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Charlottenburg-Wilmerdorf: Kampf ums Schmuckkästchen

Zwischen Gedächtniskirche und Funkturm scheint die Welt noch einigermaßen in Ordnung. Hier will die SPD-Frau Petra Merkel den CDU-Mann Ingo Schmitt zum zweiten Mal besiegen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Gemächlich rollen die Autokolonnen im Feierabendverkehr den Kaiserdamm entlang. Gesäumt von den knallroten Plakaten der SPD-Bundestagskandidatin Petra Merkel, die ihren potenziellen Wählern ein strahlendes Lächeln schenkt. Doch auf der Hälfte der breiten Ausfallstraße steht vor Kaiser’s der orange leuchtende Sonnenschirm des CDU-Bewerbers Ingo Schmitt. In schwarzem Sakko und dezent blaugestreifter Krawatte macht er den Wählern ein respektables Angebot: Infomaterial, Feuerzeuge, Skatspiele, Luftballons und Alpenveilchen. In einem Wahlkampf, der auch in Charlottenburg-Wilmersdorf kein zündendes Thema hat, wird die Politik zur Schnäppchenware – alles muss raus.

„Haben Sie denn auch ein Wahlprogramm?“ Ein älterer Herr bringt die CDU-Wahlkampfcrew kurzzeitig ins Schwitzen, aber in den Tiefen des Broschürenreservoirs findet sich auch das. Der 52-jährige Direktkandidat der Union verteilt aber lieber seinen Flyer. „Ingo Schmitt. Geradlinig. Verlässlich. Kompetent.“ Damit will er punkten. Früher war der Bundestagswahlkreis 81, mit Gedächtniskirche und Funkturm, wo das Herz des alten Berliner Westens schlägt, eine Domäne der Christdemokraten. Aber 1998 verhalf der Schwung, mit dem Gerhard Schröder und Rot-Grün im Bund die Macht übernahmen, den Sozialdemokraten in Charlottenburg-Wilmersdorf zu einem Direktmandat. 2002 und 2005 konnte die SPD-Frau Merkel den Wahlkreis vor der Konkurrenz für ihre Partei behaupten.

Bei der vergangenen Wahl traf sie im politischen Duell zum ersten Mal auf Schmitt und verwies ihn mit einem Vorsprung von 10,4 Prozent auf den zweiten Rang. Der CDU-Mann musste über die Landesliste in den Bundestag einziehen. Dieses Mal ist Schmitt nicht auf der Parteiliste abgesichert. Merkel schon. Ob sie am 27. September auch wieder im Wahlkreis siegt, ist offen. Die Meinungsforscher sehen den Unionskandidaten, geschoben vom schwarz-gelben Rückenwind im Bund, derzeit knapp vorn. Ob sie dessen besondere Geschichte bei ihrer Rechnung berücksichtigt haben? Der ehemals erfolgsverwöhnte Multifunktionär fiel 2008 innerparteilich in Ungnade und verlor den CDU-Landesvorsitz. Schon möglich, dass auch Anhänger der Union dem Direktbewerber Schmitt die Erststimme verweigern. Ganz zu schweigen von den Wählern der Grünen, Linken und FDP.

Die sozialdemokratische Merkel sagt dazu – nichts. „Da wär ich schön blöd, ich kämpfe für mich und die SPD.“ So wie vor ein paar Tagen am Prager Platz. Ein grünes Schmuckkästchen im gemütlich kleinstädtischen Wilmersdorf. Rentner, Mütter und pausierende Handwerker sitzen auf den Bänken oder trinken bei Meyerbeer einen Milchkaffee. Hier scheint die Welt an diesem spätsommerlichen Vormittag in bester Ordnung. Die 61-jährige Kandidatin ist mit einem zehnköpfigen Wahlkampfteam angerückt. Rote Poloshirts, roter Sonnenschirm, rote Luftballons, und Merkel verteilt in rotem Kostüm weiße, zartrosa und rote Rosen.

Direkt vor Aldi und dem Bäcker Kamps stehen die Genossen günstig. Das Material findet Abnehmer, die Passanten nehmen es freundlich an – oder lehnen es manchmal genauso freundlich ab. Nur ein älterer Herr ist den Berliner Sozis noch böse, „weil ihr mit der PDS zusammengegangen seid“. Eine gepflegte Dame ist verwirrt. „Merkel? Petra Merkel, ach da sind Se ja ne andere …“ Gelegentlich wird die Sozialdemokratin in eine Plauderei verwickelt. Richtig harte Diskussionen über die großen Themen der Republik bleiben aber Fehlanzeige, da geht es Merkel nicht viel anders als Schmitt. Sie ist schon froh, „dass unsere Infobroschüren überall sehr gut weggehen. Wirklich!“.

Nicht überall ist es so nett wie am Prager Platz. Auch in diesem Wahlkreis gibt es Menschen, denen es nicht so gut geht. Aber im Durchschnitt geht es ihnen besser als in Neukölln oder Wedding. Die Lebensqualität ist hoch, und in kaum einem anderen Bezirk wohnen so viele Akademiker, Ärzte und Lehrer. Soweit der gewerbliche Mittelstand in Berlin noch blüht, tut er dies auch in Charlottenburg und Wilmersdorf. Nach der 2001 vollzogenen Fusion haben sich die Bewohner beider Alt-Bezirke aneinander gewöhnt: Die ehemals preußische Residenzstadt, deren königliche Namensgeberin Sophie Charlotte bis heute in Ehren gehalten wird. Und die ehemalige Sommerfrische der Berliner Großbürger rund um die Wilhelmsaue, bis 1933 auch bevorzugter Wohnort jüdischer Künstler und Intellektueller.

Heute ist der Wahlkreis, zu dem das proletarisch geprägte Charlottenburg-Nord übrigens nicht gehört, mit seinen Sehenswürdigkeiten, Parks, Kneipen, Hotels und netten Kiezen ein touristischer Anziehungspunkt – und ein begehrter Wohnort für Berliner, die den schnelleren Rhythmus der City-Ost eher meiden. Hier wohnen in geräumigen Altbauwohnungen besonders viele in Ehren ergraute „Achtundsechziger“. Politisch gesehen ist Charlottenburg-Wilmersdorf eine starke Burg der Grünen geworden, wenn auch teilweise noch sozialdemokratisch geprägt. Mit liberal-konservativen Wählerschichten eher im Wilmersdorfer Süden. In jedem Fall ein Hort des Lokalpatriotismus. Da ist es gut für Merkel und Schmitt, dass sie beide in Charlottenburg geboren, aufgewachsen und politisch aktiv geworden sind. Sie kennen hier jeden Pflasterstein.

Aber sie sind auch im weltweiten Netz aktiv, um ihre lokalen Chancen aufzubessern. Die eigene Homepage und Facebook gehören zur Grundausrüstung. Merkel twittert zudem heftig und zeigt bei flickr.com dutzende Fotos ihres Zoobesuchs mit 27 Kita-Kindern aus sozial schwachen Familien. Schmitt zwitschert online noch etwas zaghaft und knapp neben der Wahlkampfspur („ich finde es prima, dass michael schumacher wieder in den rennwagen steigt“). In knapp drei Wochen wissen wir, wer im Bundestagswahlkreis 81 das Rennen gewonnen hat.

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