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Drive-In Corona-Teststation vor dem Estrel-Hotel in Berlin-Neukölln

© imago images/Future Image

Angst vor einer zweiten Corona-Welle: Berliner Mediziner halten Lockerungen der Schutzmaßnahmen für verfrüht

In Berliner Ämtern und Kliniken rechnet man mit einem erneuten Anstieg der Infektionszahlen. Die Bezirke führen eine Tracking-Software ein.

Während in der Politik über Sinn und Unsinn der Lockerungen gestritten wird, sprechen auch Ärzte über ein womöglich „zu frühes“ Aufweichen der Schutzmaßnahmen. Insbesondere Grüne plädierten zuletzt für weniger Härte, während Sozialdemokraten vor Leichtsinn warnten. Zahlreiche Mediziner – darunter Experten diverser Krisenstäbe – tendieren dazu, nach wie vor strenge Einschränkungen für nötig zu halten. 

Infektionsexperten sagten am Montag in internen Debatten, zuletzt sei die Reproduktionszahl in Berlin auf 0,7 gesunken – das heißt, dass im Mittel jeder Coronavirus-Infizierte weniger als einen weiteren Menschen ansteckt. Hätte man mit den Lockerungen gewartet, wäre die Rate wohl „im Mai auf 0,1“ gesunken.

Nun rechne man jedoch, hieß es in Ämtern und Kliniken, mit steigenden Infektionszahlen. Unklar sei allerdings, ob das sonnige Wetter helfe, die Verbreitung des Virus aufzuhalten.

Berlins Epidemiologen und Virologen betonten, dass „die Wissenschaft“ nur empfehle, „die Politik“ aber entscheide – weshalb die Mediziner anonym bleiben wollten.

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Günther Jonitz, der Präsident der Berliner Ärztekammer, sagte, die Politik habe abzuwägen – einerseits das gesellschaftliche Leben aufrechtzuerhalten, andererseits die Pandemie zu bekämpfen.

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„Die diskutierten Lockerungen sind nachvollziehbar, müssen aber vorsichtig vollzogen und begleitet werden“, sagte Jonitz dem Tagesspiegel. „Überall dort wo Gruppen zusammentreffen, sollten Schutzmasken getragen werden.“ Damit unterstützt Berlins oberster Ärztevertreter die SPD-Linie. 

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Sozialdemokratin und Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hatte eine Ausweitung der Maskenpflicht auf den Einzelhandel gefordert. Wie berichtet plädierte auch Wulf Pankow, Pneumologe und Chef der Covid-19-Notklinik, für das Tragen von Schutzmasken nicht nur in Bahnen, sondern auch in Läden.

Viele Monate anhaltender Kampf gegen das Virus

Man bereite sich auf einen viele Monate anhaltenden Kampf gegen das Virus vor, sagte Senatorin Kalayci am Montag, die Gesundheitsämter rüsteten nun noch einmal auf. Das besonders aktive Gesundheitsamt Mitte setzt dabei auf eine neue Software, mit der die Nachverfolgung von Kontakten registrierter Infizierter effizienter werden solle. 

Bei einem Besuch im Bezirksamt Mitte sagte Senatorin Kalayci, die Arbeitsweise solle stadtweit übernommen werden. Mittes Gesundheitsstadtrat Ephraim Gothe (SPD) sprach davon, man müsse nach „dem Sprint“ der ersten Wochen nun auf „einen Marathon-Modus“ umschalten. 

Im Kampf gegen die Corona-Infektionen plane man für die nächsten zwölf Monate. Die neue Software solle helfen, Infektionsketten schneller und umfassender zu überblicken. Nun könne auch der Gesundheitszustand der Infizierten leichter erfasst werden. Es gehe darum, zügig zu erkennen, welches „Sozialereignis“ zu bestimmten Infektionen geführt habe. Aktuell seien in Mitte circa 120 Mitarbeiter mit der Pandemie beschäftigt, die meisten davon sind aus anderen Bereichen der Verwaltung abgeordnet. 

Von Abstand keine Spur. Unzählige Menschen saßen am Freitagabend am Landwehrkanal zusammen – fast wie in normalen Zeiten.
Von Abstand keine Spur. Unzählige Menschen saßen am Freitagabend am Landwehrkanal zusammen – fast wie in normalen Zeiten.

© Jörg Carstensen/dp

Expertise im Kampf gegen Ebola hilft

Man sei froh, Kolleginnen dabei zu haben, die in Afrika schon Erfahrungen im Kampf gegen Ebola gemacht hätten, sagte Mittes Amtsarzt, Lukas Murajda. Wie die Deutsche Nachrichtenagentur meldete, wird diese Woche der am Unfallkrankenhaus Berlin stationierte Helikopter mit einer Spezialtrage für den sicheren Transport von Covid-19-Patienten ausgerüstet.

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Schon vor einigen Tagen sagte der Charité-Virologe Christian Drosten, die Lockerungen kämen zu früh – obwohl Deutschland zu den erfolgreichsten Ländern bei der Pandemie-Bekämpfung zähle. Er bedauere zu sehen, „dass wir gerade dabei sind, vielleicht diesen Vorsprung hier komplett zu verspielen“, sagte der Hochschulmediziner im NDR-Podcast.

Drosten kritisierte, dass es wieder Shoppingmalls voller Menschen gebe, weil einzelne Geschäfte darin kleiner als 800 Quadratmeter seien. Er warnte vor „Einzelauslegungen“ nach den ersten Lockerungen: „Wenn alle anfangen, sich die eigenen Interpretationsspielräume auszulegen ganz frei, dann starten an vielen Orten in Deutschland plötzlich neue Infektionsketten.“

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