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Berlin: Das geht ans Herz: Kardiologien verlieren die Hälfte ihrer Betten

Krankenkassen wollen Kriterien für Therapie verschärfen. Ärzte befürchten Behandlungsengpass

Den Berliner Kliniken stehen erhebliche Veränderungen ins Haus: Rund die Hälfte aller 19 kardiologischen Stationen, in denen zum Beispiel Herzinfarkte behandelt werden, soll geschlossen werden. Damit entfallen bis zu 700 Betten. Darauf einigten sich die Berliner Krankenkassen und die Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) bei einem Gespräch am Dienstagabend. Dafür müssen andere Klinik-Abteilungen weniger reduzieren. Denn es bleibt bei dem im Krankenhausplan bis 2005 vorgesehenen Abbau von insgesamt 1327 der rund 21 400 Berliner Klinikbetten. Die Kassen konnten sich mit ihrer Forderung nach einer weitergehenden Reduzierung nicht durchsetzen.

Nach Angaben der Gesundheitsverwaltung gibt es in Berlin mehr als doppelt so viele kardiologische Betten als im Bundesdurchschnitt. „Doch das schlägt sich nicht in einem Mehr an Behandlungen nieder“, sagt der Berliner Gesundheitsstaatssekretär Hermann Schulte-Sasse. In der Hauptstadt werden also weniger Patienten pro Bett versorgt. Deshalb könne man auch auf die Hälfte verzichten.

Die Kliniken sehen das anders. In den neun Kliniken des landeseigenen Vivantes-Konzerns gibt es sieben Kardiologien mit Herzkatheterplätzen. „Wir können auf keine einzige davon verzichten“, sagt Vivantes-Sprecherin Fina Geschonneck. Allein in den beiden Kliniken Friedrichshain und Urban werden jährlich 4000 Katheteruntersuchungen vorgenommen, im Virchow-Klinikum der Charité sind es 1200. Bei einer solchen Untersuchung führen Ärzte dem Patienten – meist bei Verdacht auf einen Infarkt – über die Adern einen Katheter bis ans Herz. Das ist ein biegsamer Plastikschlauch, an dessen Spitze sich Geräte befinden. So können die Ärzte die verschlossene Gefäßstelle aufspüren und sofort eingreifen, indem sie mit einem kleinen Ballon das Gefäß erweitern. Das Blut kann wieder ungehindert fließen. Dies ist die schnellste und beste Methode, um nicht nur das Überleben nach einem Herzinfarkt zu sichern, sondern auch um zu verhindern, dass große Teile des Herzmuskels aus Blutmangel absterben – mit der Folge einer bleibenden Schwächung des Herzens.

Eine Arbeitsgruppe aus Senatsverwaltung, Krankenkassen und Fachgemeinschaft der Kardiologen soll bis Ende März Kriterien definieren, an denen sich die Kardiologien künftig messen lassen müssen. Erfüllen sie diese nicht, werden die Krankenkassen keine Versorgungsverträge mit ihnen schließen. Folglich dürften sie keine Kassenpatienten mehr behandeln. Ein solches Kriterium könnte zum Beispiel eine 24-Stunden-Notfallbereitschaft sein oder eine jährliche Mindestanzahl von Katheteruntersuchungen und -eingriffen. „Damit wollen wir Kosten sparen, aber auch eine hohe Behandlungsqualität für unsere Versicherten erreichen“, sagt Rolf Dieter Müller, Chef der Berliner AOK. Denn eine hohe Zahl an Eingriffen bedeute ein hohes Maß an Erfahrung und Routine.

„Wenn in Berlin die Kapazitäten tatsächlich halbiert werden, dann könnte das zu Versorgungsengpässen bei der Therapie eines akuten Herzinfarktes kommen“, fürchtet dagegen Dietrich Andresen, Kardiologie-Chef der Vivantes-Kliniken am Urban und im Friedrichshain. Wenn ein Infarktpatient nicht schnell medizinische Hilfe fände, sondern erst auf der Suche nach einem freien Behandlungsplatz durch die Stadt gekarrt werden müsse, dann könne es übel ausgehen. „Ein Herzinfarkt ist ein Wettkampf mit der Zeit – nach sechs Stunden ist die Chance vertan“, sagt Andresen. Dann sei der Herzmuskel so geschädigt, dass mindestens eine bleibende Herzschwäche drohe oder der Tod.

Andere Fachleute meinen aber, dass in Deutschland zu oft unnötig katheterisiert werde – für viel Geld. Nach Kassenangaben kosten die Untersuchungen zwischen 1300 und 4000 Euro. Sparen könnten die Kassen durch die bloße Schließung von Kardiologien nicht, denn die Patienten würden nicht weniger, sondern nur verschoben. „Dann untersuchen eben die verbliebenen Abteilungen, bis die Geräte glühen“, sagt ein Kardiologe.

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