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Einer Statistik des ZDH zufolge, interessieren sich acht von zehn Handwerkern für Digitalisierung.

© Westend61

Das Handwerk wird digital: Das sind die größten Veränderungen in der Branche

Wer im Handwerksberuf mithalten will, muss sich von der rein analogen Arbeit zunehmend verabschieden.

Im Haus des Handwerks in Berlin treffen Vergangenheit und Zukunft aufeinander. Das 45 Meter lange Keramikfries des Bildhauers Waldemar Grzimek zeigt Szenen aus der Arbeitswelt. Zu sehen sind Maurer, Töpfer und Architekten. Geschaffen wurde es im Jahr 1957.

In einer Szene sind zwei Architekten zu sehen, die zwei Modelle begutachten. Ein dritter zeigt auf einen Grundriss, den er auf eine Plane gezeichnet hat.

62 Jahre später und einen Raum weiter misst Bertram Thyssen den Parkettboden aus. Auf seinem Smartphone überträgt die Kamera das Bild. Thyssen wählt einen Punkt aus und zieht das Gerät weiter. Dann sucht er einen weiteren Punkt aus. Alles mit seinem Finger. Das Smartphone erkennt die Distanz und zeigt sie auf dem Live-Bild an. „Wir digitalisieren das Messen“, sagt er.

Mit seiner App können die Anwender Räume vermessen, im Nachgang erstellt sie einen zwei- oder dreidimensionalen Grundriss. „Eigentlich stammt die Software aus dem Gaming-Bereich, damit wurden Pokémon eingefangen“, sagt er und lacht. Das Handwerk hat sich verändert.

Einer Statistik des Zentralen Verbands des Deutschen Handwerks (ZDH) zufolge interessieren sich acht von zehn Handwerkern für die Digitalisierung. Sie nutzen bereits eigene Websites oder Online-Verzeichnisse, sehen sich aber noch am Anfang der Entwicklung. Jeder vierte Betrieb sieht den digitalen Wandel sogar als Gefahr. „Deshalb veranstalten wir die StartUp-Night, um junge Unternehmer und Handwerksbetriebe zusammenzubringen“, sagt Stephan Blank.

Chat-Bots für die Terminvergabe

Er ist Referatsleiter im Kompetenzzentrum Digitales Handwerk. In der zweigeschossigen Eingangshalle des Hauses präsentieren sich junge Unternehmer aus vielfältigen Bereichen. Sie sind aus ganz Deutschland angereist, um ihre Ideen vorzustellen.

Da wäre beispielsweise das E-Lastenrad Loadster. Mit bis zu 200 Kilometern Reichweite und einem Fassungsvolumen von 670 Litern. Navi und Flottenmanagement-Tool sind hier inklusive. Es ist überdacht, hat einen Sitz und vier Reifen. Gilt aber trotzdem als Fahrrad und darf führerscheinfrei gefahren werden.

Der Kunde unterschreibt auf dem Smartphone

Prozesse, Produkte und Geschäftsmodelle: Es gebe drei Bereiche, wo Digitalisierung im Handwerk ansetzen könne, weiß Stephan Blank. Zeitraubende Vorgänge wie Aufträge zu vergeben oder Rechnungen und Dokumente zu übermitteln, könnte problemlos digital passieren.

In der großen Halle werden Chat-Bots zu Terminfindung und Kundenkontakt vorgestellt. Diese können automatisch Fragen beantworten und freie Terminslots vergeben, alles über die Webseite. Viele Start-ups greifen das Thema Kommunikation auf. Juliane Stauch zeigt eine App, die Papierkram einsparen soll.

Jeder vierte Betrieb sieht den digitalen Wandel als Gefahr

Craftdrive digitalisiert die Kommunikation von Handwerkern und Büro. In der App werden die Termine aufgeführt, man kann sich sogar per Navi lotsen lassen. Der Kunde kann auf dem Smartphone unterschreiben und die Rechnung wird unmittelbar an die Geschäftsstelle weitergeleitet, ebenso Belegfotos oder Lieferscheine.

Die Online-Plattform „Dein Handwerk“ ist das „Parship für Handwerker“, sagt Mitgründer Mario Anders. Auf der Seite können Unternehmen miteinander in Kontakt treten und sich gegenseitig unterstützen. „Wenn ich einen Kran brauche, kann ich zuerst das Netzwerk fragen, bevor ich einen neuen Kran kaufe“, berichtet er.

Auch können sich verschiedene Branchen vernetzen, beispielsweise Architekten und Planungsbüros. „Sharing ist ja in aller Munde, wir machen das im Handwerk vor“, sagt Anders. Neben einigen Exoten wie einer Firma, die Dächer mit Drohnen vermessen will, sind die meisten Ideen sehr simpel: wie beim Münchner Unternehmen Craftguide, das Schulungen und Bauanleitungen digital per VR-Brille oder 3-D-Modell anbietet. „Das ist ein theoretischer Einstieg und Arbeitsunterstützung vor Ort“, sagt Mitgründer Johannes Nies. Schließlich könne sich kein Handwerker die Bauweise aller Heizungsmodelle auf dem Markt merken.

"Alles passiert online, wir müssen uns weiterentwickeln"

Auf den Fliesen am Eingang sind keine VR-Brillen zu sehen, keine digitale Technik. Sie stammen aus einer Zeit, in der es noch keine Sharing Economy gab. „Vor allem für kleinere Betriebe ist die Digitalisierung eine Herausforderung“, leitet Stephan Blank ein. „Aber wenn wir es nicht tun, tun es andere“, fügt er hinzu. Als Beispiel nennt er Online-Optiker. „Das sind keine Handwerker, sondern andere Bereiche, die mittlerweile aber Läden haben und nicht nur Online-Kanäle bedienen“, mahnt er. „Das Konsumverhalten ändert sich, alles passiert online, wir müssen uns weiterentwickeln.“

Das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk möchte unterstützen. „Mehr als die Hälfte der Betriebe braucht Hilfe, dafür sind wir da“, sagt Blank. Die Digitalisierung sei als Chance zu begreifen, da sie Arbeit erleichtere und neue Felder erschließe. Bisher werden 3-D-Drucker nur in jedem zehnten Betrieb eingesetzt, Roboter kommen auf drei Prozent der Handwerksunternehmen. Doch wenn sich die Geschwindigkeit hält, wird es im Haus des Handwerks vielleicht schon bald eine Fliese mit dachvermessenden Drohnen geben.

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