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Berlin: Das globale Bergdorf

Am Kreuzberger Südhang entsteht ein Wohn- und Gewerbeviertel – nach Entwürfen aus Paris und Los Angeles. Statt Käufer werden im Viktoria-Quartier jetzt Mieter gesucht

„Zum Viktoria-Quartier bitte.“ Steffen Hanschmann macht regelmäßig den Taxifahrer-Test. „Fünf Prozent wissen, wohin sie fahren müssen,“ sagt der Baywobau-Geschäftsführer. Ein enttäuschendes Ergebnis. Den Viktoriapark mit dem Wasserfall und dem Schinkelschen Nationaldenkmal kennt jeder. Aber was sich nur ein paar Meter weiter, am Südhang des 66 Meter hohen Kreuzbergs tut, geschieht eher im Verborgenen. Das Viktoria-Quartier, für das Hanschmann verantwortlich ist, führt noch ein Schattendasein.

Wo einst an der Methfesselstraße die Schultheiss-Brauerei stand, sollte ein Stadtteil mit neuen Büros und Eigentumswohnungen entstehen, bis Ende 2001. Die Erwartungen waren riesig und rosig, die realen Aussichten auf dem Immobilienmarkt aber düster. Die Planungen für das 50000 Quadratmeter große Grundstück kamen über das Anfangsstadium nicht heraus. Die Lofts ließen sich als Kaufobjekte nur schwer vermarkten. Die Baywobau mit ihrer Neuen Viktoria Quartier GmbH als neuer Eigentümerin sucht nun erst einmal Mieter statt Käufer für einzelne neue Lofts des fertiggestellten „Schmiedehofs“. Von 69 werden inzwischen zehn rein gewerblich genutzt, 27 können noch vermietet werden, bei Mieten von acht bis zwölf Euro pro Quadratmeter. Die meisten Lofts sind 150 Quadratmeter groß. Wo einst Brauer schufteten und Pferde wieherten, wohnen jetzt Botschaftsangehörige, arbeiten Computerfirmen, sendet Jazz-Radio. Später sollen die Immobilien an einen Einzelinvestor veräußert werden. Das erscheint dem Unternehmen, zumindest für den Schmiedehof, derzeit erfolgversprechender als der Einzelverkauf. Von einer generellen Umkehr des Vermarktungskonzeptes vom Verkauf zum Vermieten wolle man aber nicht sprechen. Auf dem Gelände verkauften sich andere der neuen Wohnungen gut.

Ein Insolvenzverwalter hatte von Neuem anfangen lassen, das Gelände „frei“ übergeben wollen. Mieter, die bereits eingezogen waren, mussten räumen, weil die vorigen Käufer nicht im Grundbuch eingetragen waren. Das gab böses Blut. Für die Baywobau als neuem Eigentümer ist „das Thema abgeschlossen“. Sie kam zu dem Schluss, das Gelände fortan behutsam zu entwickeln. „Die Zeiten sind schwierig“, heißt es. Aber auch, auf die Historie anspielend: „Es braut sich was zusammen.“ Es brodelt vor allem am alten, denkmalgeschützten Schmiedehof, der wie eine Vitaminspritze für den geplanten Stadtteil wirken soll. Ein Punkt, von dem die Entwicklung ausstrahlen soll. Bis in die 80er Jahre wurden hier Brauereipferde gehalten.

Das Pariser Architekturbüro Reichen & Robert baute hinter den alten Fassaden großzügige Lofts und Studios, setzte auf die Dächer Penthouses. Ergänzende Neubauten entstanden unter anderem nach Plänen von Fred Fisher aus Los Angeles. Ferner wuchsen sechs „Townhouses“ und zwei Atelierhäuser, die sich um einen kleinen Park namens „Sixtusgarten“ gruppieren. Sixtus hieß einst der Brauereidirektor, und bis heute gibt es hier noch eine Sixtus-Villa. Die alten Bauten, mitunter burgartig im Stil der Neobacksteingotik errichtet, sollen einbezogen werden. Vorgesehen sind auch Bürobauten und ein Hotel. „Kunst und Leben am Kreuzberg“ will das Viktoria-Quartier bieten, die alten Gemäuer mit Läden und Galerien füllen. Wie es hier einmal aussehen soll, verraten die Zeichnungen auf der langen Wand der einstigen Brauerei. Aber dieser Entwurf stammt noch vom Voreigentümer, der jedes der rund 100 Gebäude schon durchgeplant hatte.

„Ein solches Projekt in einem Guss zu entwickeln, lässt der Markt nicht zu“, sagt der Geschäftsführer. Die Baywobau und ihr Partner, die Gesellschaft Artprojekt, setzen auf Zeit. Sie überlegen auch, was sich aus der bereits angelegten zweigeschossigen Tiefgarage mit 625 Stellplätzen machen lässt.

Und Geschäftsführer Hanschmann hofft, dass schon in einem Jahr der Taxifahrer-Test viel besser ausfällt.

Weitere Informationen im Internet:

www.baywobau.de

Christian van Lessen

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