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Bauklötze. Die Flüchtlingsunterkunft in Köpenick besteht aus 252 aneinandergebauten Einzelcontainern.

© Hendrik Lehmann

Container-Architektur in Berlin: Zwischenräume

Container bieten Platz für nahezu alles. Neben Gütern, Flüchtlingen, Kunst und Studenten steckt in ihnen deshalb auch eine mögliche Stadt der Zukunft.

Von Hendrik Lehmann

"Ist hier dann Krieg?“, fragt ein Mädchen im Grundschulalter, während es eine etwa Vierjährige, großflächige Spuren von Schokoeis um den Mund, im Buggy an einer mehrstöckigen Reihe frisch aufgestellter Wohncontainer entlangschiebt. Es ist nasswarm und Mitte Dezember. Die Menschen, die in die Container inmitten der Köpenicker Plattenbausiedlung Allende II einziehen sollen, sind noch nicht da. Nur der Konflikt um ihre Unterbringung beherrscht schon die Gespräche, auch beim Nachwuchs: „Die, die da rein kommen, die kommen doch aus dem Krieg. Dann ist hier doch auch Krieg, oder?“, sagt die Siebenjährige jetzt. Ihre Mutter habe ihr erzählt, manche von den Kindern würden in ihre Klasse kommen. Da müsse sie aufpassen, die würden den anderen Kindern ihre Sachen klauen. Die Vierjährige guckt verdutzt auf das Resteis in ihrer Hand. „Ich gehe dann jedenfalls nicht mehr alleine raus“, sagt die Ältere und schiebt den Buggy weiter gegen das Grau der Platten.

Was ist hier los? Eine paar Schritt entfernt, von einem Stück sanddurchsetzter Grünfläche aus, hat man einen besseren Überblick. Von dort zu sehen sind im Vordergrund, drei Stockwerke hoch gestapelt, diese 252 Kisten für die Flüchtlinge, ihr Grau hier und da durch Blenden in Elementarfarben kaschiert. Rings herum stehen Plattenbauten und gucken auf die Container herab. Zehn bis 21 Stockwerke hoch, ebenfalls grau, ebenfalls teilweise durch farbige Vierecke kaschiert. Was vorher leicht zu ignorierende Brache war, ist Bühne geworden, eine Art Rundbühne, die Container und ein paar Pappeln als Bühnenbild.

Was aber wird hier gespielt? Schon wieder das abgedroschene Stück von den Fremden und denen, die wollen, dass alles bleibt, wie es nie war? Auch das. Doch ein weiterer Schritt zurück, diesmal ein mentaler, gibt noch eine andere Sicht frei. Was hier grau in grau einander gegenübersteht, sind nicht nur Container und Plattenbauten, Geflüchtete und alteingesessene Arbeiter, Globalisierung und piefiger Rassismus. Hier prallen auch die Ergebnisse von zwei sehr verschiedenen architektonischen Utopien aufeinander, zwei Träume von einer idealen Stadt.

Die DDR-Wohnungsbaukombinate, die auch Allende II gebaut haben, waren von den Stadtplanungsidealen des französischen Architekten Le Corbusier beeinflusst. Die Stadt als Maschine, alles aufeinander abgestimmt, gut verzahnt, aber klar getrennt: „Wohneinheiten“ von Industriegebieten, die wiederum von Vergnügungsvierteln, verbunden durch Verkehrsachsen. Der hier zu produzierende Mensch sollte gesund sein. Also Hochhäuser, damit rings herum Platz für Natur blieb. Er sollte gleich sein. Also mussten Wohnungen möglichst seriell produziert und ähnlich groß sein. Und er sollte bürokratisch kontrolliert werden und reibungslos funktionieren. So wie Allende II, zwei Kilometer entfernt von der nächsten S-Bahn-Station, unweit der dicht gemachten DDR-Großbetriebe und mitten im Wald.

Während in den 1960ern die Plattenbauer schon ihre Stockwerke stapelten, tauchte aber noch eine weitere Utopie auf: die Stadt als anpassungsfähiger Organismus. Die britische Architektengruppe Archigram entwarf die „Plug-In City“, ein gigantisches Kapselsystem, das ständig neu zusammengesteckt werden könnte, anpassbar an sich ununterbrochen ändernde Wirtschafts- und Konsumtrends. In mobilen Kapseln sollten alle Bereiche des Lebens untergebracht werden. Die Wohnmodule sollten mit ihrem Bewohner umziehen, fortbewegt von Kränen.

Keiner der Vorschläge der Gruppe wurde je umgesetzt. Die Idee des Kapselsystems aber hat die großen Städte längst erreicht, in Form von Containern. Heute beherbergen die Blechkisten die unterschiedlichsten Dinge, von Kaffeebohnen über Büroangestellte bis hin zu Kleinkindern in spontan aufgestellten Kitas. Geschätzt sind aktuell alleine 200.000 Container für solche Übergangsbauten in Deutschland im Einsatz. Aber woher kommen sie eigentlich? Was machen sie hier? Und wie lebt es sich mit ihnen?

Die Schnittstelle

Stapelware. Weil ihre genormten Maße den Handel erleichtern, wird jedes Jahr mehr in Containern verfrachtet.
Stapelware. Weil ihre genormten Maße den Handel erleichtern, wird jedes Jahr mehr in Containern verfrachtet.

© Hendrik Lehmann

Angefangen wird da, wo Container in die Stadt gelangen. Das Containerterminal am Westhafen in Wedding ist das größte in Berlin, nebenbei das einzige von fünf für die Region wesentlichen Güterverteilerzentren, das sich innerhalb der Stadtgrenzen befindet. Auf dem Gelände der Behala, der stadteigenen Betreibergesellschaft des Hafens, führen Züge, Lkws, Binnenschiffe und Männchen in gelben Warnwesten ein chaotisches Ballett auf. Eines der Männchen ist Kevin Lietz, gelernter Bürokaufmann und Vorarbeiter des Containerterminals. Ob er sich als Choreograf sieht? „Nein, das ist mir nicht pragmatisch genug“, sagt Lietz. „Ich sehe mich eher als Schnittstelle. Zwischen meinen Mitarbeitern, den Kunden und der Firma.“ Dann überlegt er noch einmal kurz. „Na ja, vielleicht als Dominospieler. Alles steht in Reih und Glied, man darf nur nichts umfallen lassen.“

Lietz ist eine gute Schnittstelle. Viel gutes Zureden und schnelles Reagieren ist notwendig, damit die ganze Güterumverteilerei reibungslos klappt.

Um seinen Job braucht sich der Terminalleiter wohl keine Sorgen zu machen. Der Containerhandel boomt weltweit, seit 1956 ein US-Unternehmer anfing, Anhänger von Lastern direkt auf Schiffe zu verladen, inspiriert angeblich von einer Zigarettenschachtel. Die Erfolgsgeschichte ist schnell erklärt: „Der Container kann alles transportieren, er ist eine Mehrwegverpackung“, freut sich Lietz, und fährt, energischer, fort, „was drin ist, ist uns völlig egal, das ist der Vorteil.“ Tatsächlich haben die Blechkisten seit ihrer Erfindung nicht weniger als die Weltwirtschaft umgestapelt. Alles kann nun überall produziert werden. Es ist zunehmend egal, wo es letztlich konsumiert wird. Das macht auch ihre Faszination aus, findet Lietz: „Nichts ist so sehr Symbol der Globalisierung wie der Container.“ Zwei Drittel des globalen grenzüberschreitenden Handels wird mittlerweile in den Metallschachteln bewerkstelligt.

Der Erfolg gründet auf genormten Maßen. Der 20-Fuß-Standardcontainer misst 6,06 mal 2,44 mal 2,59 Meter. Üblich sind außerdem 30-Fuß- und 40-Fuß-Modelle, leicht höhere Versionen und solche mit Sonderfunktionen, Kühlung etwa. Das Volumen von allen Containerladungen wird jedoch stets in TEU, „Twenty-Foot-Equivalent Unit“, den Maßen des Normcontainers berechnet. Die weltweite Containerflotte umfasst über 35 Millionen TEU. Ungefähr 110.000 TEU davon wurden 2014 im Westhafen umgeschlagen, sagt Lietz.

Kevin Lietz ist Leiter des Containerterminals der BEHALA am Westhafen.
Kevin Lietz ist Leiter des Containerterminals der BEHALA am Westhafen.

© Hendrik Lehmann

Weil Container genormte Tragösen an ihren Ecken haben, sogenannte „Corner Castings“, können sie überall von den ebenfalls genormten Kränen, Lastern und Schiffen bewegt werden. Und weil man dafür kaum noch Menschen braucht, nahmen die „Schachtelschiffe“ ab den 60ern Zigtausenden erfolglos protestierenden Hafenarbeiter weltweit den Job.

Im Containerterminal am Westhafen arbeiten heute vier Personen pro Schicht. Die meisten Container kommen nachts per Zug an. Sie werden von einem der beiden Kräne abgestellt, um am Tag darauf auf Laster verladen zu werden. Der Lastwagenfahrer kutschiert die Kiste zum geplanten Empfänger, abzulesen an der Identifizierungsnummer, die jede Büchse trägt. Ist der Container entladen, kommt ein anderer Laster und bringt ihn zurück zum Westhafen, zurück auf den Zug. Im Idealfall wird er auf dem Rückweg neu beladen. „Berlin ist eine Senke in der Containerlogistik“, erklärt Lietz. Seit dem Niedergang der Industrie wird in der Stadt weit mehr konsumiert als produziert. So einige Container werden deshalb leer zurück zu den großen Häfen transportiert. Das ist ein globaler Trend. 30 Prozent der weltweiten Containerbewegungen sind mittlerweile Leertransporte.

Und während noch lange kein Ende der Containerflut in Sicht ist, der weltweite Markt für Container dreimal so schnell wächst wie die Weltwirtschaft, kommen immer mehr Bastler und Architekten auf neue Nutzungsmöglichkeiten der Stahlboxen. Selbst auf solche, die ihren stetigen Transport eindämmen sollen. Aber dazu später mehr.

Lebenskapseln

Raumlager. Rund 1500 Containermodule des Touax-Konzerns sind in und um Berlin aktuell vermietet.
Raumlager. Rund 1500 Containermodule des Touax-Konzerns sind in und um Berlin aktuell vermietet.

© Hendrik Lehmann

Vorerst geht es zu den Containern, aus denen auch das Flüchtlingsheim in Allende II zusammengesteckt wurde. Container für den Modulbau. Hier in Vogelsdorf, östlich von Berlin, kommen ebenfalls ununterbrochen Laster mit leeren Containern an. Sie haben die gleichen Standardabmessungen wie der genormte 20-Fuß-Frachtcontainer. Nur ein bisschen höher sind sie, so will es die Bauvorschrift für Gebäude. Ununterbrochen werden sie von einem Riesengabelstapler zu einer unzugänglichen Geisterstadt zusammengestapelt. Die Fenster fehlen, in manchen sind die Rollläden halb heruntergelassen, durch fehlende Türen weht der Wind.

Hier ist das regionale Touax-Depot, das Reich von Martin Hiemer, Industrieingenieur und Filialleiter des Touax-Konzerns. Auch Touax hat mit Schiffen angefangen, 1855 auf der Pariser Seine. Inzwischen verdient man Geld parallel mit Flussschifffahrt, Güterwaggons, Transportcontainern und Modulbau. Alleine in Deutschland umfasst die Mietflotte 14.500 Containermodule, 1500 davon stehen zurzeit in Berlin und Umgebung.

Das lokale Touax-Depot in Vogelsdorf leitet Martin Hiemer. Hier in einem Duschcontainer auf der Baustelle.
Das lokale Touax-Depot in Vogelsdorf leitet Martin Hiemer. Hier in einem Duschcontainer auf der Baustelle.

© Hendrik Lehmann

„Im Depot hier werden die Container nur zwischengelagert und vorkonfektioniert“, erklärt Hiemer. Am Einsatzort werden die in Tschechien produzierten „Basiseinheiten“ dann lediglich noch verbunden und eingerichtet. Die Container werden teils vermietet, teils verkauft, ganz nach Kundenwunsch. Ganz nach Kundenwunsch kann aus ihnen auch so ziemlich alles zusammengesteckt werden, was ein Dach hat. „Die gängigste Version ist der 8-8-2er“, erzählt der 48-Jährige und öffnet die Tür zu einer solchen Tagesunterkunft für Bauarbeiter, „das heißt acht Spinde, acht Stühle, zwei Tische.“ Diese Tagesunterkünfte machen ein Drittel des Geschäfts der Touax-Filiale aus. Ein weiteres Drittel, so Hiemer, sind „Sonderbauten“, das heißt Schulen, Kindergärten, Polizeistationen oder eben Asylbewerberheime. „Die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt beispielsweise, die platzt aus allen Nähten. Also wird sie immer wieder mit Containern ergänzt.“ 120 Stück haben sie dort gerade aufgestellt. Ein gutes Geschäft für die Firma, genauso der Sanierungsstau bei Schulen und das im letzten Jahr eingeführte Recht auf einen Kitaplatz in Berlin.

Eine Stadt vor der Stadt. 170 solcher Containermodule stehen momentan auf der Baustelle des Heizkraftwerks in Lichterfelde.
Eine Stadt vor der Stadt. 170 solcher Containermodule stehen momentan auf der Baustelle des Heizkraftwerks in Lichterfelde.

© Hendrik Lehmann

Der Grund, warum es so viel billiger und schneller ist, mit Containern zu bauen, ist der gleiche, der den Frachtcontainer zur dominanten Verpackungsbox der Weltwirtschaft gemacht hat. Die standardisierten Maße und Halterungen. Deswegen können sie, rasend schnell, mit dem Lkw an ihren Einsatzort gebracht werden, dort montiert und genauso schnell wieder abgebaut werden.

Wie fix das geht und was da alles hineinpasst, führt Hiemer stolz auf der Großbaustelle des Heizkraftwerks in Lichterfelde vor. Kraftwerksbau ist das dritte Drittel seines Geschäfts. Dort hat er aus 170 Containern eine ganze temporäre Stadt gebaut. Zu ein bis drei Stockwerken aufgetürmt, verbunden durch Gänge und Treppen aus Trittgittern. In manchen Containern, ausgestattet mit Schreibtischen, Bildschirmen und Reißbrettern sitzt die Bauleitung. In anderen befinden sich Besprechungsräume, andere beinhalten Duschen und Klos und in den 8-8-2ern machen sich gerade ein paar Arbeiter feierabendfertig, auf den Tischen Thermoskannen, Tupperdosen und Sporttaschen. Ein Container ist Sanitätsraum, gleich dahinter steht die riesige Kantine, ausgestattet mit Tischreihen, Gastro-Küche und Cola-Automat.

Hiemer macht stolz eine Tür nach der anderen auf. Seine Container sind nicht nur die Stadt vor der Stadt, die temporären Häuser, die erst einmal stehen müssen, damit gebaut werden kann, sondern zunehmend auch ihr Ersatz. Wären die Utopisten von Archigram Unternehmer gewesen, sie hätten einen Containerverleih gegründet.

25 Jahre Übergang

Endloses Provisorium. Eigentlich sollte die Clay-Schule in Rudow nur für die Sanierung des Schulgebäudes in Container ziehen. Das ist 25 Jahre her.
Endloses Provisorium. Eigentlich sollte die Clay-Schule in Rudow nur für die Sanierung des Schulgebäudes in Container ziehen. Das ist 25 Jahre her.

© Hendrik Lehmann

Was als Utopie erträumt wird, zeigt seine Probleme meist in der Umsetzung. Die Clay-Schule in Rudow zum Beispiel wurde vor 25 Jahren vollständig aus Containern erbaut. Schon auf dem Weg dahin erzählt Taxifahrer Erdal Yüce, zufällig ein ehemaliger Schüler, Abschlussjahrgang ’92, wie einst alle plötzlich von der „Asbest-Schule“ in die „Container-Schule“ umziehen mussten.

In Rudow angekommen, erzählt der stellvertretende Schulleiter Lothar Semmel, wie die Übergangslösung zu einer Dauerlösung wurde: „Angelegt war das damals für fünf bis sechs Jahre.“ Weil dann aber die Mauer fiel, gab es andere städteplanerische Prioritäten. Die alte Schule wurde nie saniert, sondern irgendwann abgerissen.

Semmel schreitet zügig die engen grauen Gänge entlang und erklärt, mit welchen Problemen die Schule täglich umgehen muss. Er zeigt auf die Fenster in einem Klassenraum: „Bei starkem Regen und Wind kommt das schon mal da durch.“ Kein Wunder, wie er findet, das Material sei schließlich nur auf zehn Jahre ausgelegt. Auch ein Fundament gibt es nicht. Also tun sich ab und an Risse im Fußboden auf.

Darauf, dass die Schule trotzdem so erfolgreich ist, ist Semmel gerade deshalb doppelt stolz. Die Oberschule mit musischem Schwerpunkt hat seit Jahren konstant überdurchschnittlich viele Anmeldungen. „Dass wir so lange mit dieser Übergangslösung leben mussten, hat das Kollegium sehr zusammengeschweißt“, erklärt Semmel.

Lothar Semmel bezeichnet sich selbst als "Urgestein der Schule". Seit die Schule in die Container musste, kämpft er für einen raschen Neubau.
Lothar Semmel bezeichnet sich selbst als "Urgestein der Schule". Seit die Schule in die Container musste, kämpft der stellvertretende Schulleiter für einen raschen Neubau.

© Hendrik Lehmann

Genervt ist er nur von den Kosten, die das alles verursacht. Alleine 400.000 Euro musste man 2014 für das Auswechseln der Fenster bezahlen. Der Eröffnungstermin eines geplanten Neubaus hat sich erst kürzlich wieder verschoben. Auf dem Baugrund am Neudecker Weg wurden bei Grabungen erst Reste eines Zwangsarbeiterlagers, dann aus der Besiedlungszeit Berlins im ersten Jahrhundert gefunden. Dauernde Spuren, die Semmel zu weiteren Jahren im Provisorium zwingen. 2022 soll das neue Gebäude endlich fertig sein. Davon, auch in Zukunft mehr Schulen und andere öffentliche Gebäude in provisorischer Bauweise zu errichten, auch, weil sich so flexibler auf bestimmte demografische Phänomene wie etwa schwankende Geburtenzahlen besser reagieren lässt, rät Semmel aber ab: „Ich bin sicher, dass vieles davon genauso zur Dauerlösung wird, wie das bei uns war.“

Ein IKEA-Traum in der Apokalypse

Informatikstudent Tom Kieseling und die zukünftige Grafikdesignerin Annalena Weiberg sind zwei der ersten Bewohner des neuen Studentenwohnheims in Plänterwald.
Informatikstudent Tom Kieseling und die zukünftige Grafikdesignerin Annalena Weiberg sind zwei der ersten Bewohner des neuen Studentenwohnheims in Plänterwald.

© Hendrik Lehmann

Von der Oberschule weiter auf die Uni – und zu einem weiteren Zweck von Containern, der dem im Allende-Viertel am nächsten kommt: schnell Wohnraum zu schaffen. Berlins Studentenwohnheime sind ausgebucht, Zimmermieten steigen. Zeit für Container. In dem Fall allerdings keine von Herrn Hiemer aus Vogelsdorf, sondern gebrauchte Überseecontainer, 40-Fuß-High-Cubes, um genau zu sein. Sie stehen, rostbraun zu einem Würfel zusammengestapelt, im Plänterwald und sind von vornherein nicht als Übergangs-, sondern als Dauerlösung geplant. Ausgedacht hat sich das Studentenwohnheim EBA51 der Investor Jörg Duske. Er wurde inspiriert von Keetwonen in Amsterdam, wo 1000 Studenten in der größten Containerstadt der Welt leben.

EBA51, eine Abkürzung für Eichbuschallee 51, liegt im Dreieck zwischen den S-Bahn-Stationen Baumschulenweg, Köllnische Heide und Plänterwald. Kommt man dort an, sieht es im ersten Moment eher nach Apokalypse denn nach bezahlbarem Wohnraum aus. Gegenüber ist gerade der Nahkauf vollständig ausgebrannt, nur die Einkaufskörbe stehen noch davor. Auf einer 11.000 Quadratmeter großen Brache, größtenteils Sand, stehen neben ein paar Baggern die ersten 20 der geplanten 400 Wohneinheiten aus Containern.

In einem dieser „Apartments“ wohnen Tom Kieseling und Annalena Weiberg, die gerade quietschfidel den abendlichen Clubbesuch planen. Annalena kommt aus dem österreichischen Vorarlberg und studiert Grafikdesign an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft, Tom kommt aus dem Umland und studiert Informatik. Die Container symbolisieren für die beiden internationales Flair. „Meine Mutter hat zu mir gesagt, die Container sind auch schon viel herumgekommen, so wie ich“, sagt Annalena.

Ihre WG besteht aus zwei Containermodulen, die so zusammengefügt wurden, das sich drinnen insgesamt 52 Quadratmeter Wohnfläche bieten, aufgeteilt auf zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer, das gleichzeitig Flur und Küche ist. Das Wohnzimmer ist in Mintgrün gestrichen, an einer Seite eine Fototapete, die eine efeuüberwucherten Ziegelwand imitiert. Passend dazu hat Annalena die Basismöblierung um ein magentafarbenes Ikea-Sofa erweitert.

Neue Sesshaftigkeit. 20 ausrangierte Hochseecontainer wurden zum ersten Teil vom Studentenwohnheim Eba51 zusammengebaut.
Neue Sesshaftigkeit. 20 ausrangierte Hochseecontainer wurden zum ersten Teil vom Studentenwohnheim Eba51 zusammengebaut.

© Hendrik Lehmann

Von der nicht weit entfernt vorbeifahrenden S-Bahn hört man keinen Laut, auch mollig warm ist es trotz Minusgraden vor dem großen Fenster. Nur in die Wand darf nicht gebohrt werden, sonst könnte die Vakuumisolierung beschädigt werden. Denn da Frachtcontainer ohne Umbau eine Energiebilanz haben, die so schlecht ist, dass sie nur in Sonderfällen genehmigt wird, sind die EBA51-Container von innen vollständig ausgekleidet und die ausgeschnittenen Fenster reguläres Doppelglas. Das würde sich ansonsten für den Bauherren auch langfristig gar nicht rechnen, 778 Euro Warmmiete für das Apartment hin oder her.

In den Containern des Flüchtlingsheims im Allende-Viertel schlafen übrigens zwei Personen in je einem Containermodul der Standardlänge. Duschen, Gemeinschaftsräume und Badezimmer teilen sich noch mehr Bewohner.

Apropos Badezimmer. Das ist das einzige wirklich Störende in der rostigen Heimeligkeit im Plänterwald. Es hat die Gestalt einer aus Trennwänden ins Wohnzimmer eingebauten Kapsel, zu betreten durch eine milchige Schiebetür aus Plastik. Wenn es einer von beiden benutzen muss, geht der andere so lange auf sein fliedergrau gestrichenes Zimmer. Das sei sonst unangenehm, sagen Annalena und Tom und lachen.

Pioniere an der Kunstfront

Die Kunst in der Fuge. Die Platoon Kunsthalle zieht von Baulücke zu Baulücke durch Berlin. So bleibt sie immer in der ersten Reihe der Stadt, meinen die Betreiber.
Die Kunst in der Fuge. Die Platoon Kunsthalle zieht von Baulücke zu Baulücke durch Berlin. So bleibt sie immer in der ersten Reihe der Stadt, meinen die Betreiber.

© Hendrik Lehmann

Während die Container im Plänterwald gestrandet sind, um zu bleiben, macht ein anderes Stück Berliner Containerarchitektur die Zwischennutzung von Brachen zum ultimativen Geschäftsmodell. Die Platoon Kunsthalle am unteren Ende der Schönhauser Allee ist gekommen, um zu gehen. Ein riesiger dunkelgrüner Block in Form eines riesigen Containers, zusammengesetzt aus 33 einzelnen 40-Fuß-Containern, hat sie insgesamt über 500 Quadratmeter Innenfläche. Allein die Haupthalle ist 200 Quadratmeter groß. „Die Größe ist wichtig für uns“, erklärt Platoon-Mitbegründer Christoph Frank, „dadurch können wir die Halle für Veranstaltungen mit bis zu 500 Leuten vermieten.“ Vermietet wird etwa an Events rings um Subkultur und die wachsende Start-up-Szene: Bitcoin-Kongresse, Multimedia-Performances oder ein jährliches Recycling-Festival. Die Inneneinrichtung der Halle ist deswegen ebenfalls weitestgehend mobil. Die meisten Tische und Stühle basieren auf insgesamt 1500 Getränkekisten, immer neu zusammenstellbar.

Frank sitzt über der Haupthalle an einem provisorischen Schreibtisch, vor seiner Nase sein Macbook. Der Boden bebt leicht, wenn seine Kollegin vorbei läuft. In der Ecke steht ein Hochleistungs-Heizlüfter. Der ist auch nötig. Das Gebäude ist nicht extra gedämmt, Frank und den eiskalte Nieselregen draußen trennt ausschließlich die originale Stahlblechwand der Container. Platoon, erklärt Frank jetzt, ist eigentlich eine Werbeagentur, genauer eine Netzwerkagentur. 7500 Künstler, Designer und andere Kreative aus 50 Ländern sind Mitglied. „Mit diesen ganzen Leuten machen wir Projekte, sowohl kommerzielle Werbeagenturprojekte als auch rein künstlerische.“ So wolle man mehr Kunst in Werbung unterbringen.

Gentrifizierung garantiert, dass die Kunsthalle immer in die neuen Szeneviertel verdrängt wird, meint Christoph Frank, Mitgründer von Platoon.
Gentrifizierung garantiert, dass die Kunsthalle immer in die neuen Szeneviertel verdrängt wird, meint Christoph Frank, Mitgründer von Platoon.

© Hendrik Lehmann

Angefangen haben er und sein Geschäftspartner Tom Büschemann im Jahr 2000 mit zwei Containern in der Weinmeisterstraße. Dazu kam 2002 noch ein Container als Swimmingpool. 2007 zogen sie die Halle dann um in die Alte Schönhauser Straße und stellten dort schon vier Container plus Pool auf. Genutzt werden immer Zwischennutzungsflächen, also Brachen, die später bebaut werden sollen. Auf diese Weise, so Christoph Frank, könne man immer in der ersten Reihe der Stadt sein, sichtbar bleiben. 2012 ist Platoon in die Schönhauser Allee gezogen. 2015 müssen sie weiter, ein neuer Platz wird noch gesucht.

Ist es nicht belastend, immer zu wissen, dass man alle paar Jahre den Standort wechseln muss? „Nein“, sagt Frank, „weil Kunst in Bewegung ist.“ Verdrängung sei vielmehr Teil ihres Konzepts. Dadurch würden sie an der Szene dran bleiben. Da, wo junge Künstler und die Marken sind. „Mitte ist tot im Vergleich zu 2000“, sagt er, „eigentlich müssten wir gerade nach Neukölln.“

Franks Telefon klingelt. Schon wieder eine Klasse von Architekturstudenten, die seine Halle besichtigen wollen. „Containerarchitektur wird ein gängiges Repertoire der Architektur werden“, ist er überzeugt. Das liege an der Sehnsucht danach, eigene Räume zu schaffen, und das sei mit Containern eben einfacher: „Lego-Stapeln für Große“, wie Frank es nennt. Es liege aber auch daran, dass Architektur oft nicht mehr für hundert Jahre entworfen wird. „In Seoul wird inzwischen kein Haus für mehr als 30 Jahre kalkuliert, weil die Immobilienpreise so stark steigen“, erklärt er. Dort, in Südkorea, hat Platoon 2011 seine erste internationale Dependance eröffnet. Ebenfalls in Containern. Für die Architektur des Gebäudes haben sie den Deutschen Designpreis bekommen. Als nächstes will Platoon auch eine Filiale in Mexiko eröffnen, dann in einem afrikanischen Land.

Der finale Container

Die Firma ECF Farmsystems verfolgt die Idee, die Boxen nicht mehr für den Transport von Gütern zu nutzen – sondern für deren Erzeugung.
Der Container schafft sich selbst ab. Mit ihrer Firma ECF Farmsystems verfolgen Nicolas Leschke und sein Partner die Idee, die Boxen nicht mehr für den Transport von Gütern zu nutzen – sondern für deren Erzeugung.

© Hendrik Lehmann

Auf einer weiteren Brache, dem Gelände einer ehemaligen Malzfabrik in Schöneberg, auf dem sich Start-ups, Medienagenturen und Roboterentwickler tummeln, steht ein anderer Pioniercontainer. Der könnte, sollte er Erfolg haben, unsere Idee von Stadt umkrempeln und durchaus das globale Containerwesen, zumindest stellenweise, von innen heraus verändern. Weil hier nicht irgendwo produzierte Güter in Containern transportiert, sondern die Container selbst zu Räumen werden, in denen produziert werden kann.

Nicolas Leschke, Baseballkäppi auf dem Kopf, ist einer der zwei Gründer von ECF Farmsystems. ECF steht für „Efficient City Farming“. Leschke gebraucht gerne Vokabeln wie Nachhaltigkeit, Upcycling und Ressourceneffizienz. Er hat International Business und Management in Frankreich, England und Mexiko studiert und vor ECF schon zwei andere Start-ups in Italien und Indien gegründet. „Der Container“, sagt Leschke und erklärt den ehemaligen Frachtcontainer, auf den ein Gewächshaus montiert wurde, „ist nur ein Prototyp.“ Der hat allerdings schon einiges in sich: Im Container selbst befinden sich ein Fischtank und ein System nacheinander geschalteter Filteranlagen. In dem Tank blubbern Süßwasserfische. Barsch eignet sich besonders gut. Das von den Fischen verbrauchte und mit Nährstoffen angereicherte Wasser läuft durch die Filter und wird in das Gewächshaus auf dem Container geleitet. In dem können fast alle gängigen Gemüse- und Kräutersorten wachsen. Tomaten, Zucchini oder Minze zum Beispiel. Sie wachsen direkt in der Nährstofflösung, ohne Erde. Aquaponik nennt sich das. „Ein Hochleistungssystem“, erklärt Leschke stolz, „das Wasser wird doppelt genutzt und durchschnittlich 70 Prozent des Düngers gespart.“ Dadurch, dass das von den Fischen ausgeatmete Kohlendioxid bei den Pflanzen ankommt, seien weitere Ertragssteigerungen möglich.

"Man kann solche Systeme letztlich überall aufstellen", sagt Nicolas Leschke, Mitgründer von ECF Farmsystems.
"Man kann solche Systeme letztlich überall aufstellen", sagt Nicolas Leschke, Mitgründer von ECF Farmsystems.

© Hendrik Lehmann

Im Hinterhof der Malzfabrik baut ECF nun die größte innerstädtische Aquaponik-Farm Europas. Der Fisch soll direkt im angeschlossenen Fischladen verkauft werden. Als Lösung für das Welternährungsproblem sieht Leschke Aquaponik nicht. Aber als einen guten Anfang. „Man kann solche Systeme letztlich überall aufstellen. Auf Dächern oder auf Leerflächen zum Beispiel“, schwärmt er. Je mehr das passiert, desto weniger Container voller Lebensmittel müssten natürlich in die Städte hineintransportiert werden. ECF arbeitet aber auch an einem mobilen System. Das könnte dann in Länder mit Nahrungsmittelknappheit geschickt werden, im Container natürlich. Vor Ort würde das System selbst ausgeräumt, der Container daraufhin zur Hütte, zum Wohnraum. Damit zurück zum Anfang dieser Geschichte.

Zurück in die Zukunft

„Wenn Berlin eines ist, dann ist es die Stadt der Brachen“, hat der Berliner Regisseur Burhan Qurbani einmal gesagt. Jetzt, wo Berlin oft gerade wegen dieser Freiflächen international so bewundert wird, werden diese so langsam, aber sicher aufgefüllt. Erst mit Kunstprojekten, dann mit Baucontainern und schließlich von irgendjemandem, der das Geld oder den politischen Willen hat, ein stabileres Gebäude dorthin zu bauen.

Laut dem Architekturtheoretiker Stewart Brand sollten feste Gebäude aber gar nicht mehr das Ziel der Stadtplanung sein. In Zeiten der Globalisierung müssten sich Bauwerke der flexibilisierten Weltwirtschaft anpassen, sagt Brand. Architektur wie die Plattenbauten des Allende-Viertels kritisiert er dafür, dass hier einige wenige darüber bestimmt haben, in was für Häusern und welcher Umgebung sehr viele für sehr lange Zeit leben müssen. Das sei nicht nur undemokratisch, sondern hindere das Wirtschaftswachstum. Sinnvolle Gebäude seien solche, die beständig umgebaut und neu zusammengestellt werden können, idealerweise von ihren Nutzern selbst.

Manche der Unternehmer, die in Berlin gerade Brachen mit Containern füllen, profitieren genau davon; von der Entscheidung, sich erst einmal nicht entscheiden zu müssen. Anstatt Unumstößliches zu schaffen, wird hier ausprobiert, vorgefühlt oder, teilweise, auch erobert. Containerarchitektur hat nämlich einen entscheidenden Vorteil. Sie kann nicht nur langsam wachsen. Sie kann auch schrumpfen. Sie hinterlässt keine sanierungsbedürftige Asbestspur, keinen denkmalgeschützten Prunk, der seine Nützlichkeit schon lange überdauert hat. Clever eingesetzt sind Container Platzhalter für Zukunft.

Aber wie viel Zukunft hat diese Utopie in der Realität? Nüchtern betrachtet beherbergen die Berliner Container aktuell vor allem die sowieso schon schwächeren Gruppen der Stadt: Kinder, Studenten, Bauarbeiter, Flüchtlinge. Da sind Container kaum Platzhalter für Zukunft, auch kein vorläufiger Kompromiss. In dem Fall sind sie vielmehr die Feigheit, zu diskutieren, was eine Stadt eigentlich bauen will und muss.

Genau aus dem Grund erscheint es auch so problematisch, in die eingetaktete Stadtmaschine von Allende II einen Haufen Container zu werfen. Sie symbolisieren für die Menschen in den umliegenden Häusern: Das ist nur eine Zwischenlösung. Habt euch nicht so! Das geht wieder weg. Doch so lange Warencontainer ankommen, werden auch Menschen kommen. Tragischerweise oft sogar in Containern, einem der ambitioniertesten und gefährlichsten Fluchttransportmittel.

Am 27. Dezember haben die ersten 30 Flüchtlinge ihre Unterkunft in Köpenick bezogen. Bald werden dort insgesamt 400 Menschen wohnen. Was sich auf ihrer Bühne zwischen den Plattenbauten abspielt, entspricht kaum einer Utopie von der Stadt der Zukunft. Und selbst umbauen dürfen sie ihre Container auch nicht.

Der vorliegende Text erschien erstmals gedruckt am 3. Januar 2015 in der Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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