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Freie Fahrt für freie Radler. Die Critical Mass bremst Busse und Autos aus, begleitet von der Polizei.

© Christian Mang

Critical Mass in Berlin: Polizei kapituliert vor Radfahrern

Sie nennen sich „Critical Mass“ - vergangene Woche waren es 3500 Radfahrer, die durch das Zentrum fuhren. Sie legen den Verkehr lahm, verärgern Autofahrer und führen die Behörden vor.

Diesmal war es Rekord, 3500 Radfahrer gab es noch nie. So viele starteten zur jüngsten „Critical Mass“-Aktion. Abfahrt am Heinrichplatz in Kreuzberg, vergangenen Freitag, 20 Uhr. Es gab Jahre, da rollten nur 20 Leute los. Aber sie rollen zuverlässig, jeden letzten Freitag im Monat.

Durch eine Autoscheibe betrachtet, sind sie nervtötend. Vom Sattel eines Fahrrades aus gesehen sind sie eine sinnvolle Einrichtung. Auf jeden Fall legen viele hundert Radfahrer an diversen Orten im Zentrum der Stadt jeden Freitag den Verkehr lahm. Ihre Botschaft ist klar: Das Fahrrad gehört genauso zum Straßenverkehr wie das Auto.

Das wäre ein Slogan für eine politische Demonstration. Critical Mass ist aber nach polizeilichem Rechtsverständnis keine Demonstration, jedenfalls nicht im Sinne des Versammlungsrechts. Und deshalb stellen sich ein paar Fragen: Dürfen die Radfahrer das eigentlich, einfach den Verkehr lahm legen? Und das noch begleitet von der Polizei? Und wenn nicht, was kann man dagegen machen?

Keine Erlaubnis die Straße über Gebühr zu benützen

„Nach polizeirechtlicher Einschätzung ist es eine Veranstaltung nach Paragraf 29 der Straßenverkehrsordnung“, sagt Rainer Paetsch vom Stab des Berliner Polizeipräsidenten. Und deshalb sind die Fragen auch leicht zu beantworten. Nein, die Radfahrer dürfen nicht einfach den Verkehr lahm legen. „Sie haben keine Erlaubnis, die Straßen mehr als verkehrsüblich in Anspruch zu nehmen. Diese Erlaubnis müssten sie beantragen“, sagt Paetsch.

Ab diesem Punkt aber kollidieren die Paragrafen mit der Praxis. Die Polizei müsste nun jemanden finden, der sich als Leiter der Gruppe outet und damit rechtlich und faktisch verantwortlich für den Zug ist. Die Polizei versuche jedesmal, solch einen Verantwortlichen zu finden, sagt Paetsch. „Es meldet sich aber regelmäßig niemand.“ Deshalb könne auch gegen niemanden vorgegangen werden.

Andererseits „ist es völlig illusorisch, 1000 oder mehr Radfahrer am Losfahren zu hindern“. Also bleibe der Polizei nichts anderes übrig, als das Schlimmste zu verhüten. „Die Polizei hat die Aufgabe, Schaden zu verhindern.“ Also begleite die Polizei den rollenden Trupp.

Die Begleitung der Polizei wird zum Problem

Aber schon die Begleitung wird erneut zum Problem. Dadurch, dass keine offizielle Anmeldung und Erlaubnis vorliegt und die Polizei deshalb keine Ahnung hat, wohin sich die Riesengruppe bewegen wird, entwickelt sich der offizielle Flankenschutz fast schon zum Glücksspiel. „Die Wegstrecken sind nicht mehr planbar, damit wird das Begleiten verhältnismäßig schwierig“, sagt Paetsch. „Wir agieren nicht mehr, wir reagieren nur noch.“

Und was das Überfahren der roten Ampel betrifft: „Da nehmen sich die Teilnehmer gerne die Verbandsrechte heraus“, sagt Paetsch. Paragraf 27 der STVO erlaubt einer Fahrrad-Gruppe von mehr als 15 Personen, dass sie ein Stopp-Signal der Ampel ignorieren darf, „weil sie wie ein ein Verkehrsteilnehmer bewertet wird. Das ist wie ein Sattelzug, der langsam über die Kreuzung fährt und Zeit benötigt“. Was die „Critical Mass“-Teilnehmer aber gerne vergäßen, sei die Tatsache, dass das Verbandsrecht nur greife, wenn auch ein Verbandsführer da ist.

Aber nicht bloß die Radler haben eine Botschaft, Paetsch hat auch eine. Diese: „Die Polizei wird nicht ewig garantieren, dass sie ihre großzügige und gelassene Einsatztaktik in dieser Form fortführen wird.“

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