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Blick ins Terminal 1 am BER.

© Michael Kappeler/AFP

Das Happy End muss warten: Coronakrise dämpft Freude der neuen Händler am BER

Schon vor neun Jahren wollten sie ihre Geschäfte am BER eröffnen. Kurz vor dem Start des neuen Flughafens bereitet nun die Pandemie Probleme.

Von Sandra Dassler

Der kleine Bruno war gerade mal fünf Jahre alt, als die bereits einmal verschobene Eröffnung des Großflughafens BER im Frühjahr 2012 erneut platzte. Die Enttäuschung des großen Brunos, seines Vaters, bekam er noch nicht mit. Der hatte hier ein Restaurant auf 250 Quadratmetern eröffnen wollen. „Pellegrini, Gusto Italiano“ hätte über dem Eingang geleuchtet. Für die ersten Gäste sollte es ein Gläschen Franciacorta aus der Provinz Brescia geben – ein Schaumwein – dazu Häppchen mit Lachs, Kaviar und Schinken.

Bruno Pellegrini hatte etwa ein Dutzend Mitarbeiter eingestellt und spezielle Möbel und technische Geräte geordert. Es sollte noch einmal etwas ganz Neues für den damals 53-jährigen Gastronomen sein, der in Berlin-Charlottenburg sein Feinschmeckerrestaurant „Ana e Bruno“ betrieb, wo sein Sohn, der kleine Bruno, so gern in schwarzem Anzug, weißem Hemd und mit Krawatte beim Kellnern "half".

Jetzt, wo der Flughafen tatsächlich öffnet, ist aus dem kleinen längst ein großer Bruno geworden, das Charlottenburger Restaurant existiert nicht mehr und zur Eröffnung des neuen Bistros am BER wird es weder Spumante noch Häppchen geben. Der Name wird auch nicht „Pellegrini, Gusto Italiano“ sein, sondern „in.gredienti“, was so viel wie Zutaten heißt und im wahrsten Sinne des Wortes Appetit machen soll auf wunderbare italienische, aber auch internationale Speisen. 

„Die ursprünglichen Möbel waren nicht mehr zu gebrauchen“, sagt Bruno Pellegrini. „Aber wir haben für die moderne Einrichtung die Farben von Ferrari gewählt, weil das für Erfolg und Schnelligkeit steht und weil wir hoffen, jetzt endlich richtig Gas geben zu können.“ Er macht eine Pause. „Also wenn wir hoffentlich nicht gleich wieder schließen müssen. Wir sind heiß und hungrig auf Arbeit, so wie die Ferrari-Fahrer. Und wie sie wollen wir nicht zurück-, sondern nach vorne schauen.“

Verständlich, denn wie für alle Händler und Gastronomen am BER kam die abgesagte Eröffnung vor acht Jahren auch für Pellegrini völlig überraschend. Zunächst von der Politik zugesagte Hilfen oder Entschädigungen blieben aus und die kleinen und mittelständigen Unternehmen auf ihren bereits entstandenen Kosten sitzen. Manche von ihnen entschlossen sich, vor Gericht zu klagen, aber es dauerte Jahre, bis es zu Urteilen oder Vergleichen kam.

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Bruno Pellegrini hatte da noch Glück: Er gehörte zu den 20 von 70 Betroffenen, die 2013 von der Flughafengesellschaft als Kompensation Flächen am Flughafen Tegel angeboten bekamen. Für Pellegrini war es ein Bistro. „Das hatte zwar nur 40 Quadratmeter Fläche“, sagt er. „Aber wir konnten schon mal Erfahrungen mit der Flughafenwelt sammeln, denn die tickt anders. Kundschaft kommt im Rhythmus der Flieger, man muss die Welle erwischen, damit es funktioniert.“

Sein erster Flug ging 1976 von Tegel ab

Die Zeit in Tegel will Bruno Pellegrini jedenfalls nicht missen – im Gegenteil: „Ich liebe Tegel schon deshalb, weil ich hierher 1976 meinen ersten Flug gemacht habe“, sagt er. „Den hat mir der deutsche Staat geschenkt, weil ich von der Bundesrepublik nach West-Berlin umzog. Tegel ist für mich immer eine große Emotion.“

Bruno Pellegrini. 
Bruno Pellegrini. 

© Kai-Uwe Heinrich

„Vollkommen emotionsfrei“, wie er selbst sagt, wird hingegen Hans-Jörg Schulze sein, wenn sich am 31. Oktober der erste Bus der neuen Linie BER1 am Rathaus Steglitz in Richtung Großflughafen in Bewegung setzt. Ursprünglich hatte die Spandauer Firma Haru-Reisen, dessen geschäftsführender Gesellschafter Schulze war, die Konzession für die Schnellbuslinie erhalten. Als die Eröffnung platzte, waren die 800.000 Euro teuren Spezialbusse bereits gekauft und weil der Termin zunächst angeblich nur kurzzeitig verschoben war, blieben sie auf dem Gelände stehen. „Wir sind sie Monate später zwar losgeworden“, sagt Schulze, „aber mit 150.000 Euro Verlust.“

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Mit den Personalkosten für die neu eingestellten Fahrer hatte sich der Gesamtschaden für Haru-Reisen damals auf eine Viertelmillion Euro summiert. „Wir hatten keinen Anspruch auf Entschädigung“, sagt Schulze. „Im Gegensatz zu den Händlern besaßen wir ja keinen direkten Vertrag mit der Flughafengesellschaft.“

Einige der Firmen gibt es schon gar nicht mehr

Das ging auch vielen Arbeitnehmern so, die aus allen Teilen der Republik nach Berlin gekommen waren, um am neuen Flughafen zu arbeiten. Viele hatten ihre bisherigen Arbeitsstellen gekündigt, nicht wenige sogar ihre Wohnungen. Sie standen vor dem Nichts, zumal das zunächst versprochene Kurzarbeitergeld nie gezahlt wurde. 

Eine Voraussetzung dafür sei, dass es sich um einen vorübergehenden Arbeitsausfall mit absehbarem Ende handeln müsse, argumentierten die Ämter. Das ist heute bei Corona der Fall, beim Flughafenbau war 2012 hingegen noch kein Ende absehbar. So gab es keine Hilfen für Arbeitnehmer und auch Hans-Jörg Schulze von Haru-Reisen hat nie etwas erhalten. Trotzdem will er nicht im Zorn zurückschauen – zumal es seine Firma seit zwei Jahren gar nicht mehr gibt. „Das ist vorbei“, sagt er. „Die Familie hat sich nach hartem Ringen und aus verschiedenen Gründen 2018 dafür entschieden, Haru-Reisen zu verkaufen. Mit dem BER hatte das nichts zu tun.“ Er wolle sich nicht mehr mit den vergangenen Dingen beschäftigen, sagt Hans-Jörg Schulze.

Nur das viele öffentliche und private Geld, das im Zusammenhang mit dem Großflughafen versenkt wurde, ärgere ihn. Und dass von den Verantwortlichen kein einziger angeklagt wurde, es also definitiv keine Schuldigen für das Fiasko gibt.

„Aber egal. Jetzt ist es wichtiger, nach vorn zu schauen und positiv in die Zukunft zu sehen“, sagt Schulze. „Schließlich wird die ja allein schon wegen Corona auch nicht einfach werden.“

Beatrice Posch.
Beatrice Posch.

© promo

Das sieht auch Béatrice Posch so, die endlich ihren Spielzeugladen „Die kleine Gesellschaft“ am BER eröffnen möchte. Wie Bruno Pellegrini hofft sie, dass dies möglich ist und dass bald wieder mehr Passagiere kommen. Wie er hat auch sie im Jahr 2013 ein Angebot das Flughafengesellschaft angenommen und erst einmal einen kleineren Laden in Tegel eröffnet. Es war eine Notlösung, aber es wurde eine große Liebe.

Den Eindruck gewinnt man jedenfalls, wenn Béatrice Posch von den vielen Geschäftsreisenden erzählt, die in ihrer liebevoll eingerichteten „Kleinen Gesellschaft“ ein Mitbringsel kauften. Und natürlich von den Kindern selbst, die sich manchmal vor dem Abflug in ein Spielzeug verliebten und bei ihrer Rückkehr stolz verkündeten, dass sie sich im Urlaub extra nichts anderes gekauft hätten, um das Auserwählte mit nach Hause nehmen zu dürfen. „Es gab keinen einzigen Tag, an dem wir nicht mit Kunden gelacht hätten“, sagt Béatrice Posch. So wie es jetzt keinen einzigen Tag gibt, an dem wir nicht gefragt werden, ob wir auch am BER sein werden.“

Der Abschied von Tegel fällt ihnen schwer

Werden sie natürlich. Schon längst wurde ein Teil der Ware zum neuen Standort transportiert. Der andere Teil wird ausverkauft. „Mir blutet das Herz wegen der 40 Prozent Rabatt“, sagt Béatrice Posch. „Aber eigentlich nur, weil ich dieses Geld lieber meinen Angestellten als Prämie zahlen würde. Die hätten sich das echt verdient.“

Ihre Mitarbeiterinnen waren ihr schon vor acht Jahren das Wichtigste. Und eigentlich hat sie das Tegel-Angebot nur angenommen, um wenigstens einige von ihnen weiter zu beschäftigen. Sie seien ein richtig gutes Team, schwärmt Béatrice Posch. Fast alle Frauen waren während des Corona-Lockdowns in Kurzarbeit – jetzt hoffen sie, dass die Geschäfte am BER offen bleiben dürfen.

Der endgültige Abschied von Tegel fällt allen schwer. „Wenn der Laden dort immer leerer wird, macht sich schon eine leise Wehmut breit“, sagt Béatrice Posch. „Kein Wunder, dass unsere gemeinsam mit der Firma Koziol entwickelte Tegel-Gedenk-Schneekugel so gefragt war, dass nur noch einige wenige Exemplare übrig sind.“

Möglicherweise kauft der große Bruno Pellegrini ja eine davon. Die „Tegel-Notlösung“ habe für ihn nämlich noch eine ganz private, überaus glückliche Auswirkung gehabt, erzählt er: „Eines Tages betrat dort eine Prinzessin mein Bistro... Ja, ich habe meine neue große Liebe am Flughafen Tegel gefunden.“

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