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Berlin: Christian Skrzyposzek, geb. 1943: Der polnische Schriftsteller kam 1971 als Dissident nach Berlin

Sein Gang war schwankend, unkontrolliert. "Wer Christian Skrzyposzek sah, dachte er sei Alkoholiker", sagt Wojciech Mroz, polnischer Radiojournalist und Nachbar von Skrzyposzek.

Sein Gang war schwankend, unkontrolliert. "Wer Christian Skrzyposzek sah, dachte er sei Alkoholiker", sagt Wojciech Mroz, polnischer Radiojournalist und Nachbar von Skrzyposzek. Kaum einer im Kiez rund um die Marburger Straße wusste, dass der 1971 nach Berlin emigrierte Pole ein Schriftsteller war. Eine fortschreitende Lähmung machte seine Bewegungen immer ungelenker. Die langen Haare, der Hut oder das Stirnband waren Protest, Ausdruck eines eigenwilligen Charakters. Ein Porträt der polnischen Malerin Ela Wozniewksa zeigt ihn, die rechte Augenbraue skeptisch nach oben gezogen, mit kritisch-traurigem Blick.

Rein äußerlich war Christian Skrzyposzek eine beeindruckende, aber keineswegs einnehmende Persönlichkeit. Dennoch hatte er viele Freunde und Bekannte, auch jenseits literarischer Zirkel. Wo auch immer er auftauchte, der Schriftsteller stand im Mittelpunkt. "Er war ein klassischer Intellektueller, konnte mit allen Menschen - egal aus welcher Schicht - interessante Gespräche führen", sagt Ela Wozniewska. Für die Grafikerin war Skrzyposzek ein Mentor. Per Anzeige als Aushilfe für eine Party des Schriftstellers engagiert, lernten sich die beiden kennen. "Es gab niemand, zu dem ich ein größeres Vertrauen hatte", sagt die Künstlerin.

Der Schriftsteller war gern in Gesellschaft, doch mit seinem Spott und seiner Ironie stieß er diejenigen, die ihn nicht gut kannten, vor den Kopf. Einige wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Skrzyposzek war ein Mann, der Extreme liebte, und er war streng. Streng mit anderen, aber auch streng mit sich selbst. Er war das, was man umgangssprachlich einen schrägen Typen nennt, oder auch: ein Original.

Deutsch sprechen verboten

1943 wurde Christian Skrzyposzek in der oberschlesischen Stadt Königshütte (Chrozow) in eine verworrene Welt hineingeboren. Es war Krieg, und der polnische Vater konnte bei der Geburt nicht dabei sein. Ihn hatten die Nationalsozialisten kurz vorher ins Konzentrationslager gebracht. Die Mutter, eine Deutsche, war auf sich selbst gestellt. Als der Vater mit seinen schrecklichen Erinnerungen und Erlebnissen zurückkehrte, durfte im Haus nicht mehr Deutsch gesprochen werden. Wir sind Polen, verkündete er. Strenge und Härte wurden zu den zentralen Erziehungsmethoden. Die eigenen Kinder sollten auf die Schrecklichkeiten der Welt vorbereitet sein. In Christian Skrzyposzek weckte das früh Widerstandsgeist. Zwar machte er - wie der Vater es wollte - eine Ausbildung als Pianist, aber von seinem Ziel, Schriftsteller zu werden, ließ er sich nicht abbringen. Er studierte Literaturwissenschaften in Warschau und arbeitete für verschiedene polnische Literaturzeitschriften. Er trat in Opposition zum kommunistischen Regime. Doch in Polen sah er für sich keine Zukunft.

1969 verließ er das Land. Nach längeren Aufenthalten in Österreich, Schweden und West-Deutschland kam er 1971 nach Berlin. Skrzyposzek setzte seine literarische Arbeit fort. Bis Anfang der achtziger Jahre arbeitete er an seinem ersten Roman "Freie Tribüne", einer autobiografisch geprägten Abrechnung mit dem polnischen Regime. Der Roman erschien 1983 in Berlin. In Polen durfte er zunächst nicht veröffentlicht werden. Dennoch brachte ihm das Buch in der Heimat das Renomee als oppositioneller Schriftsteller ein.

Kraftakte gegen die Krankheit

Kurz nach Erscheinen des Buches erkrankte Skrzyposzek. Die schleichende Lähmung erfasste seinen Körper. "Zunächst dachten die Ärzte, es sei Parkinson", sagt Ela Wozniewska, "aber das war es nicht. Bis zum Schluss konnten die Mediziner keine eindeutige Diagnose stellen." Skrzyposzek, dem prophezeit wurde, dass er schon bald im Rollstuhl sitzen müsse, begann einen neuen Kampf. Nachbar Wojciech Mrosz erinnert sich: "Anfang der neunziger Jahre war ich wegen meiner neugeborenen Tochter schon früh morgens auf dem Balkon. Von dort konnte ich Christian beobachten, wie er pünktlich um sechs Uhr seine Runden im Park drehte." Skrzyposzek stemmte Hanteln, trainierte seine Beinmuskulatur. Er band sich ein Gewicht auf den Rücken und lief die Treppen zu seiner Wohnung im dritten Stock immer wieder rauf und runter.

16 Jahre kämpfte er gegen die Krankheit. Wenig Energie blieb für die Literatur. Allein der körperliche Akt des Schreibens fiel dem Mittfünfziger immer schwerer. Zu kompromisslos, um sich mit anderen Arbeiten zu beschäftigen, zu stolz, um die Hilfe von Freunden anzunehmen, lebte er am Rande der Armut. Erst 1996 erschien Skrzyposzeks zweiter Roman "Mojra", diesmal nur in Polen. Die unerfüllte Liebe eines behinderten Mannes ist das Hauptmotiv des Romans und basiert auf Skrzyposzeks eigenen Erfahrungen. Tatsächlich verliebte er sich in eine Polin, die ein behindertes Kind hat. Es entwickelte sich eine Beziehung. "Christian dachte zum ersten Mal seit 1969 ernsthaft daran nach Polen zurückzukehren", sagt Ela Wozniewska. Doch der Traum vom Neuanfang zerplatzte. Gleichzeitig verschlechterte sich Skrzyposzeks körperlicher Zustand. Seine Hoffnung begann zu schwinden.

Einsam, stolz und verfolgt von der Angst, literarisch wenig hinterlassen zu haben, wurde er des Lebens müde. Als Ela Wozniewska ihn während eines Spanienaufenthaltes in Berlin anruft und sich mit ihm in Deutschland verabreden will, sagt er: "Ich weiß nicht, ob wir uns wiedersehen." Eine Woche später springt Christian Skrzyposzek aus dem Fenster seiner Wohnung im dritten Stock. Kurz nach seinem Tod entschied ein polnischer Verlag, Christian Skrzyposzeks bedeutendstes Werk "Freie Tribüne" in Polen zu veröffentlichen.

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