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Berlin: Christina Rau: Mit kleinen Schritten große Kreise ziehen

Christina Rau ist nicht die Art Frau, die ihr Herz ständig auf der Zunge spazieren trägt. Anders als der Bundespräsident, der voller Anekdoten steckt, ist sie eher ein stiller Typ.

Christina Rau ist nicht die Art Frau, die ihr Herz ständig auf der Zunge spazieren trägt. Anders als der Bundespräsident, der voller Anekdoten steckt, ist sie eher ein stiller Typ. Begeistern kann sie sich aber für die Projekte, die sie besonders unterstützt. Dies ist nun mal die Zeit des Jahres, in der sich viele fragen, für welche guten Zwecke man spenden sollte, und Christina Rau gehört zu denen, die Orientierung geben. Zum Treffen im Schloss erscheint sie in einem leuchtend roten Kostüm. Ein offizieller Termin wartet im weiteren Verlauf des Tages, aber noch ist Lässigkeit angesagt, personifiziert von Hund Scooter, der artig neben ihr übers Schlossparkett trabt, aber für sich selber offensichtlich findet, mit dem korrekten Tragen der Steuermarke habe er nun erst mal genug fürs Gemeinwohl getan. Das Gespräch über förderungswürdige Projekte kommentiert er mit kräftigem Gähnen.

Umso engagierter erzählt Christina Rau von ihrer Reise durch Brasilien, wo sie sich kürzlich über die Projekte der Kindernothilfe informiert hat. Für diese Organisation engagiert sie sich seit langem. Es gibt sie schon seit 1959, und man kann dort für einen festen Monatsbetrag (derzeit 60 Mark) eine Patenschaft für ein Kind in der Dritten Welt übernehmen, dem damit eine Ausbildung ermöglicht wird. Seit kurzem gibt es eine Stiftung, die die Arbeit noch unabhängiger machen soll vom jeweils aktuellen Spendenaufkommen; zusätzlich sind Zustiftungen möglich. "Wenn jemand keine eigenen Kinder hat oder sein Erbe in guten Händen wissen will, kann er einen größeren Betrag zur Verfügung stellen und auch mitbestimmen, wo der hinfließen soll." Die von der Kindernothilfe geförderten Jugendlichen lässt man bewusst in ihrer Umgebung; denn dort zieht das Programm Kreise. Jugendliche, die selbstbewusst sind und etwas gelernt haben, geben das Wissen an ihre Familien weiter. "So erreichen wir tatsächlich viel mehr Leute." Besonders beeindruckt hat sie der Zusammenschluss von 300 jungen Müllsammlern, die nun mit Hilfe einer Ausbildung gemeinsam dem Elend entkommen. 130 000 Kinder profitieren insgesamt von der Förderung.

Während Scooter sein spätvormittägliches Nickerchen hält, macht Christina Rau aus ihrer Begeisterung für die Wirkungen dieser Projekte auch in anderen Ländern keinen Hehl: "Man muss Dinge einfach anpacken. Ich bin dankbar, dass es so viele positive Zeichen gibt."

Politik? Lieber nicht!

Reicht ihr das aus? Klar, dass die studierte Politikwissenschaftlerin nicht erst seit der erfolgreichen Hillary-Kampagne in New York gelegentlich nach eigenen politischen Ambitionen gefragt wird. Die wehrt sie lachend ab. Ihre (ehrenamtliche) Arbeit im sozialen Bereich findet sie nicht nur abwechslungsreich, sondern auch erfreulicher und erfüllender.

"Was sollte ich in der Politik? Ich kann hier ungeheuer viel bewirken." In ihrer Berliner Zeit hat sie bereits zahlreiche Kontakte geknüpft auch zu jungen Internet-Unternehmen. Zu den neuen Projekten, die sie unterstützt, gehört deshalb "Stern für Kinder", eine Initiative mit dem Ziel, Kinder in Krankenhäusern mit Computern zu vernetzen, damit sie nicht so einsam sind.

Neue Netzwerke ziehen neues Engagement nach sich, jedenfalls in ihrem Fall. Wie so viele Politiker, die hierher gezogen sind, hat sich auch die erste Familie des Staates für sie selbst fast überraschend schnell eingelebt. "Unsere Kinder, die am Anfang skeptisch waren, sind hier völlig zu Hause und haben viele neue Freunde gefunden." Hat sich ihre eigene Weltsicht verändert? Schließlich hatte man auch von den Abgeordneten erwartet, dass sich in Berlin ihr Blick weiten würde, auch für die sozialen Probleme, die wirklich brennend sind. Dass sich die Perspektiven der Politik verschoben haben nach dem großen Umzug, dass die Politiker in Berlin mehr vom wirklichen Leben zu sehen und zu spüren bekommen als im idyllischen Bonn, glaubt sie nicht: "Schließlich haben die Abgeordneten am Wochenende genug Gelegenheit, das wirkliche Leben in ihren Wahlkreisen zu beobachten." Sie glaubt auch nicht, dass sich gesellschaftliches und kulturelles Leben künftig ganz auf Berlin konzentriert. Nach ihrer Überzeugung nimmt die Bedeutung der Regionen eher zu. Das Selbstbewusstsein in den Ländern bleibt ihr bei Reisen, die sie mit dem Bundespräsidenten unternimmt, nicht verborgen. Die Besuche im reichen Hamburg nennt sie stellvertretend für viele andere. "Berlin hat es doch schwer, wegen der weggefallenen Zulagen."

Christina Rau wirkt wie eine geborene Diplomatin, nicht nur, wenn sie repräsentiert, sondern auch, wenn die Sprache auf ihre Lust an ausgefallenen Betätigungen kommt. Vor einigen Wochen machte ihr Flug mit einem Tornado Schlagzeilen. "Ein unglaubliches Erlebnis", schwärmt sie spontan, um dann vorsichtig hinzuzufügen: "Jede Frau muss für sich prüfen, ob sie den Belastungen und der Verpflichtung gewachsen ist." Für die langjährige Fallschirmspringerin wäre das offensichtlich kein Problem.

"Sie hat einfach vor nichts Angst", sagt Johannes Rau mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Bewunderung, wenn er auf die sportlichen Aktivitäten seiner Frau angesprochen wird. Die Rolle als Ehrenjagdherrin bei der Hubertusjagd etwa findet sie selber gar nicht abenteuerlich: "Das ist ja keine Hetzjagd, sondern ein Ritt im großen Verbund, eine ganz harmlose Schleppjagd". Je mehr sie tut, desto mehr Anfragen gibt es von Organisationen, die sie als Schirmherrin wollen. Meist tut es ihr leid abzusagen, aber: "Man kann einfach nicht alles machen." Allerdings wünscht sie sich, "dass auch weiterhin Leute in die Politik gehen, bei denen man sich gut aufgehoben fühlt, Menschen, die sich aufrichtig um das Gemeinwohl sorgen".

Aufglimmende Herzlichkeit

Obwohl sie sich selber auch künftig abseits der Macht-Arenen engagieren will, scheut sie brisantes Terrain nicht. Derzeit denkt sie darüber nach, bei einer Initiative gegen Rechtsradikalismus mitzumachen. "Neonazismus ist ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit, und je mehr kleine Projekte und Initiativen es gibt, die Halt und Hoffnung geben wollen, umso mehr Wirkung wird erzielt." Ihr Lieblingskonzept: Rechtsradikalen Jugendlichen einen Sinn zu vermitteln, indem man sie für eine Weile in Entwicklungsländer schickt; das könnte wirklich vielversprechend sein. Fast bricht wieder Begeisterung durch bei dem Gedanken, wie man den Horizont dieser Leute weiten könnte, aber dann dämpft sie sich, weil das konkrete Projekt noch nicht spruchreif sei.

Mit ihrer zurückhaltenden Art bietet sie die perfekte Ergänzung zur volkstümlichen Ausstrahlung des Bundespräsidenten, der noch deutlicher als seine Vorgänger wirklich alle Schichten anspricht. Dass dies auf seine Vergangenheit als Vollblutpolitiker zurückzuführen sei, mag sie allerdings nicht gelten lassen.

Der Ursprung dieser Ausstrahlung ist für sie genau der Gleiche, der sie selbst zur Fürsorge für andere treibt: "Mein Mann ist ein Mensch, der völlig vorurteilsfrei auf andere Menschen zugeht. Das entspringt seinem christlichen Glauben." Wieder schimmert ihr Temperament durch. Manchmal muss sie aber auch einfach spontan lachen, zum Beispiel über Scooter, der, das baldige Ende des Gespräches ahnend, sich zu eindrucksvoller Größe emporreckt. Vielleicht liegt es an den plötzlich aufglimmenden Phasen von Spontaneität und Herzlichkeit, dass sie so oft zu hören bekommt: "Eigentlich hatte ich Sie mir ganz anders vorgestellt."

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