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Bei einem nächtlichen Sturz aus dem 4. Stock hat sich Mia schwer verletzt. Nun trainiert sie in der neurologischen Rehabilitation ihre Selbständigkeit.

© Magdalene Weber

Computerspiele: Reha mit Roboter

Mia war schwer gestürzt, aus dem vierten Stock. In der Reha lernt sie jetzt, sich wieder zu bewegen. Computerspiele helfen ihr dabei.

Ein Unfall, eine Querschnittslähmung, ein monatelanger Klinikaufenthalt – wer die Geschichte von Mia Sajtic hört, könnte leicht denken, dass das Mädchen sehr viel Pech in ihrem Leben hatte. Sie selbst sieht das jedoch anders. Ganz anders. „Ich hatte verdammt viel Glück“, sagt sie und klingt dabei nicht nur überzeugt, sondern auch sehr überzeugend. Denn sie hat ja Recht: Es war Glück, damals im Spätsommer 2015. Als sie schlafwandelte und aus dem Fenster stürzte, in den Innenhof des Hauses in Berlin-Neukölln, in dem sie mit ihren getrennt lebenden Eltern wohnte: im Vorderhaus, erstes OG, bei ihrer Mutter – und im Hinterhaus, 4. OG, bei ihrem Vater. In jener Nacht hatte sie bei ihrem Vater geschlafen. Also ja: Glück. Als was sonst sollte man es bezeichnen, wenn man einen Sturz aus solch einer Höhe überlebt?

Mia kam schwer verletzt ins Krankenhaus. Ihr linker Arm war mehrfach gebrochen, am Handgelenk trat der Knochen aus. Dort hat sie nun eine große Narbe. Außerdem wurde ihr Rückenmark beschädigt, im Bereich der Brustwirbelsäule. Von dort ab ist sie seitdem gelähmt. „Ich kann meine Beine nicht mehr bewegen“, sagt sie. „Und außer einem leichten Kribbeln spüre ich sie auch nicht mehr.“ Das Gefühl wird wohl nicht mehr in ihre Beine zurückkehren. Ihren linken Arm kann Mia jedoch schon wieder ziemlich gut benutzen. „Und zwar jeden Monat ein Stückchen mehr“, sagt sie stolz.

Das hat sie in der Helios Klinik Hohenstücken gelernt, die in Brandenburg an der Havel liegt und auf die neurologische Reha von Kindern und Jugendlichen spezialisiert ist. Hierher kam Mia, als sie drei Wochen nach dem Unfall aus dem Krankenhaus entlassen wurde. „Damals konnte ich absolut nichts“, sagt sie. Jetzt, rund neun Monate später, sieht das ganz anders aus. „Ich bin wieder viel selbstständiger, habe gelernt, klarzukommen.“ Ihr Lachen lässt kaum einen Zweifel daran, dass das stimmt. Doch dafür, für dieses Klarkommen, musste Mia auch einiges tun: neben zwei Stunden Schule hat sie täglich mehrere Stunden Therapie, bis in den Nachmittag hinein.

Einkaufen mit Roboterarm

In der Ergotherapie hat sie beispielsweise gelernt, ihren linken Arm wieder zu benutzen, ihn zu drehen, zu strecken, die Finger zu bewegen, mit ihnen zuzudrücken. Anfangs hat sie dafür vor allem „Hütchen umgedreht“, wie sie sagt. „Das war schon ein bisschen langweilig.“ Seit zwei Monaten trainiert sie jedoch mit einem neuen Gerät, dem sogenannten Armeo Spring. Dabei wird der Arm in eine Art Roboterarm eingelegt, die Hand umfasst einen Knauf. Sensoren zeichnen dann die einzelnen Bewegungen auf – und übertragen sie auf einen Bildschirm vor ihr, direkt hinein in ein Computerspiel. Das heißt: Mia wirft Frisbeescheiben auf bunte Luftballons, zielt mit Kanonenkugeln auf Comic-Skelette, die sich in den Masten von Piratenschiffen verstecken, greift Äpfel und Birnen aus Regalen, um sie in Einkaufskörbe zu legen – und trainiert wie nebenbei ihren Arm und ihre Hand. Rund fünf Minuten dauert so ein Spiel, vier bis fünf spielt sie in einer Sitzung. „Das hat echt schon viel gebracht“, sagt sie und streckt wie zum Beweis beide Arme nebeneinander aus: Den linken kann sie schon fast wieder soweit drehen wie den rechten.

In der Physiotherapie geht es dann vor allem um ihre Beine, um ihre Lähmung, um ihr neues Leben im Rollstuhl. Oder, wie Mia sagt: „um meine Selbstständigkeit.“ Sich aufstützen, umsetzen, aufrecht halten – all das lernt sie dort. Genauso, wie den Alltag zu meistern und zum Beispiel Bordsteine zu überwinden. Jeden zweiten Donnerstag steht außerdem Rolli-Basketball auf dem Programm. „Mittlerweile habe ich mich total an den Rollstuhl gewöhnt“, sagt Mia. „Es ist manchmal noch ein wenig anstrengend, aber es funktioniert. Fast genauso wie früher meine Beine.“

Trotzdem ist natürlich nicht alles wie früher, wie vor dem Unfall: Wenn sie die Reha-Klinik in diesem Sommer verlässt, wird Mia mit ihrer Mutter in eine neue Wohnung ziehen. Die alte ist zu eng, zu klein, nicht barrierefrei. Auch ihre alte Schule ist nicht barrierefrei, deshalb wird Mia nach den Sommerferien in die siebte Klasse der Sophie-Scholl-Schule in Berlin-Schöneberg wechseln. „Da bin ich dann auch nicht die einzige mit Rolli, das ist gut“, sagt sie.

Neue Wohnung, neue Schule, ein durch einen Unfall erzwungenes neues Leben – hatte Mia nicht vielleicht doch sehr viel Pech? Das Mädchen schüttelt den Kopf. „Ich habe ganz viel Unterstützung und auch tolle Freunde“, sagt sie: alte Freunde von der Schule, und neue, die sie hier in der Reha-Klinik kennengelernt habe. Außerdem habe sie sich bei der neuen Schule für den Fachbereich Kunst beworben, habe dafür zehn Bilder gemalt – und wurde aufgenommen. „Das heißt: Ich habe sechs Stunden die Woche Kunst!“ Mia strahlt. Denn sechs Stunden Kunst – was ist das, wenn nicht ein ziemlich großes Glück?

Im August erscheint der neue große Vergleich von mehr als 60 Rehaeinrichtungen in der Region unter dem Titel „Tagesspiegel Reha Berlin-Brandenburg 2016/2017“.

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