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Der Wedding - Magazin für Alltagskultur: Cover der Ausgabe Nr. 5 (September 2013)

© Der Wedding

Das Magazin "Der Wedding" blickt tief in den Alltag: Von Klinkenputzern und anderen Menschen

Zum fünften Mal ist das Magazin „Der Wedding“ erschienen. Das Thema der aktuellen Ausgabe lautet schlicht: „Geld“. Dem Leser bietet sich ein unverstellter Blick in den Alltag der Armen und der nicht so Armen, der Glücklichen und der Traurigen.

Am Anfang war das Lore Ipsum. Das Magazin war fertig gestaltet, es war als Diplomarbeit eingereicht. Und das sollte es jetzt wirklich schon gewesen sein? „Wir hatten den Prototyp“, sagt Julia Boek, „komplett mit Blindtext, aber er war einfach zu schade für die Schublade.“ Also entschloss sich die Journalistin zusammen mit Gestalter Axel Völcker, der diese allererste Ausgabe von „Der Wedding“ entworfen hatte, die Seiten auch zu betexten und zu veröffentlichen. So kam dann im Februar 2008 die erste Ausgabe an ausgewählte Kioske, „Komm’se rin“, stand auf dem Titel. Hereinspaziert, in den Wedding. Könnse rausgucken.

Eine Erfolgsgeschichte: mehrere Preise haben die Macher bereits erhalten, darunter im vergangenen Jahr den Designpreis der Bundesrepublik in Silber. Nichts aber läge ferner, als hierbei an Mainstream zu denken. Mit einer Auflage von 8.000 Stück und einer Ausgabe pro Jahr ist „Der Wedding“ nach wie vor etwas für Liebhaber. Und will es auch sein.

Geld: Das eigentliche Thema Nummer eins

Thema der nun erschienenen fünften Ausgabe: Geld. Was natürlich nicht nur im traditionell armen Wedding das eigentliche, alle bewegende Thema Nummer eins ist. Wobei, und darauf legt auch Julia Boek großen Wert, „Der Wedding“ keine Stadtteilpublikation ist und sich auch nicht auf diesen Teil von Berlin beschränken will: „Er ist im Laufe der Jahre immer mehr zum Magazin für Alltagskultur geworden.“ Dem einzigen deutschlandweit, wie sie stolz betont. Aber natürlich haben sie im Lauf der Jahre auch das Bild auf den Wedding geprägt, mit all seinen Macken und skurrilen Großartigkeiten.

Und auch diesmal haben sie die Storys und Fotostrecken wieder zum großen Teil vor ihrer Haustür gefunden haben, zum Beispiel im Cafe Morena in der Malplaquetstraße, wo die Titelgeschichte über die Eckkneipen-Sparclubs spielt. „Das Magazin orientiert sich in seiner Ästhetik am Wedding“ sagt Julia Boek, „eine uninszenierte Bildsprache“, das ist das erklärte Ziel. Was zum Beispiel bedeuten kann, dass die Protagonisten in ihren Wohnungen, an ihrem Arbeitsplatz fotografiert werden, in ihrem Alltag eben.

Und so können wir ihnen förmlich dabei zusehen, wie sie sich abstrampeln, die Traurigen und die Glücklichen, die armen und nicht ganz so armen Schlucker, als Klinkenputzer gefangen in Schneeballsystemen, in den U-Bahnen der Stadt unterwegs als Motz-Verkäufer oder unter freiem Himmel als Flaschen- oder Schrottsammler, und das nicht immer ohne Stolz, wie der fünffache Familienvater aus Bosnien in seinen ausgelatschten asics-Schuhen und dem „Fuck me I’m famous“-Shirt und dem vorgereckten Kinn.

Groß, klein, bekannt oder nicht, ganz egal: Neben Migrantenfamilien und einem grandios verwunschenen Künstler mit Merlin-Bart hat auch die im Sprengelkiez ansässige SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl für ein Foto neben der eigenen Wohnzimmertür posiert.

„Waschen Sie Ihr Schwarzgeld direkt vor Ort“

Völcker und Boek spielen mit Klischees und Formaten, den Foto-Essay von der Münchner Millionärsmesse, mit all seinen Smokings, Perlen und auch dem einen oder anderen offensichtlich operierten Gesichtszug, haben sie als einzigen auf Hochglanzseiten drucken lassen, und im Anschluss folgt eine ganzseitige Anzeige für die GLS Bank, „Deutschlands nachhaltigstes Unternehmen“. Die Werbepartner sind überhaupt handverlesen, Kultur und Kiez und Kreativität, hinter „Ulis Geldwäscherei“ (Slogan: „Waschen Sie Ihr Schwarzgeld direkt vor Ort“) verbirgt sich am Ende eine Buchhaltungskanzlei.

Abgebildet wird nicht zuletzt das ehrlich diffuse Weddinger Gefühl an sich, irgendwo zwischen Holzvertäfelungen, vernarbtem Rasen und dem harten Beton, zwischen täglicher Plackerei, dem ewigen Glauben an ein besseres Morgen und dem kleinem und immer wunderbarsten Glück - abgebildet werden hier also nichts anderes als wir selbst, die Menschen, in diesem wunderlichen Land, das wir zu kennen meinen.

Vieles gibt es zu entdecken auf diesen 106 Seiten, nicht zuletzt das Interview mit der Kapitalismuskritikerin Margrit Kennedy, die über die Systemfehler der internationalen Finanzordnung spricht, über den Unsinn des Zinswesens, und darüber, was Ökologie mit Ökonomie zu tun haben kann. Es soll dies das letzte Interview der 75-Jährigen gewesen sein, heißt es im Anlauf. Nun wolle sich Kennedy nur noch ihrem Garten widmen. Die neugierigen Menschen von „Der Wedding“ aber machen hoffentlich noch ein bisschen weiter.

„Der Wedding“: Magazin für Alltagskultur
Ausgabe 5: Geld
Erhältlich für 6,99 Euro online und an ausgewählten Stellen – eine Übersicht findet sich hier.
Dieser Artikel erscheint auf dem Wedding Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

Dem Autor auf Twitter folgen: @johehr

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