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Berlin: Christlicher Querkopf

Das alte West-Berlin aus Sicht eines Konservativen

So fühlte sich das an: In den fünfziger und sechziger Jahren war West-Berlin eine Stadt, die „auf hohem künstlerischen Niveau vegetierte“. Für das Niveau bürgten Gottfried Benn (bis zu seinem Tod 1956), Melvin Lasky, Uwe Johnson, Günter Grass. Derjenige, der hier Grass dafür lobt, dass er West-Berliner wurde, gehört zu den Bürgerlich-Konservativen in der Berliner CDU. Doch Uwe Lehmann-Brauns ist es noch nie darum gegangen, parteikonform über Leute zu urteilen.

Der Berliner Kulturpolitiker war immer einer, dem „die Einheit“ ein Leitmotiv war, auch und gerade, als sie auch der CDU etwas aus dem Blick geriet. Wie immer durchdringen sich das Politische und das Private: Lehmann-Brauns wurde zum Fluchthelfer – die junge Frau, der er 1970 zur Freiheit verhalf, heiratete er bald danach. Das Aufnahmelager Marienfelde, Stasi-Aktivitäten im Westen – Lehmann-Brauns hat das alles kennen gelernt und erlebt. Das ist das andere West-Berlin, das in den frühen Siebzigern nicht im Zeichen der Studentenbewegung stand, sondern im Schatten der Teilung. Ganz auf der CDU-Linie war er trotzdem nicht. Lehmann-Brauns, Jahrgang 1938, bekennt sich in seinem Buch, das autobiographische und feuilletonistische Züge hat, zur Querköpfigkeit. Die von ihm mitgegründete „Reformergruppe“ in der CDU wurde schnell zum „Fremdkörper in dem damals herrschenden Mief und Muff“. Lehmann-Brauns entwirft ein ungewohntes Bild von West-Berlin und von denen, die in der Stadt etwas galten. Hier hat sich einer eigene, teils schräge Gedanken gemacht, einer, der vor politischer Randständigkeit nie Angst hatte. Jetzt ist er Bürger der vereinten Stadt – und trotzdem kritisch-querköpfig geblieben.

— Uwe LehmannBrauns: Die verschmähte Nation. Berliner Begegnungen. Hohenheim Verlag, Stuttgart, Leipzig,

238 Seiten, 18 Euro.

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