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Ein turbulentes Jahr liegt hinter ihm - doch Klaus Wowereit lässt sich nichts anmerken.

© dpa

Das Jahr des Klaus Wowereit: "Ihr werdet mich nicht los"

Er scheint wieder ganz der Alte zu sein. Nach diesem Jahr 2013. Das für Klaus Wowereit mit einem Rücktritt begonnen hatte. Und mit einem Rücktritt vom Rücktritt endete. Und jetzt? Alles zurück auf Anfang? Eines weiß er selbst: Seine politische Karriere ist durch.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Weihnachten feiert er gerade am Fließband. Klaus Wowereit sitzt in der Kuppel des Fernsehturms an der adventlich geschmückten Kaffeetafel. Um ihn herum klappern die Tassen und lächeln die Stadtältesten, verdiente Politiker Berlins, alle älter als Wowereit. Ein Seniorenkranz am späten Nachmittag. Der Regierende schaut von ganz oben auf die Stadt im vollen Lichterglanz. Seine Stadt. Das sind Termine, die er mag.
Und es sind die Momente, in denen der Berliner Regierungschef wieder ganz der Alte zu sein scheint. Nach diesem Jahr 2013. Das für Klaus Wowereit mit einem Rücktritt begonnen hatte. Und mit einem Rücktritt vom Rücktritt endete, als er sich in der vergangenen Woche wieder zum Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft wählen ließ. Obwohl Wowereit auf ebendiesem Posten die Kontrolle über das ausufernde Bauvorhaben verloren hatte und deshalb fast auch als Regierungschef zurückgetreten wäre. Aber eben nur fast.

Und jetzt? Alles zurück auf Anfang? Als hätte das Jahr 2013 nie stattgefunden? Er lässt es sich nicht anmerken. Oben in der Fernsehkuppel nicht und auch nicht, als er am vergangenen Donnerstag den 25-millionsten Berlinbesucher des Jahres am Brandenburger Tor begrüßt. Aber Wowereit sieht und spürt, wenn er in Berlins Straßen unterwegs ist, er ist nicht mehr der Popstar, mit dem sich alle fotografieren lassen. Manchmal gibt es böse Blicke, wegwerfende Handgesten, Kopfschütteln. In der SPD-Zentrale in Wedding kommen jetzt wieder Briefe der erbosten Bürger an, wie schon zu Jahresbeginn. Einer schreibt: „Entheben Sie Herrn Wowereit aller Ämter und schicken Sie ihn aufs Land zum Gartenumgraben, damit er keinen weiteren Unfug mehr anrichten kann.“

Es war sein Glück, dass sich kein Besserer fand

So klingt Volkes Stimme. Das Verhältnis zwischen dem Regierungschef und seinen Wählern ist zerrüttet, was jede Umfrage aufs Neue beweist. Die deutliche Mehrheit ist dagegen, dass Berlins prominentester Sozialdemokrat 2016 noch einmal als Spitzenkandidat antritt. Seit dem Absturz vor elf Monaten hat es Wowereit gerade einmal geschafft, auf der Beliebtheitsskala an der Bildungssenatorin und Parteifreundin Sandra Scheeres vorbeizuziehen. Von Platz 14 auf 13.

Wowereit, einst Deutschlands populärster Landeschef, schien am Ende, als im Januar die Eröffnung des Hauptstadt-Flughafens BER in Schönefeld zum fünften Mal verschoben wurde. Der junge SPD-Fraktionschef Raed Saleh, auf dessen weißem Sofa damals ein erschütterter Wowereit saß, stand bereit, einzuspringen, und es gab sogar die Idee, den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky zu einer Kandidatur für die Berliner Sozialdemokraten zu überreden, sollte es zu Neuwahlen kommen. Wowereit hat diese Tage nicht vergessen, aber er hat es geschafft, sie auszublenden. Und beschlossen, einfach weiterzumachen. Den Aufsichtsratsposten gab er an den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck ab, blieb aber als Stellvertreter in der Warteschleife. Im passenden Zeitpunkt setzte er, um im Bild zu bleiben, dann zur Landung an.

„Ich gehöre zu denjenigen, die nicht weglaufen"

Wowereit dürfte der Letzte sein, der sich noch Illusionen hingibt. Seine politische Karriere ist durch. Aber als Totalversager wollte er nicht in die Geschichte eingehen, und deshalb macht er seinen Job weiter, so wie er es versteht, und versucht, den Schaden zu begrenzen. Auch in eigener Sache. „Ich gehöre zu denjenigen, die nicht weglaufen und sich der Verantwortung stellen“, hatte er schon am 9. Januar im Parlament verkündet, als die Opposition einen Misstrauensantrag gegen ihn stellte.

Es war sein Glück, dass sich kein Besserer fand, als der Posten nach Platzecks Rückzug aus der Politik im August wieder vakant wurde. Auch nach dreimonatiger Suche nicht. Zuletzt nickten der brandenburgische Regierungschef Dietmar Woidke, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der scheidene Verkehrsminister Ramsauer bei einem kurzzeitig anberaumten Treffen, einen Tag vor der entscheidenden Aufsichtsratsitzung, den Deal ab. Gut gelaunt kehrte Wowereit in die letzte Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses zurück und verteidigte noch schnell seinen Kulturetat. Alles war gut – für ihn.

Wenn er nicht will, hat sich die Stadt damit abzufinden

Angriff ist die beste Verteidigung, das war schon immer das Credo Wowereits, wer sich kleinmacht, hat schon verloren. Der kühle Taktiker kokettiert bei öffentlichen Veranstaltungen gerne mit einer weiteren Kandidatur fürs Rote Rathaus. Als er beim Sommerfest der SPD-Fraktion im Pavillon am Reichstag auf überflüssige Pfunde angesprochen wird, verspricht Wowereit lächelnd: „Vorm nächsten Wahlkampf nehme ich wieder ab.“ Das ist alles wohlkalkuliert. Nur im Kreise von Vertrauten zeigt Wowereit Zweifel, schimmert seine nachdenkliche Seite durch. Seit dem Spätherbst lässt er durchblicken, dass für ihn spätestens zur Abgeordnetenhauswahl 2016 Schluss sei. Was Wowereit offiziell niemals bestätigen würde. Denn eine solche Erklärung würde Wowereit endgültig zur „lame duck“, zu einer politisch lahmen Ente machen. Aber wie soll die einen Flughafen zum Fliegen bringen?

Also sitzt Wowereit weiter an seinem Schreibtisch in Mitte, mit Blick auf die Baustelle der U-Bahnlinie 5, arbeitet Akten ab, empfängt Gäste, ist viel außer Haus und schmiedet sehr überschaubare Pläne. Irgendwie ist auf diese Weise das Jahr verflossen, ohne dass sich genau sagen ließe, was der Regierende kraft seines Amtes 2013 wirklich bewegt hat. Er ließ sich treiben, vom Terminkalender, aber auch von der eigenen Partei und Fraktion. Tauchte auf, dann wieder ab, vor allem dann, wenn ihn etwas wenig interessierte.

Schnell vom Acker gemacht

So wie bei der East Side Gallery, als der Protest Anfang März gegen ein weiteres Loch in dem weltweit bekannten Mauerstück zu eskalieren drohte. Da erklärte Wowereit das Thema zur Chefsache, versprach eine „schonende Lösung“ und lud Bauinvestoren, Vertreter des Bezirks und des Senats ein, gemeinsam nach einem Kompromiss zu suchen. Dabei blieb es aber auch. Längst wächst das Wohnhochhaus des umstrittenen Unternehmers und Ex-Geheimdienstagenten Maik Uwe Hinkel hinter der Gallery in die Höhe, und das Problem ist am Stadtentwicklungssenator Michael Müller hängen geblieben. Der Chef hatte sich schnell wieder vom Acker gemacht.

Wenn Wowereit nicht will, dann hat sich die Stadt damit abzufinden. Das wissen jetzt auch die Kirchen und die Caritas, deren runder Tisch zur Flüchtlingspolitik von den Senatsvertretern bisher boykottiert wird. Aus juristisch formalen Gründen, denn die Asylpolitik sei in erster Linie Sache des Bundes und der Ärger um das Flüchtlingscamp am Oranienplatz eine bezirkliche Angelegenheit. Da hält sich Wowereit vorsichtshalber komplett raus und lässt Innensenator Frank Henkel machen, der sein Ultimatum für eine Räumung ohne Abstimmung mit der Senatskanzlei ausgesprochen hatte. Soll der CDU-Chef doch sehen, wie er klarkommt.

Immerhin, der neue Landeshaushalt trägt Wowereits Handschrift. Die harte Sparpolitik des letzten Jahrzehnts, die er stets verteidigte, wird moderat fortgesetzt. Mit einem Nullwachstum der öffentlichen Ausgaben. Sprudelnde Steuereinnahmen bescheren dem Land sogar Überschüsse. Ein Glücksfall für Rot-Schwarz. So kann sich die Hauptstadtkultur über zweistellige Wachstumsraten freuen, 2015 liegt das Budget bei fast 400 Millionen Euro. Das meiste Geld fließt in Opern, Theater und große Gedenkstätten, nur die freie Szene jammert. Auch die Hochschulen kriegen mehr Geld, hohe zweistellige Millionenbeträge, dasselbe gilt für Kitas und Schulen.

Leben und leben lassen

Das hat Wowereit dem überaus listigen, parteilosen Finanzsenator Ulrich Nußbaum abgerungen, dem er in schwer durchschaubarer Weise eng verbunden ist. Die Bildungssenatorin Scheeres hätte das aus eigener Kraft nie geschafft, das gibt sie freimütig zu. Alles andere überließ der Regierende, wie üblich, dem freien Wettbewerb zwischen den Fachsenatoren, Nußbaum und den Koalitionsfraktionen SPD und CDU.

Leben und leben lassen. Das ist Wowereits Politikstil seit über zwölf Jahren. Das Kabinett führt er an der langen Leine, nur im Notfall knallt die Peitsche. Mit dem Chef der eigenen Fraktion, früher Michael Müller, jetzt Raed Saleh, regelt er täglich das Nötige auf kurzem Amtsweg per Handy. Wowereit weiß, wen er braucht. Auch wenn er den jungenhaft wirkenden Fraktionschef öffentlich die Wange tätschelt und sagt: „Na, mein Kleener!“ Die Berliner Genossen verzeihen viel und greifen nach jedem Anlass, ihren Chef, der in der Bundes-SPD nicht erneut als Vize antrat, mal wieder tüchtig zu feiern. Es wirkte schon etwas komisch, als der Berliner SPD-Chef Jan Stöß auf dem Landesparteitag im November sein Smartphone triumphierend in die Luft hielt und den Genossen zurief, dass ihm Wowereit soeben eine SMS aus Zürich geschickt habe. Berlin bekam den Zuschlag für die Leichtathletik-EM 2018. Das Parteivolk jubelte, und die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl lobte „unseren geliebten Regierenden Bürgermeister“.

Anders als Matthias Platzeck verfügt Wowereit über eine robuste Gesundheit

Auch ein Erfolg: 2015 findet das Champions-League-Endspiel im Olympiastadion statt, seit zehn Jahren hatte sich der Senat dafür beworben. Der größte Triumph für Wowereit wären aber die Olympischen Spiele im Sommer 2024. Bis 2015 muss sich die Stadt entscheiden, aber vorher den Deutschen Olympischen Sportbund auf ihre Seite ziehen.

Kultur, Tourismus und die Bildung, soweit Berlin damit wächst und attraktiver wird, das elektrisiert Wowereit. Jeder Antriebsmotor für die Stadt ist willkommen. Früher wollte Wowereit kein Stadtschloss, inzwischen ist er voll dabei – weil das Touristen bringt. Da sei „nichts rückwärtsgewandt“, sagte er im Juni bei der Grundsteinlegung, gleich neben dem Bundespräsidenten Joachim Gauck durfte er stehen. Mit etwas Glück kann Wowereit als Regierender beim Richtfest in zwei Jahren teilnehmen.

Sein Ruf gilt nicht überall als ruiniert

Auch der Spatenstich für eine neue Landesbibliothek am Rand des Tempelhofer Feldes, wahrscheinlich 2016, könnte noch in seine Amtszeit fallen. Bisher gibt es für den geplanten Multimedia-Palast, auf den die Opposition, aber auch die mitregierende CDU am liebsten verzichten würde, nur preisgekrönte Architekturentwürfe und eine Kostenschätzung von 272 Millionen Euro. Ohne den Regierenden Kultursenator wäre das Großprojekt längst versenkt. Und selbst Parteifreunde sagen, wenn Wowereit vorzeitig sein Amt niederlegen sollte, wäre dies auch das Ende des Bauvorhabens.

Nicht in allen Kreisen gilt Wowereits Ruf als ruiniert. Seit ein, zwei Jahren wird der SPD-Mann von den Kammern und Unternehmensverbänden als Förderer der Wirtschaft gelobt. Die CDU dagegen hatten Vertreter der privaten Wirtschaft sacht ermahnt, sich Wowereit als wiederauferstandenem BER-Aufsichtsratschef nicht weiter in den Weg zu stellen. Der Airport müsse so schnell wie möglich flugfähig werden, egal wie. „Ich glaube, in dieser Situation kommt es auf Erfahrung an“, sagte der einflussreiche Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Christian Amsinck. Der Generalsekretär der Union, Kai Wegner, murrte da nur noch leise: „Die Rückkehr Wowereits ist nicht das Aufbruchssignal, das ich mir für den BER wünsche.“ Aber es gelte jetzt nach vorn zu schauen.

Die Wirtschaft der Region setzt, wie auch die Flughafen-Miteigentümer Brandenburg und der Bund, mangels personeller Alternativen auf Wowereit und den Flughafenchef Hartmut Mehdorn. Im Frühjahr 2016, vielleicht etwas früher, werde wahrscheinlich eröffnet, hieß es neulich in Senatskreisen. Aber das sind nur unbestätigte Gerüchte. Wenn es so käme, wäre der Regierende Bürgermeister und Aufsichtsratchef selbst bei diesem Großereignis noch dabei.

Trinkfest ist er geblieben

Und danach? Trinkfest ist er geblieben, trotz seiner 60 Jahre, und viel Schlaf brauchte Wowereit noch nie. Ganz anders als Matthias Platzeck verfügt er über eine robuste Gesundheit – und einen Personal Trainer für ein ziemlich kleines bisschen Sport.

Beim Rundgang auf der Tourismusmesse ITB im vergangenen März hat Wowereit verraten, was er sich für die Zeit nach dem Roten Rathaus vorstellt: reisen, für ein paar Monate nach Neuseeland und Australien. Dass er sich als Chef einer parteinahen Stiftung oder eines deutschen Kulturinstituts ins Ausland verabschieden könnte, gilt als eher unwahrscheinlich. „Ich bleibe in Berlin, ihr werdet mich nicht los“, sagte er kürzlich. Und amüsierte sich, dass es wie eine Drohung klang.

Es gibt einiges, was Wowereit in der Stadt hält, die Opernpremieren, die Eigentumswohnung in Wilmersdorf, die er mit dem Lebensgefährten Jörn Kubicki teilt. Der alte Berliner Westen, das ist Wowereits Heimat, in der er erst groß und dann grau geworden ist. „Wer nicht alt werden will, muss früher sterben“, zitiert Wowereit die von ihm geschätzte Schauspielerin Hannelore Elsner. Die Höhe seiner Pension hat er sich schon mal durchrechnen lassen.

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