen im Jahr 1995 von den Fraktionen der Großen Koalition und dem Regierenden Bürgermeister eine Erklärung, die ihnen die Investitionssumme von 800 Millionen Mark über die Legislaturperioden hinaus innerhalb der nächsten zehn Jahre für den Standort Mitte garantierte.

Nur wollen die Politiker heute von diesem Versprechen wenig wissen. Die Kunst der Uminterpretation hat begonnen. Beredtes Beispiel dafür ist die Wortwahl des neuen Staatssekretärs Josef Lange vor dem Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses: "Es ist an der Zeit, die Summe von 800 Millionen Mark zu überprüfen. Das war eine politische Zahl. Zur Zeit wird überprüft, wie belastbar diese Zahl für den Standort Mitte ist."

Uwe Schlicht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false