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Berlin: Chefarzt der Herzen

Er sei kein Halbgott in Weiß, sagt der bekannte Chirurg, sondern ein Handwerker – ein Besuch bei Roland Hetzer

Von Ingo Bach

Fett und schlaff liegt das Herz da. Doch drum herum herrscht hektische Betriebsamkeit. Roland Hetzer, der Chirurg, greift in den von Stahlzwingen weit geöffneten Brustkorb des Patienten, zieht schnell die OP-Tücher unter dem leblosen Muskel hervor, mit denen die Ärzte die Blutungen gestoppt hatten. Der Gewebeklumpen sackt tiefer in die Brust, wie ein Eigelb, das in ein Glas klatscht. „Das leuchtende Gelb, das ist die normale Fettschicht auf dem Organ", sagt Hetzer. Dann nimmt er den leblosen Muskel behutsam in die Hand - später wird er sagen, das sei bei jeder Operation ein ganz besonderer Moment - und massiert es leicht. Das Blut wird wieder ins Herz geleitet. Als ob es sich wieder an sein Aufgabe erinnert, beginnt es in der Hand des Chirurgen zu schlagen.

Ein Routineeingriff geht zu Ende. Die Gefäße des Kranken waren so verkalkt, dass sie zu verstopfen drohten. Also legte der Chirurg einen Bypass um die verengte Herzader. Hetzer, Direktor des Deutschen Herzzentrums auf dem Gelände des Virchow-Klinikums in Wedding, hat das schon tausende Male gemacht. Der 58-Jährige verhält sich wenig standesbewusst: „Wir sind keine Halbgötter in Weiß, wir sind Handwerker.“

Sieben Operationssäle stehen für das Handwerk zur Verfügung, in den meisten wird rund um die Uhr operiert. Die ausgedehnten Räume, vollgestopft mit Monitoren, Herz-Lungen-Maschinen und den hochmodernen OP-Tischen sind erfüllt vom Piepen und Sirren der Überwachungsgeräte. Breite Edelstahltüren schieben sich fast lautlos zur Seite, geben den grün vermummten Operateuren den Weg zum nächsten Patienten frei. Die Ärzte sind hinter dem Mundschutz und unter dem Haarnetz nur schwer zu unterscheiden. Auf den breiten Bügeln der Operationsbrillen sind mit feinem Strich die n ihrer Träger eingraviert. Musik ist bei Hetzers Team nicht zu hören, obwohl jeder Saal seine eigene Musikanlage hat. Manche Chrirurgen lieben es, während einer Operation, die Stunden dauern kann, Chopin oder auch Heavy Metal zu hören. „Ich habe früher immer Pop gehört", sagt Hetzer. „Aber je älter ich werde, desto mehr stört mich Lärm."

Hetzer spricht noch immer ein breites Bayerisch, hat er doch den größten Teil seiner Jugend und seine ersten Karriereschritte in München und Augsburg hinter sich gebracht. Doch der Durchbruch kam erst in Berlin. Hetzer hat dessen Ruf als Hauptstadt des Herzens entscheidend mitgeprägt. Der gebürtige Sudetendeutsche baute ab 1986 das Deutsche Herzzentrum auf, machte es zu einem der acht größten herzchirurgischen Zentren der Welt. Jedes Jahr öffnen die Chirurgen hier rund 3500 mal Brustkörbe, um Herzfehler zu korrigieren und Erkrankungen zu heilen. Seit 1986 hat Hetzers Team 1200 Transplantationen vorgenommen - ein deutschlandweit unerreichter Rekord.

Durch seine intensive Kooperation mit dem Medizintechnik-Unternehmen „BerlinHeart“ hat das Herzzentrum die Spitzenstellung Berlins in der Kunstherz-Technologie ausgebaut, deren Basis Emil S. Bücherl am Klinikum Charlottenburg schon vor 30 Jahren legte. Hetzer arbeitet auch mit dem Kardiologen Heinz-Peter Schultheiss von der FU zusammen, der sich seine Bekanntheit unter anderen mit einer Strahlentherapie erwarb, durch die die Gefäße von Infarkt-Patienten vor dem Zuwuchern geschützt werden.

Das Image als Zentrum der Herzmedizin hat der Stadt nun den Europäischen Kardiologen-Kongress beschert, mit rund 25 000 Teilnehmer der größte Kongress Deutschlands. Und es überrascht nicht, dass die Organisatoren Hetzer den Vorsitz in einer der Sitzungsrunden antrugen – auch wenn er kein Kardiologe ist, sondern Herzchirurg. Hetzer bringt den Unterschied auf den Punkt: „Herzchirurgen sind Kardiologen, die auch operieren können.“ Dazu lacht er sein rasselndes Lachen. Was er kann, das wird er am Sonntag für seine Kollegen vorführen. Eine seiner Operationen wird live auf eine Videoleinwand ins ICC übertragen, wo die Kardiologen tagen.

Der weltweite Bekanntheitsgrad des Herzzentrums war es auch, der Boris Jelzin, den ehemaligen russischen Präsidenten zum Patienten Hetzers machte. Im Dezember 2001 kam Jelzin mit einem ganzen Tross aus Familienangehörigen und Leibwächtern ins Herzzentrum. Der Grund: Jelzin ließ sich nach seiner Bypass-Operation nachbehandeln. „Wir haben hier schon vielen Prominenten geholfen“, sagt Hetzer – und schweigt. Kein Name-Droping kommt über sein Lippen. Dabei ließe sich doch damit hervorragend werben. „Hier zu schweigen, das ist die bessere Werbung, " sagt Hetzer. Seine prominenten Patienten legen Wert auf Diskretion, schließlich versorgt man hier keine Beinbrüche. Würde es bei einem Politiker bekannt, dass er Probleme mit dem Herzen hat, wäre sein Karriere schlagartig beendet.

Der kleine Patient, der jetzt in einem der OP-Säle operiert wird, steht erst am Anfang seiner „Karriere“. Das blonde Köpfchen des einjährigen Jungen ist zur Seite gedreht. Er schläft tief. Über dem Kopf ist ein blaues OP-Tuch gespannt. Auch der Körper ist fast nicht zu sehen, die blauen Tücher verhüllen alles. Bis auf die kleine Brust. Auch sie ist weit geöffnet. Im Vergleich zu dem erwachsenen Patienten zwei OP-Säle weiter ist alles fünf mal so klein: die kleinen Schläuche, winzige Skalpelle und schließlich das walnussgroße rosige Herz, noch ohne schützende Fettschicht. „Ich habe selbst drei Kinder, da ist man automatisch immer ein bisschen mehr emotional angesprochen“, sagt Hetzer. Obwohl der Eingriff bei dem Jungen – er hat einen angeborenen Herzklappenfehler – relativ einfach zu beheben ist, ist dies eine besondere Herausforderung. Die Eltern des kleinen Patienten sind Zeugen Jehovas. Da dürfen die Ärzte keine Blutkonserven einsetzen. Mit jedem Tropfen Blut ihres Patienten müssen sie sparsam umgehen.

Hetzer eilt weiter, er vertraut seinem Senior-Operateur, der den Jungen operiert. Visite bei einem Patienten, der gerade aus Cottbus nach Berlin verlegt wurde. Der 49-Jährige hat schon mehrere Eingriffe am Herzen hinter sich. Ihm stehen weitere bevor. Die künstliche Herzklappe, die man ihm vor einigen Jahren einsetzte, ist entzündet.

Sie muss schnellstens raus. Als Hetzer den Brustverband des Mannes für die Untersuchung löst, wird sein Gesicht ernst. Die Narbe des Eingriffes direkt auf dem Brustbein ist vereitert, die Entzündung hat sich in das Gewebe gefressen - Mediziner nennen das Fistel. Der Chirurg tastet das kranke Areal ab. Ängstlich schaut der Mann zu seinem Arzt hoch, berichtet trotzdem relativ ruhig von seiner Leidensgeschichte. Hetzer weiß, dass die Fistel die Operation komplizierter macht, weil die Keime im ganzen Körper verteilt werden könnten, wenn er die Brust öffnet. Hetzer setzt sich auf das Krankenbett. Versucht einen Scherz. „Da haben schon viele dran rumgepopelt, " sagt er zu seinem Patienten.

Er ordnet eine weitere Untersuchung an. Will sicher gehen, wie tief die Fistel reicht. Trotzdem glaubt er, dass die Operation gut gehen wird. „Wir Herzchirurgen müssen schon von Berufs wegen unerschütterliche Optimisten sein.“ Nur dann könne man den Patienten die Hoffnung glaubhaft vermitteln, die sie erwarten und die sie brauchen, um wieder gesund zu werden.

Aber auch Hetzer weiß: Nicht alles gelingt. Und in der Herzchirurgie bedeutet ein Misserfolg eben oft den Tod des Patienten. Die Sterblichkeitsrate im Herzzentrum liegt bei gerade mal 3,5 Prozent, nicht viel, aber jeder einzelne Fall geht dem Chef an die Nieren. „Ich kann mich an jeden erinnern, der trotz meiner Operation starb." Hetzer hat in seinem Klinikum die wöchentliche Komplikationskonferenz eingeführt. Jeden Mittwoch um halb sieben Uhr morgends spricht der Chef mit seinen Ärzten über das, was schiefgelaufen ist. „Um zu verhindern, dass es noch mal passiert.“ Und: „Das ist die Referenz an die Verstorbenen, damit sie nicht in der Routine verschwinden."

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