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Berlin: Cowboys im Land der Roten

Eine Ausstellung erzählt die Geschichte der alliierten Militärmissionen. Veteranen erinnern sich

Man nannte sie „die Cowboys“, erzählt Jim Farr, ehemaliger Angehöriger der „Royal Scots Guard“. Cowboys, die in Jeeps durch das feindliche Ostdeutschland streiften – allerdings ohne Colt. Für andere waren sie einfach Militärspione. Wobei Jim und sein Freund Dick Place das Wort „Spy“ nicht so gerne hören. „Wir waren in Uniform und hatten sowjetische Militärpässe.“ Jim, Dick, Roy Steward und Jimmy Dingwall waren Ende der 50er Jahre Angehörige der „Brixmis“, der britischen Militärmission bei den Sowjetischen Streitkräften in Deutschland. Von 1946 bis 1990 betrieben alle drei Westmächte solche Missionen in Potsdam – im Gegenzug gab es sowjetische Missionen in Westdeutschland. Die Geschichte dieser relativ unbekannten Kontrollorgane wird jetzt in einer neuen Ausstellung im Alliiertenmuseum an der Clayallee in Zehlendorf gezeigt. Zur Eröffnung kamen rund 50 alliierte Veteranen.

Die britische Militärmission war die größte. 31 Armeeangehörige durften sich frei auf dem Staatsgebiet der DDR bewegen – offiziell eine Art vertrauensbildende Maßnahme. Die Briten gingen jeden Tag „on tour“, wie sie es nannten. Mit dabei: Notizblock, Fernglas und Kamera. Später kamen noch Peilsender und Funkscanner hinzu. Der Auftrag war, Militärbewegungen zu beobachten und vor allem neueste Militärtechnik auszuspionieren. Ungefährlich war die Sache nicht. Immer wieder fielen Schüsse. Es kam zu wilden Verfolgungsjagden, inszenierten Unfällen und langen Verhören. In den 80er Jahren – auf dem Höhepunkt der Spionage-Aktivitäten – kamen ein amerikanischer und ein französischer Soldat im Einsatz ums Leben.

Die eigentlichen Helden der „Brixmis“ waren die Fahrer, sagt Jim. „Sie mussten brillante Augen haben.“ Meistens ging es auf Sandpisten durch unwegsames Gelände – immer dort, wo man ein Manöver vermutete. Bevorzugte Automarke war der Opel Kapitän. Mit dem fuhr man sich nicht so leicht fest, sagt Fahrer Roy Steward. Wenn es doch mal passierte, bat man einen Bauern um ein Pferdegespann. Wichtig war, für mehrere Tage Proviant und Treibstoff mitzunehmen.

Stasi und Volkspolizei waren den „Cowboys“ ständig auf den Fersen. „Die fuhren Mercedes, waren aber meistens langsamer als wir“, erzählt Jim. In der Regel wurden die Briten schon an der Glienicker Brücke von Stasi-Leuten in Empfang genommen. Die Missionen waren den DDR-Behörden ein Dorn im Auge, weil man nichts gegen sie unternehmen konnte. Die Sowjets profitierten von der Spionage auf DDR-Territorium, weil sie im Gegenzug in Westdeutschland spionieren durften. Der DDR blieb nur die Opferrolle.

Dick erinnert sich an eine brenzlige Situation im Juni 1962. Sein Team hatte gerade einen „nak“ abgeschüttelt, einen Stasi-Verfolger. Da geriet man im Babelsberger Wald in ein NVA-Manöver. „Wir wurden gestoppt. Ein Offizier kam heran und beschuldigte uns, wir hätten einen Soldaten erschossen.“ Eine Lüge, um die Briten einzuschüchtern. Einige Soldaten versuchten, in die Autos der Briten einzudringen – ein Verstoß gegen die Regeln. „Einer klammerte sich an die Windschutzscheibe; da habe ich einfach das Dach zugemacht und seine Hand eingeklemmt“, erzählt Dick. „Die NVA-Offiziere waren außer sich.“ In diesem Moment trafen die Sowjets ein und stellten klar, wer das Sagen hat. „Einer der russischen Offiziere kannte mich. Der schlug mir lachend auf die Schulter.“ Eine Demütigung für die Waffenbrüder.

Solche Zwischenfälle passierten zuhauf. Bei Rostock hatte sich Dicks Spähtrupp mal wieder festgefahren. Plötzlich kamen russische Soldaten und zückten ihre Kalaschnikows. Dick kam auf die Idee, sie mit einer heißen Suppe zu beruhigen. Er öffnete eine Dose, die sich selbst erhitzte. Die Russen hielten das Ding für eine Granate und flüchteten in einen Graben. Das waren die Storys, mit denen Jim und Dick abends ihre deutschen Freundinnen in West-Berlin unterhielten. Es war ein „großes Spiel“, sagt Jim, „und wir waren jung“.

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