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Die Teilnehmer der Fahrradbewegung "Critical Mass Berlin" setzen sich für einen besseren Schutz für Radfahrer ein.

© Luisa Jacobs

„Critical Mass“: Wenn schon Fahrrad-Protest, dann aber richtig!

Vielen Berliner Autofahrern machen die Fahrrad-Demonstranten von „Critical Mass“ das Leben schwer, auch am Freitagabend wieder. Unserer Autorin Luisa Jacobs hingegen sind die Zweirad-Rebellen noch viel zu lieb. Hat sie Recht? Diskutieren Sie mit!

Es kommt nicht auf die Größe an, wirklich nicht. Beim ersten Fahrrad-Protest 1992 in San Francisco waren auch nur ein paar Dutzend Teilnehmer auf ihren Rädern unterwegs, und trotzdem ging die Tour als „huge rolling party“ in die Geschichte ein. Bei der Fahrraddemo „Critical Mass“ am Freitagabend in Berlin, die als Demo offiziell allerdings gar nicht angemeldet ist, machten mehr als 700 Menschen mit, größentechnisch stehen die deutschen Hauptstadt-Demonstranten also ganz ordentlich da. Aber ist eine Party noch eine Party, wenn sie von Polizeiautos und einem dutzend Polizisten auf Motorrädern eskortiert wird? Klingt nach einer gähnend langweiligen, vorhersehbaren Party. Und das war sie auch, eine berührende Aktion an der Unfallstelle der von einem Lastwagen überfahrenen jungen Radfahrerin am Checkpoint Charlie mal ausgenommen.

In London – auch hier trifft man sich seit Jahren jeden letzten Freitag im Monat zum Massen-Radeln – trägt der Protest auch den Spitznamen „the spontaneous coincidence“, das spontane Zusammentreffen. Klar, über die Spontanität einer monatlichen Veranstaltung kann man streiten. Aber in jener Stadt, in der sonst keine Party ohne ein zehnköpfiges Sicherheits-Team auskommt, ist das Rad-Event doch überraschend ungeplant – und vor allem ohne ständige polizeiliche Aufsicht.

In Berlin hingegen lag am Freitag genau das in polizeilicher Hand, was doch den kritischen, anarchischen, den Raum einnehmenden Charakter der Veranstaltung ausmacht – nämlich das „corking“, also das Verstopfen der Straßen und damit das Ärgern der Autofahrer. Es waren vor allem die motorisierten Polizisten, die andere Autofahrer dazu zwangen, ihre gewohnte Fahrt zu unterbrechen.

Den Einsatz der Ordnungshüter in allen Ehren, aber der gut gemeinte polizeiliche Beistand nimmt den Protestlern die Chance auf das beschwingende und hoch ansteckende Gefühl, wenn hunderte Radfahrer zu einem einzigen, riesigen Körper verschmelzen und einen gewaltigen Kreisverkehr, wie den an der Londoner Waterloo-Brücke, aus eigener Kraft lahmlegen. Dann fühlen sich das wilde Klingeln, die Rufe und die Musik plötzlich nach Revolution an. Spaß macht eine Party doch nur, wenn die Polizei erst kommt, wenn sich jemand über den Lärm beschwert hat.

Was kann Berlin beim Radverkehr von anderen Städten lernen? Dazu finden Sie am Sonntag im gedruckten Tagesspiegel einen Schwerpunkt!

Luisa Jacobs

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