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Offene Provokation. Auch die NPD versucht derzeit, die Ängste und Sorgen von Menschen angesichts steigender Flüchtlingszahlen zu instrumentalisieren.

© picture alliance / dpa

Cottbuser Oberbürgermeister im Interview: "Die rechtsextreme Szene wittert jetzt Morgenluft"

Der Cottbuser Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) über Rassismus in seiner Stadt, den Umgang mit Gerüchten und die Unsinnigkeit, angesichts der aktuellen Flüchtlingsproblematik eine Kreisgebietsreform in Brandenburg durchzuziehen.

Von Sandra Dassler

Herr Kelch, müssen Ausländer in Cottbus um ihr Leben fürchten?
Um Himmels willen, wie kommen Sie denn darauf? Gerade ist hier das Internationale Festival des osteuropäischen Films zu Ende gegangen. Wir haben eine Universität mit hunderten ausländischen Studenten. Am städtischen Klinikum, dem größten im Land, arbeiten zahlreiche ausländische Ärzte, beim Fußball-Drittligisten Energie haben viele Spieler und Trainer ausländische Pässe.

Der Verein „Cottbus Nazifrei“ berichtete unlängst aber über eine „Hetzjagd“ auf ausländische Studenten der Universität.

Für eine Hetzjagd gibt es bisher keine Anhaltspunkte. Es gab eine Auseinandersetzung, bei der zwei Studenten aus Tschetschenien und Deutschland – ihren Aussagen zufolge in Notwehr – zwei Männer mit Messerstichen verletzten. Die Studenten sagen, sie seien vorher attackiert worden. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig. Es ist noch nicht klar, ob die Verletzten der rechten Szene angehören. Aber zu den Hintergründen laufen noch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.

Aber es gab doch andere fremdenfeindliche Vorfälle in Cottbus?

Ja, die gab es immer mal wieder – leider. Glücklicherweise blieben sie meist im verbalen Bereich. Aber man darf auch nichts beschönigen: Es gibt in Cottbus eine rechtsextreme Szene. Die wittert jetzt Morgenluft, weil viele Menschen Ängste und Sorgen haben und manchmal auf einfache Antworten hoffen. Diese Menschen, die übrigens nicht mit der NPD in einen Topf geworfen werden wollen, müssen wir ernst nehmen.

Wie tun Sie das?

Ich erkläre ihnen, was Cottbus für die Flüchtlinge tun kann und was nicht. Ich gehe aber auch Gerüchten und Lügen nach und versuche, die Wahrheit zu verbreiten: Dass beispielsweise keine Frau von Flüchtlingen vergewaltigt wurde. Dass Flüchtlinge nicht das Parkett in einer Notunterkunft angezündet haben – schon allein deshalb, weil es dort kein Parkett gibt. Dass die Stadtverwaltung keine Einkäufe von Flüchtlingen in Supermärkten bezahlt. Und so weiter.

Vor knapp einem Jahr haben Sie das Amt des Oberbürgermeisters angetreten. Wussten Sie, was auf Sie zukommt?

Selbstverständlich. Ich war ja hier lange genug Bürgermeister und auch schon mal für einige Monate amtierender Oberbürgermeister von Cottbus. Und falls Ihre Frage auf die Flüchtlinge zielt – ja, selbst das habe ich irgendwie geahnt.

Geahnt?

Man musste kein Prophet sein, um zu sehen, was sich da in Italien oder Griechenland anbahnte. Oder hat wirklich jemand geglaubt, die Flüchtlinge würden für immer auf Lampedusa oder Lesbos bleiben?

Hatte Ihre Ahnung Konsequenzen?

Ja, wir haben in Cottbus bereits unmittelbar nach meinem Amtsantritt im Dezember 2014 die Arbeitsgruppe Asyl gegründet. Wir haben uns nicht auf die ursprünglichen Prognosen verlassen, sondern 150 Wohnungen mehr hergerichtet – statt 300 waren es 450.

Die Stadt setzt auf Unterbringung in Wohnungen?

Seit Jahren. Wir finden das menschenwürdiger – nach den ersten sogenannten Eingewöhnungswochen in einer Gemeinschaftsunterkunft. Wir hatten auch angesichts der Flüchtlingszahlen da immer einen Vorlauf und auch einen Notfallplan, als das Land plötzlich Erstaufnahmeeinrichtungen in Cottbus brauchte.

Klingt nach Kritik an der Landespolitik.

Ist es auch. Zwar hat sich die Koordinierung zwischen Land und Kommunen ein wenig verbessert, aber noch immer kann uns der Finanzminister nicht sagen, mit wie viel Geld wir für die zusätzlichen Maßnahmen rechnen können.

Ist das so wichtig?

Ja. Ich habe zum Beispiel 34 neue Mitarbeiter eingestellt: für Sozialarbeit, Bautätigkeit, Jugendamt – wir bekommen Dutzende unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zugeteilt – und ich möchte nicht, dass die Verwaltung ihre sonstigen Aufgaben vernachlässigt.

Das, was viele Bürger befürchten?

Genau das. Ich möchte nicht, dass jemand länger auf seinen neuen Personalausweis oder sein Wohngeld warten muss. Ich möchte auch keine Obdachlosenunterkunft für Flüchtlinge zur Verfügung stellen. Das wäre das völlig falsche Signal.

Wie viele Flüchtlinge hat Cottbus in diesem Jahr aufgenommen?

Bislang mehr als 700. Bis Jahresende sollen es laut Prognose etwa 1300 werden.

Um mit Ihrer Parteifreundin Angela Merkel zu reden: Schafft Cottbus das?

Was die Unterbringung anbelangt, ja. Da bin ich optimistisch. Die Landesregierung hat ja endlich unseren Vorschlag aufgegriffen, Wohnungen nicht weiter abzureißen, sondern sie für Flüchtlinge herzurichten. Wichtig ist aber, dass die für den Abriss vorgesehenen Fördergelder nicht verfallen. Da sind wir auf einem guten und sinnvollen Weg. Aber mit Wohnungen allein ist es ja nicht getan. Wir brauchen Deutschkurse, Kindergarten-, Schul- und Arbeitsplätze. Die wirkliche Integration der vielen Menschen hat ja noch gar nicht begonnen.

Wenn das nicht gelingt?

Wird es sehr, sehr eng für die Kommunen. Nur 15 Monate lang greift das Asylbewerberleistungsgesetz, danach bleibt für jene Flüchtinge, die keine Arbeit haben, nur Hartz IV. Aber jetzt geht es erstmal um ein Dach über dem Kopf, medizinische und soziale Betreuung, menschliche Wärme. Das schaffen wir hier in Cottbus – dank sehr vieler freiwilliger Helfer – aber auch dank einer funktionierenden Verwaltung.

Die möglicherweise bald der Kreisgebietsreform in Brandenburg zum Opfer fällt.

Das hoffe ich nicht. Es wäre doch angesichts der anstehenden Probleme heller Wahnsinn, funktionierende Strukturen zu zerschlagen.

Wünschen Sie sich mehr Unterstützung von der Bundesregierung?

Ich wünsche mir nur, dass sie ihre Arbeit genauso verantwortungsvoll macht wie wir hier auf kommunaler Ebene. Anstatt sich ständig über Details zu den Verfahren zu streiten, sollten anstehende Probleme nach den jetzt gefassten Beschlüssen gemeinsam mit den anderen europäischen Ländern gemeistert werden. Dann hätten es die Rattenfänger nicht so leicht.

Die AfD hat drei Sitze im Stadtparlament. Am vorigen Mittwoch sprach Alexander Gauland auf einer Kundgebung…

Das konnten wir nicht verhindern. Aber es war schon eine besondere Geschmacklosigkeit, diese Veranstaltung ausgerechnet während des Internationalen Filmfestivals anzusetzen. Zum Glück kamen nur ein paar hundert Menschen.

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