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Das "Museum ohne Museum": Gedenktafel-Guerilla mit der Bohrmaschine

Vor dreißig Jahren fanden sich zwei Dutzend Berliner Organisationen für eine Veranstaltungsreihe zusammen - weil der Senat den 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtübernahme lieber ignoriert hätte. Heute gehört das "Aktive Museum. Faschismus und Widerstand in Berlin e.V." selbst schon zur neuen Hauptstadt-Geschichte.

Die Geschichte der Erinnerungs-Initiativen in Berlin wäre ohne diesen kleinen, idealistischen, unermüdlichen Verein anders verlaufen. Vor 30 Jahren, als von Senatsseite  Aktivitäten zum 50. Jahrestag der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ unerwünscht waren, vereinten sich 30 historisch und politisch engagierte Institutionen und Organisationen zu einem Veranstaltungs-Bündnis. Auf dem ehemaligen Gestapo-Gelände hinter dem Martin-Gropius-Bau wurde eine erste Ausstellung realisiert. 1985 fand am 5. Mai, dem „Tag von Bitburg“, eine symbolische Grabung auf dem Prinz-Albrecht-Terrain statt, da behauptet worden war, relevante Relikte seien dort nicht mehr zu finden.

In der Folge hat sich das „Aktive Museum. Faschismus und Widerstand in Berlin e.V.“, wie man sich nannte, eindrucksvoll um dezentrale Spurensuche verdient gemacht: mit Wanderausstellungen und Publikationen über Exulanten in Shanghai und in der Türkei, über verfolgte Lokalpolitiker, enteignete Unternehmen und den Berliner Kunsthandel während der NS-Zeit. Als Gedenktafel-Guerilla mit Bohrmaschinen-Bewaffnung erregten die engagierten Bürger Aufsehen und Ärgernis, wenn sie in der Nachwendezeit demontierte Tafeln und auch Straßenschilder, die NS-Gegner würdigten, gegen den Willen von Hausbesitzern und Behörden wieder anbrachten. In Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ist zuletzt als Internet-Plattform eine Gesamt-Übersicht der Berliner Gedanktafeln entwickelt worden. Seit 2012 hat das Aktive Museum zudem die Aufgabe der Stolperstein-Koordinierung von den Museen in Kreuzberg und Mitte übernommen. In der Stiftung Topographie des Terrors, auf deren Gelände damals der politische Aufstand gegen die historische Amnesie seinen Anfang genommen hatte, sind Vereinsmitglieder beratend und begleitend eingebunden. Seit 1989 erhält der Verein vom Senat institutionelle Förderung für seine Bestandsstruktur, muss aber für einzelne Projekte jeweils Mittel aquirieren. Das „Museum ohne Museum“, wie sich die Erinnerungstruppe mit sanfter Koketerrie rühmt, besteht inzwischen vor allem aus 120 eingetragenen Einzel-Aktivisten.Von achtzehn offiziellen Gründungsorganisationen sind heute noch fünf zahlende institutionelle Mitglieder.

Mit dem Eintritt in sein viertes Jahrzehnt ist das „Aktive Museum“ selbst schon Berliner Geschichte geworden. Anläßlich des Jubiläums, vor ihrem Geburtstagsakt in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand an der Stauffenbergstraße,  wollen die Gedenk-Pioniere am Montag um 16 Uhr in der Senefelder Straße 33 eine vor Jahren abhanden gekommene Tafel für Otto Schieritz wieder montieren, der als Mitglied des illegalen SPD-Vorstand bis 1939 im KZ Papenburg eingesessen hatte. Am 2. Mai 1945, dem Tag der Kapitalution, wurde der 46-jährige – wegen des Hissens einer roten Fahne aus dem Fenster seiner Wohnung – von SS-Angehörigen in die Schultheiß-Brauerei verbracht und dort erschossen.

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