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Berlin: Das Ende vom Lied

Es war eines dunklen Abends im Nebelmonat November, da setzte sich Richard Wehler an seinen Schreibtisch und spielte Schicksal. Das war schon kurios, sagt er und lacht so, als hätte es ihm großen Spaß gemacht.

Es war eines dunklen Abends im Nebelmonat November, da setzte sich Richard Wehler an seinen Schreibtisch und spielte Schicksal. Das war schon kurios, sagt er und lacht so, als hätte es ihm großen Spaß gemacht. Wehler schrieb: Siegfried, geboren am 27. März 1937, gestorben am 30. Juni 2012. Heidi, geboren am 26. Mai 1923, gestorben am 26. Juni 2016. Jana, geboren am 31. Mai 1974, gestorben am 12. Oktober 2060. Beim Foto-Shooting bat Jana darum, doch ein bisschen älter werden zu dürfen. Doch Wehler blieb beim 12. Oktober 2060. Wenn man schon Schicksal spielt, sollte man sich nicht von Betroffenen reinfuhrwerken lassen.

Dass wir uns hier richtig verstehen: Heidi und Siegfried und Jana gibt es wirklich, nur ihre Geburtsdaten sind gefälscht und die Sterbedaten fiktiv. Die hat sich Schicksalsgott Wehler ausgedacht, weil er das Tabu des Todes in der Gesellschaft brechen will und weil er Werbung macht für den größten Bestatter Deutschlands, die Berliner Firma Ahorn-Grieneisen, die jährlich 20000 Menschen unter die Erde bringt. Seit einer Woche stolpern die Leser der Berliner Zeitungen über freundliche Menschen mit zarten Engelsflügeln in seltsam entrückten Landschaften. Die Menschen erzählen vom Tod, von ihrem Tod, wünschen sich Sonnenblumen auf dem Grab wie Heidi, die rüstige Omi, oder dass man sich doch um seinen Hund kümmern möge wie Siegfried, der Harley-Davidson-Fahrer.

Die Motive sind Teil einer umfangreichen Imagekampagne für das Bestattungswesen, dessen Image durch Berichte über Bestechungsaffären und Leichentourismus arg ramponiert ist. Es ist die erste Imagekampagne dieser Art. Den Tod und seine Begleitung offensiv zu bewerben, ist in der Branche ein Novum. Bisher galt das Credo: Irgendwann muss jeder zum Bestatter. Und vorher will niemand was von ihm wissen. Die Deutschen haben ein klares Defizit im Umgang mit dem Tod, sagt Ahorn-Grieneisen-Sprecher Rolf Peter Lange. Die eigene Endlichkeit würde verdrängt, die Trauerkultur verfalle. Für die Bestatter ein Alarmsignal. Immer mehr Menschen lassen sich anonym in einer einfachen Urne verscharren – ein karges Geschäft. Dabei gibt es heute alle nur erdenklichen Möglichkeiten, das Hinübergleiten ins Jenseits fantasievoll auszustatten – vom Graffiti-Sarg bis zur Weltraum-Bestattung. Natürlich gehe es bei der Kampagne nicht um Profit, heißt es bei Grieneisen, sondern um Aufklärung.

Auch Wehler, der Werbeprofi, musste zunächst über verschiedene Dinge aufgeklärt werden. Zum Beispiel die „Bevo“, die Bestattungsvorsorge mit Sterbegeldversicherung. Wehler, 37 Jahre alt und rundum gesund, hatte von der Bevo noch nie gehört und – wie die meisten seiner Generation – die Tatsache seines Todes fast rückstandslos verdrängt. Heute weiß er: Das war ein Fehler. „Das steckt dann im Unterbewusstsein und klopft immer mal wieder an die Tür.“ So ein latentes Unbehagen sei das, so ein Ahnen und leises Fürchten. Kann einem richtig das Leben verdüstern. Dabei ist der Tod die natürlichste Sache von der Welt, weiß Wehler heute, und wenn man ihm offen ins Auge blickt, könne man das Leben umso bewusster genießen. Seinen Tod nicht rechtzeitig mit einer Bevo zu planen, findet Wehler nahezu unverantwortlich gegenüber den Hinterbliebenen, die plötzlich organisieren müssen, während sie eigentlich trauern sollten. Wer selbstbestimmt lebt, sollte auch selbstbestimmt sterben.

Für seine Agentur „Motus“ sei der Auftrag von Ahorn-Grieneisen eine große Herausforderung gewesen, sagt Wehler. Da gab es noch keine Vorbilder, kein Repertoire. Prestigeträchtiges Neuland war zu erobern. Siegfried, Heidi und Wilhelm, den Angler, musste der Fotograf von der Straße auflesen. Jana ist ein Model. Das Projektteam suchte nach Menschen „voller Lebenskraft, die mitten im Saft stehen“. Die Idee mit den fiktiven Sterbedaten kam ihm wohl beim Duschen, erinnert sich Wehler. Doch, ein paar Fotokandidaten seien wieder abgesprungen, als sie erfuhren, dass auf den Tag genau ihr Ableben bestimmt werden soll. Die anderen nahmen es mit Humor und unterschrieben einen Vertrag, in dem sie alle Rechte an ihrem Bild samt Todestag an die Agentur abtraten. Rückgängig zu machen ist da nichts.

Im ahorn-grieneisischen Sinne zeigten sich die Fotomodelle als voll aufgeklärte Sterbliche. Wehler will übrigens im Jahr 2055 sterben, frühestens. Er stellt sich seine Beerdigung sehr fröhlich vor, mit Fotos aus seinem Leben und vielen Freunden, die auf ihn anstoßen. Thomas Loy

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