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Berlin: Das Kreuz mit dem Sparen

Die Verzweiflung geht um: Wie schwer es den katholischen Kirchengemeinden fällt, die Saniererungspläne von McKinsey umzusetzen

ZWISCHEN UMBAU UND AUFBRUCH: KIRCHE UND SOZIALEINRICHTUNGEN IN BERLIN

Vor zehn Tagen steckte in jeder katholischen Pfarrei ein Brief im Briefkasten. Darin: ein schlichtes DIN A4-Papier mit Zahlenkolonnen. Darauf steht zum Beispiel, dass von zwei Pfarrern nur noch ein halber bleiben soll oder von einer Kirchenmusikstelle nur noch dreiviertel. In den Gemeinden ist im Schnitt jede dritte Stelle gestrichen, in der Bistumsverwaltung fast jede zweite, die Hälfte der Pfarreien fällt weg. Auf den offiziellen Listen tauchen sie nicht mehr auf.

Dass es keine Alternative zum Sparkurs gibt, ist allen klar, den Mitarbeitern im Ordinariat, den Pfarrern, den Gläubigen. Viele Pfarrer sind trotzdem sauer, stinksauer, dass es so weit kommen musste. Bei den Sitzungen, bei denen die Finanzchefs des Bistums den Pfarrern erklären, wie die Zahlenkolonnen gemeint sind, kocht die Stimmung. „Trauerarbeit“, sagt Bistumssprecher Stefan Förner dazu. Trauerarbeit ist wichtig, um mit einer Trennung klar zu kommen. Trauerarbeit ist wichtig, um in die Zukunft nicht nur hineinzuschlittern, sondern etwas daraus zu machen.

Im Dekanat Schöneberg-Tempelhof wird es künftig nur noch sechs Gemeinden geben mit 10 Geistlichen statt der jetzt 15. Von den 11,8 Küstern werden noch 5 bleiben, von 6,1 Kirchenmusikern noch 1,1, nicht mal eine Fünftelstelle pro Pfarrei. Wie soll man von einer Fünftelstelle leben, fragt Marianne Müller vom Verband der Kirchenmusiker. Sie trifft sich an diesem Morgen mit Kollegen im Pfarrbüro von St. Matthias am Winterfeldtplatz – um Zorn abzulassen. Wenn man nebenbei unterrichten muss, wie soll man da bei allen Messen spielen, den Kirchenchor leiten und den Kinderchor? „Wie soll man mit einem Kirchenchor, um den man sich nicht mehr kümmern kann, eine Messe von Palestrina oder von Schütz singen?

Berater von McKinsey haben den Sparplan erarbeitet und sich an westdeutschen Gemeinden orientiert. Die Durchschnittsgemeinde, so haben sie errechnet, hat 3600 Kirchenmitglieder, zwei Geistliche und zwei Techniker, wobei die Kirchenmusiker unter die Techniker fallen, für die Durchschnittsstelle haben sie 33000 Euro im Jahr eingeplant. Künftig wird den Gemeinden entsprechend dem Stellenschlüssel eine bestimmte Summe überwiesen. Wie sie es verteilen, bleibt den Pfarrern überlassen, ob sie dafür zum Beispiel zwei Küster einstellen und auf die Sekretärin verzichten, oder einen Organisten und eine Sekretärin und selbst putzen. Theoretisch. Aber praktisch?

„Im Moment blickt keiner durch“, sagt Pfarrer Edgar Kotzur von St. Matthias. Er sitzt im Pfarrbüro mit schönen alten Möbeln, schüttelt den Kopf und studiert das Papier mit den Zahlenkolonnen. Zum 1. Februar 2004 soll St. Matthias mit St. Elisabeth zu einer der größten katholischen Gemeinden in der Bundesrepublik fusionieren. 11000 Mitglieder wird die Pfarrei dann haben. Von den jetzt zwei Priestern sollen trotzdem nur 1,5 bleiben, von drei Küstern 95 Prozent, von 1,5 Sekretärinnen 96 Prozent. Kotzur will weiterhin in beiden Kirchen Gottesdienst halten. Man könne den alten Leuten von St. Elisabeth nicht zumuten, jeden Sonntag von der Kolonnenstraße an den Winterfeldtplatz zu kommen. „Aber welche Messe soll ich dafür aufgeben?“ Die 8-Uhr-Messe am Sonntag in St. Matthias, zu der immerhin 60 Leute kommen? Für eine in St. Elisabeth mit 25 Leuten? Der Pfarrer dort mit seiner künftig halben Stelle kümmert sich um die slowenische Gemeinde, die in St. Elisabeth angesiedelt ist. Da die Liturgie der Slowenen ganz anders sei als die deutsche, viel sinnlicher mit mehr Gesang, könne man den Slowenen nicht einfach sagen: Jetzt kommt Ihr halt nach St. Matthias. Man würde ihnen ein Stück Heimat nehmen.

Man sei an der Misere mitschuld, sagt Kotzur. Die Gemeinden hätten bei der Bistumsleitung gebohrt – so lange, „bis die schwach geworden sind und neue Stellen, die man haben wollte, schließlich doch genehmigt haben“. Kotzur bittet seit ein paar Tagen in jeder Messe „um Erleuchtung für die richtigen Entscheidungen“.

Franziskanerpater Urban Hachmeister ist einer der drei Geistlichen, die die Gemeinde St. Ludwig in Charlottenburg leiten. Das mit der Schuld sieht Hachmeister ganz anders als Kotzur: „Die Misere hat uns die Bistumsleitung eingebrockt, wir müssen sie auslöffeln.“ In einem Brief hat der sonst freundliche, runde Mann den Generalvikar gefragt, ob auch „die Herren“, die das Bistum leiten, mit ihrem persönlichen Vermögen haften, wenn sie Fehler machen – so wie die ehrenamtlichen Kirchenvorstände in den Gemeinden. Er weiß nicht, wie sie künftig zu zweit statt zu dritt zwei Gemeinden versorgen sollen mit über hundert Taufen im Jahr, zig Hochzeiten, und alles mit nur einem Küster.

Das mit der Durchschnittsgemeinde sei zwar auf dem Papier schön und gut. Aber in Wirklichkeit? Keiner habe berücksichtigt, dass St. Ludwig am Ludwigkirchplatz eine City-Kirche sei, in die die Leute auch aus den anderen Dekanaten kommen. „Da wird man ja bestraft, weil man eine schöne Kirche hat.“ Manchmal überlegt Hachmeister nun, ob er den ganzen Laden nicht einfach hinschmeißen soll. Er geht auf die 70 zu. Im Ordinariat will man sowieso Pfarrern ab 65 „mit sanftem Druck“ den Ruhestand nahelegen. Über 60 Pfarrer könnten dadurch ein Fall für die Pensionskasse werden. „Aber ein Leben ohne meine Gemeinde kann ich mir nicht vorstellen“. Der Franziskaner will alles tun, um die Mitarbeiter zu halten. Die Gemeinde habe Rücklagen und wenn jeder auf ein paar Prozente seines Gehalts verzichtet…

Auf Martin Rieger wirkt der Sparplan wie eine Energiespritze. Seit einem halben Jahr ist er Pfarrer in St. Augustinus und Heilige Familie, zwei außergewöhnlich junge und schnell wachsende Gemeinden in Prenzlauer Berg mit 6000 Mitgliedern. Jeder zweite ist zwischen 25 und 35 Jahren alt, im ersten Quartal dieses Jahr sind wieder 500 katholische Neuberliner in die Ecke um den Helmholtzplatz gezogen. Rieger ist 35, trägt die Haare als Stoppeln, grüne Hose und schwarzes Hemd. Pausenlos spricht er hier, schreibt dorthin und verhandelt mit dem Ordinariat, um Geldquellen für die gekündigten Mitarbeiter aufzutun.

Mit seinen beiden Pfarrerskollegen hat er ausgemacht, dass der Älteste in Pension geht. „Inoffiziell wird der natürlich seinen Dienst weitermachen wie bisher, aber dann ist er hier aus den Zahlen raus“. Für einen Küster hat er eine Umschulung zum Hausverwalter organisiert, für einen anderen eine Lehrerstelle in der Schule.

Neben den Kürzungen gibt es noch ein anderes Problem: Die beiden Gemeinden St. Augustinus und Heilige Familie müssen fusionieren. „Ich hätte mir gewünscht, mein Vorgänger hätte mehr für das Zusammenwachsen getan“, sagt Rieger, „da ist viel Zeit vergeudet worden“. Bisher wirkt nicht nur die Schönhauser Allee wie ein tiefer Graben zwischen den Pfarreien, sondern auch in den Gemeinden gehen die Interessen zwischen Alteingesessenen und Neuberlinern auseinander. Um Verbindendes zu schaffen, hat Rieger nun ein Philosophie-Café gegründet und einen Literaturkreis. Jetzt aber muss er los – zu einem Treffen mit Künstlern. Er krempelt die Ärmel hoch und eilt davon.

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