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Berlin: Das Nadelöhr zur Freiheit

Neue Ausstellung dokumentiert das Leben der DDR-Flüchtlinge im ehemaligen Notaufnahmelager Marienfelde

Noch wird an allen Ecken und Enden gesägt, gehämmert und gebohrt. Die Zeit drängt, denn am kommenden Donnerstag soll die neue Ausstellung der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde mit einer Festveranstaltung eröffnet werden. Dem düsteren Kapitel der deutsch-deutschen Flucht werden die Besucher dann ab Sonnabend in Schaukästen, audiovisuellen und interaktiven Stationen nachspüren können.

Marienfelde war die erste Anlaufstelle für Flüchtlinge und Übersiedler aus der ehemaligen DDR. 1,35 Millionen Menschen haben dieses „Nadelöhr zur Freiheit“ zwischen 1953 und 1990 passiert, unter ihnen auch Prominente wie der Schauspieler Manfred Krug und der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Nachdem die Flüchtlinge ihre Aufnahme mit dem Satz „Ich komme aus der Ostzone und möchte im Westen bleiben“ offiziell beantragt hatten, durchliefen sie während des Verfahrens zwölf Stationen, die in der Ausstellung dargestellt werden. Dabei wurden sie von alliierten und deutschen Beamten befragt und mit dem Nötigsten ausgestattet, bevor sie weiterreisen konnten. Eine Woche verbrachten sie dabei in der Regel im Marienfelder Auffanglager, das vor allem wegen seiner Nähe zum Flughafen Tempelhof an dieser Stelle errichtet wurde. Manche wohnten erheblich länger dort. Die Autorin Julia Franck lebte acht Monate in Marienfelde, wo auch ihr Roman „Lagerfeuer“ spielt.

Der chronologische und biographische Ansatz ist den Ausstellungsmachern wichtig. „Wir wollen vor allem an die Einzelschicksale erinnern, die durch ihre Flucht die wahre Dimension der deutschen Teilung sichtbar werden ließen“, erklärt Harald Fiss das Konzept. Fiss ist seit 1995 Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde und war auch der letzte Leiter des nach 1990 in dieser Form überflüssigen Auffanglagers.

Die Darstellung des Lagerlebens, auf 450 Quadratmetern und über zwei Stockwerke verteilt, reicht von der Gründung des Lagers nach dem Grenzsicherungsbeschluss der DDR bis zur heutigen Funktion von Marienfelde als Zentraler Aufnahmestelle des Landes Berlins für Aussiedler aus Osteuropa. Diese kontinuierliche Line wird verdeutlicht, wenn bei den aufgezeichneten Zeitzeugenberichten auch Spätaussiedler zu hören sind. Anhand von solchen Videoaufzeichnungen, Originaldokumenten und persönlichen Gegenständen vermittelt die Ausstellung einen anschaulichen Eindruck von der Situation in diesem „Niemandsland“.

„Namen waren tabu – wegen der Staatssicherheit“, beschreibt Projektleiter Helge Heidemeyer zum Beispiel den Sinn des Wartemarken-Automats an der Wand. Eine eiserne Leiste an der Decke zieht sich im Zickzack-Kurs durch die Präsentationsräume. Sie symbolisiert den Todesstreifen, die Mauer, die Berlin und damit ein ganzes Land vom 13. August 1961 an in zwei Teile aufspaltete. Oft war es nur ein kleiner Koffer, den die Menschen auf ihrer Flucht mitnehmen konnten. Am Ende des Rundgangs betreten die Besucher noch eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, in der einst 16 Personen auf engstem Raum lebten.

Vor vier Jahren wurde mit dem Konzept der neuen Ausstellung begonnen, nachdem der Bundestag Marienfelde 1998 als „Gedenkstätte von gesamtstaatlicher Bedeutung“ einstufte. Die alte Dauerausstellung ist seit drei Wochen geschlossen. „Allerdings ist die Finanzierung nur für das nächste halbe Jahr sichergestellt“, mahnt Heidemeyer. Daher ist der Verein dringend auf Spenden und andere Unterstützung angewiesen. Zeitzeugen werden gebeten, sich zu melden und von ihren Erfahrungen zu berichten. Darüber hinaus sucht der Verein auch weiterhin nach Objekten, die im Zusammenhang mit der Flucht stehen.

Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Marienfelder Allee 66-80, www.enm-berlin.de Spendenkonto: Berliner Volksbank, BLZ: 100 900 00, Kt.-Nr. 1002699016

Juliane Schäuble

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