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Sensationsfund. Schon vor 130 000 Jahren lebten Neandertaler in der Lausitz. Ausgegraben wurden sie jetzt im Tagebau Jänschwalde nordöstlich von Cottbus.

© dpa

Das Neandertal liegt im Tagebau: „Wir müssen unsere Geschichtsbücher ändern“

Im Braunkohlerevier in Brandenburg entdecken Forscher 130 000 Jahre alte Werkzeuge. Sie beweisen, dass der Ur-Brandenburger 80 000 Jahre älter ist als bisher angenommen.

Von Sandra Dassler

Die Einladung ist nicht ganz korrekt: „Im Vorfeld des Tagebaus Jänschwalde haben Archäologen (...) gemeinsam mit Forschern der Freien Universität Berlin sowie Mitarbeitern von Vattenfall die mit 130 000 Jahren ältesten Belege des Menschen auf dem Gebiet des Landes Brandenburg entdeckt“, steht da.

Genau genommen handelt es sich bei dem „Urbrandenburger“, die vor 130 000 Jahren in der Nähe des heutigen Cottbus lebte, natürlich nicht um einen Vertreter des modernen Menschen (Homo sapiens), sondern um seinen ausgestorbenen Verwandten (Homo neanderthalensis).

Trotzdem ist Landesarchäologe Franz Schopper begeistert. Ob Urmenschen oder Frühmenschen – die bei bisherigen Grabungen im Tagebau Jänschwalde gefundenen Feuersteinwaffen der Rentierjäger am Ende der letzten Eiszeit seien mit 13 000 Jahren schon unvorstellbar alt gewesen, sagt er: „Aber die in den vergangenen Wochen entdeckten ersten Spuren der Interaktion des Neandertalers mit der Lebensumwelt in der vorletzten Eiszeit sind zehnmal so alt.“

„So tolle Funde von den Neandertalern wurden bisher nur in Höhlen gemacht“

Sensationell und bedeutsam für ganz Europa, nennt Schopper die Funde. Kein Wunder, dass der Energiekonzern Vattenfall, der die Braunkohletagebaue in der Lausitz betreibt, am Donnerstag zum großen Ortstermin geladen hatte. Auch Brandenburgs Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Sabine Kunst (parteilos), war gekommen. „Wir müssen unsere Geschichtsbücher ändern“, sagte sie, „bislang sind wir davon ausgegangen, dass die ersten Neandertaler vor 50 000 Jahren in Brandenburg lebten, jetzt hat es sie schon 80 000 Jahre früher gegeben.“

„So tolle Funde von den Neandertalern wurden bisher nur in Höhlen gemacht“, schwärmt Landesarchäologe Schopper. Untersucht worden seien Schichten vom Ende der Saale-Eiszeit 20 Meter unter der heutigen Oberfläche. Da man sowohl Tierknochen als auch Werkzeuge aus Feuerstein entdeckte, handele es sich mit Sicherheit um einen Jagdplatz der Neandertaler, sagt Schopper. Und zeigt beim Vor-Ort-Termin im Tagebau stolz die gefundenen Werkzeuge: einen Schaber und einen so genannten Schildkern aus Feuerstein. Ein Schildkern ist das, was nach einer bestimmten Bearbeitungstechnik zur Herstellung von Werkzeugen übrig blieb.

Durch die besondere Qualität des Fundorts im Tagebau können die Wissenschaftler auch die Lebensumwelt des Lausitzer Neandertalers sehr genau rekonstruieren. So machte er wohl Jagd auf das – ausgestorbene – Steppenbison oder den – nicht ausgestorbenen – Elch, wahrscheinlich auch auf den Wolf und das Wildpferd, wie entsprechende Knochenfunde belegen. Der urzeitliche Jagdplatz befand sich nach Überzeugung der Wissenschaftler in einer flachen, durch seichte Gewässer unterbrochenen Niederung mit einer Waldtundrenvegetation aus Sanddorn, Weiden und Birken sowie verschiedenen Kräutern, Gräsern und Moosen. Dass der Fundplatz so gut und weiträumig erhalten blieb, liegt daran, dass mit der beginnenden Erwärmung am Ende der Saale-Eiszeit vor etwa 130 000 Jahren durch das Abtauen von Eisresten eine gewaltige Senke entstand. Darin bildete sich ein See, der auch noch während der auf die Saale-Eiszeit folgenden sogenannten Eem-Warmzeit existierte.

Die Neandertaler verwendeten Feuersteine als Werkzeuge.
Die Neandertaler verwendeten Feuersteine als Werkzeuge.

© dpa

Nur eines blieb den Forschern bislang versagt

In den bis zu neun Meter tiefen Seeablagerungen sind die Knochen von Fischen, beispielsweise Welsen, und Säugetieren sowie viele verschiedene Pflanzenreste erhalten. Als durch die sich anschließende Weichsel-Kaltzeit das Gebiet tiefgründig abgetragen wurde, blieben nur die tiefsten Beckenbereiche und die darunter liegende Fundschicht verschont – zur Freude der Archäologen.

Die erforschen übrigens schon seit mehr als hundert Jahren Funde aus der Eem-Warmzeit in der Niederlausitz. „Schon 1885 wurden in den Tongruben von Klinge, einem kleinen Ort am Rande des heutigen Tagebaus Jänschwalde, erste Wirbeltierknochen gefunden“, erinnerte der Vorstandsvorsitzende der Vattenfall-Braunkohlensparte, Hartmuth Zeiß, während des gestrigen Termins. Damals habe der Cottbuser Stadtrat Hugo Ruff die Knochen an den Berliner Professor Alfred Nehring geschickt. Auch das erste Skelett eines Mammuts in Deutschland wurde 1903 in Klinge gefunden.

„Diese Tradition der frühen Archäologie im Jänschwalder Raum führt Vattenfall nun seit einigen Jahren fort“, sagte Zeiß. So habe der Konzern in den vergangenen Jahren knapp acht Millionen Euro für die Landesarchäologen bereitgestellt. Außerdem dürften die Wissenschaftler derzeit erstmals an einer aktiven Tagebauböschung arbeiten, was sowohl an die Gestaltung der Betriebsabläufe als auch an die Gewährleistung der Sicherheit hohe Anforderungen stelle.

Gelohnt hat sich das bisher aber allemal – darin waren sich gestern alle einig. Nur eines blieb den Forschern bislang versagt: Knochen von den Neandertalern selbst wurden nicht entdeckt. Aber, sagt Landesarchäologe Schopper, was nicht ist, kann ja noch werden. Bis nächstes Jahr gehen die Grabungen im Tagebau Jänschwalde jedenfalls erst mal weiter.

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