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Berlin: Christian Kopp (Geb. 1955)

Koppi kennt immer irgendjemanden und außerdem jeden Hydranten in der Stadt.

Im Juli 2008 kommt Obama in die Stadt, wird vor tausenden Menschen an der Siegessäule sprechen und ist noch nicht einmal Präsident. Die Vorbereitungen laufen. Straßenabsperrungen, Sicherheitskonzepte, alle sind auf den Beinen. Und doch, kurz bevor es losgeht, schafft es irgendein Spaßvogel, eimerweise rote Farbe auf der Fahrbahn in der Nähe der Rednertribüne zu verschütten. Und jetzt? Die große Ratlosigkeit. Bis Koppi mit seinem alten Feuerwehrwagen auftaucht. Mit seinem Feuerwehrwagen, seinem professionellen Pragmatismus und einem Hochdruckreiniger und das Geschmiere innerhalb kürzester Zeit beseitigt.

Anfang Oktober 2009 kommen die Riesen in die Stadt. Zwei gigantische mechanische Puppen. Ein Mann und ein Mädchen. Bewegen sich auf der Suche nacheinander über Tage durch Berlin. Der Mann wird aus dem Humboldtbecken steigen, das Mädchen vor dem Roten Rathaus duschen, in einem kolossalen Liegestuhl vor dem Alten Museum sanft atmend schlafen, auf einem Boot durch die Straßen schwimmen. Am Ende ihrer Odyssee werden die beiden, Onkel und Nichte, am Brandenburger Tor aufeinandertreffen, werden sich wiederfinden, vor den Augen tausender Menschen. Erdacht hat die ganze Sache eine Truppe aus Nantes, „Royale de Luxe“, Künstler, Punks, die die Berliner Organisatoren die letzten Nerven kosten. Sie brauchen Unmengen Wasser, Wasser, das auch, wie im Boot der kleinen Riesin, ständig nachfließt. Keine leichte Angelegenheit, aber genau das Richtige für Koppi. Doch der Auftrag geht an die Berliner Feuerwehr. Koppi ist enttäuscht, das Spektakel ist wie für ihn gemacht. Dann sagt die Feuerwehr ab, und der technische Leiter weiß genau, was er zu tun hat: Koppi anrufen. Die beiden kennen sich seit Jahren, sie haben oft zusammengearbeitet. Ein paar Worte nur am Telefon, kurz darauf steht Koppi neben ihm und es kann losgehen. Man bräuchte einen Traktor mit Wasserfass hinten drauf. Wo kann man so einen in Berlin auftreiben? Kein Problem, Koppi kennt jemanden. Er kennt immer irgendjemanden und außerdem jeden Hydranten in der Stadt. Ja, die Wasserbetriebe haben natürlich auch Pläne, in denen man nachschauen kann, aber Koppi fragen, geht schneller. Und dann das Ding mit dem Geysir. Die Verrückten aus Nantes wollen einen Geysir anlegen. Unweit vom Roten Rathaus wird ein immenses Loch für die Pumpe gegraben. Plötzlich kommen Mauern der historischen Altstadt zum Vorschein. Das kann doch nicht wahr sein. Koppi ruft beim technischen Leiter an: „Projektabbruch!“ Der technische Leiter ist kurz davor, das Telefon aus dem Fenster zu schmeißen. Bis Koppi anfängt zu lachen: „War’n Witz. Ick hab allet jeklärt, wir graben noch mal woanders.“

Koppi hieß eigentlich Christian Kopp und berlinerte heftig. Anke, seine Frau, sagt: „Er konnte seine Leute manchmal richtig herumkommandieren. ‚Hey, Blödmann, bring dit ma nach links!’ Aber das war nur eine Art Schutzmauer. Er war Perfektionist, und mit denen zu arbeiten, ist oft schwer. Er vergriff sich dann regelmäßig im Ton, war aber im Grunde ein herzlicher Mensch.“

Koppis Beruf: Zeltbauer für Veranstaltungen plus Wasserversorgung. Bei allen Großereignissen in und um die Stadt hat er mitgemacht: Karneval der Kulturen, Potsdamer Schlössernacht, Marathon, Sommerfest des Bundespräsidenten, die Wendefeier am 3. Oktober 1990, Kirchentage.

In der Kirche hatte auch alles angefangen. In Zehlendorf, wo er aufwuchs, in der Paulus-Gemeinde, organisierte er Basare, baute Bühnen auf, kümmerte sich um die „Taxiweihnacht“, bei der alle, die nicht mehr allein zum Krippenspiel kommen konnten, von einem Wagen abgeholt und wieder nach Hause gebracht wurden, alles umsonst. Er arbeitete beim Technischen Hilfswerk. Er wurde 1. Hauptlöschmeister bei der Freiwilligen Feuerwehr und sagte: „Wer da mitarbeitet, muss schon eine Meise haben“, denn egal, ob man gerade auf seinem eigenen Geburtstag mit zig Gästen gemütlich bei Kaffee und Kuchen sitzt, oder ob es mitten in der Nacht ist oder sonst irgendwas, man muss alles stehen und liegen lassen und losrasen.

Beruflich entschieden hat er sich aber zunächst für eine Mischung aus dem Organisatorischen und dem Mitmenschlichen. Er studierte Sozialpädagogik. Die Fälle in der Praxis waren dann oft hart. Die Leute, die er zu betreuen hatte, verplemperten das bisschen Geld, was ihnen zustand, oft für Dinge, die sie für nützlich hielten, nicht für einen Kühlschrank oder einen Tisch. Also nahm Koppi die Sache in die Hand und kaufte Kühlschrank oder Tisch selbst. Bis diese Vorgehensweise untersagt wurde. Er blieb noch eine Weile dabei, verlor dann die Geduld und gab seinen Beamtenstatus auf.

Dann begann seine Zeltaufbaulaufbahn. Selbst die Queen betrat eines seiner Exemplare.

Anke gab ihre Arbeit auf und stieg bei ihm ein, sonst hätten sie sich nicht mal mehr am Wochenende gesehen. „Er hat immer gearbeitet. Immer in blauer Arbeitslatzhose, einen Zollstock, das Handy und immer zwei, drei Kugelschreiber und einen Block in den Taschen. ‚Wat ick mir aufschreibe’, hat er gesagt, ‚macht meinen Kopf frei.’“ Irgendwann haben sie festgelegt, dass zwischendurch mal Pause sein musste. „Also, wenn der Marathon war, machten wir die kommenden zwei Tage nichts.“ Und Urlaub: „Ich kenne wegen Christian inzwischen alle Schmalspurbahnen. Da hat er abgeschaltet. Der blieb immer ein Kind und freute sich über die kleinen Dinge. Wenn es im Winter schneite oder ein Eichhörnchen vorbei kam und eine Nuss von ihm nahm.“

Er wartete lange auf eine Spenderlunge. Atemnot und Herzschmerzen, eine Fibrose. Für die Transplantation musste er abnehmen, 40 Kilo von 138. Das hat er geschafft, die Operation lief gut. Dann aber stieß sein Körper das fremde Organ ab.

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