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Das Palast-Theater: Wie sich Falk Walter am Admiralspalast verhob

Er war das Wunderkind der Berliner Kulturszene. Bis er sich mit dem maroden Admiralspalast übernahm. Falk Walter wollte das Haus nach historischem Vorbild wiederbeleben - jetzt ist es pleite.

Das Licht ist fahl geworden im Foyer der großen Bühne im Admiralspalast. Falk Walter hat geredet, beteuert, doziert, gerechnet, drei Stunden lang. Es ist alles gesagt, aber er spürt, dass es vielleicht nicht reichen könnte. Im Gehen wendet er sich noch einmal um, Schultern und Hände zur Unschuldsgeste erhoben, die Stimme gepresst. Er sagt: „Was soll ich tun? Ich habe ein reines Gewissen.“

Es klingt wie Martin Luther vor dem Wormser Reichstag. Er „kann nicht anders“.

Von irgendwoher dringt Musik durch den Palast. Soundcheck für das Abendprogramm. Muss ja weitergehen, das Amüsement. Rainald Grebe war ausverkauft, jetzt kommt Kurt Krömer. Auch ausverkauft. Danach „Cavewoman“, wird bestimmt gut laufen. Comedy ist eine sichere Bank, und trotzdem fehlt überall im Haus das Geld.

Der Admiralspalast, erstmals 1911 eröffnet, das legendäre, leicht verrufene „Vergnügungsetablissement“, wie man zu Kaisers Zeiten sagte, ist pleite. Das ist für den Palast nichts Neues. Für den derzeitigen Hausherrn, Jahrgang 1964, dagegen schon. Das Insolvenzverfahren ist eröffnet. Wie viel Geld fehlt, kann auch der Insolvenzverwalter nur vermuten. Ein paar Millionen werden es schon sein. Die Liste der Gläubiger soll einen Packen Din-A4-Seiten füllen.

Falk Walter, das Wunderkind der Berliner Kulturszene, der gefeierte Impresario, der subventionsresistente Theatermanager, nominiert als Kulturmanager des Jahres 2009, ist nach jahrelangem Höhenflug abgestürzt. Ob es an ihm liegt oder am Moloch Admiralspalast, den Walter sich aufgehalst hatte, ist noch die Frage. Er habe den Palast in die Tiefe gerissen und sein Stammhaus, die Arena in Treptow, gleich mit, sagen die, die mal an seiner Seite standen. Walter sagt, er sei Opfer einer infamen Intrige geworden. Immobilienspekulanten wollten den Palast an sich reißen, um ihn marktgerecht verwerten zu können. Nebenan, rund um den Bahnhof Friedrichstraße, explodieren die Grundstückspreise.

Ob er das belegen könne? Walter murmelt ein paar Floskeln. Er kann es nicht.

Um die mutmaßliche Intrige zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückgehen. 2001 übernimmt die Stage Holding, ein Musicalveranstalter, den Admiralspalast und tritt ein Jahr später vom Kaufvertrag zurück. Die Sanierung des vernachlässigten Hauses soll weit mehr als 40 Millionen Euro kosten. Damit will sich die Holding nicht belasten. Der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin auch nicht. Er fordert den Abriss. Dann tritt Falk Walter als weißer Ritter vor. Zusammen mit drei Freunden aus der Arena will er den Palast mit 924 Räumen nach historischen Vorlagen reanimieren. Für sensationell günstige 15 Millionen Euro, natürlich wurde es am Ende viel teurer.

Walter schwimmt da gerade auf einer Welle des Erfolgs, seine „Caveman“-Produktion, für die er zunächst selbst auf der Bühne stand, gastiert in der gesamten Republik und spült große Summen in die Kasse der Arena. So einer kann den Palast stemmen, denken sie im Senat und sind froh, die marode Hütte endlich los zu sein.

Das Arena-Quartett legt voller Enthusiasmus los. Es werden Gesellschaften gegründet, Finanzierungspläne entworfen und Bürgschaften eingetragen. Viel Papierkram, aber notwendig, um an Kredite und Geldgeber zu kommen. Falk Walter und seine Arena-Freunde sind in der einen Gesellschaft Eigentümer des Palastes und zugleich in einer anderen Generalmieter und Betreiber. Der Mietvertrag ist schnell verhandelt. Man kennt sich ja und braucht nicht alles im Detail zu klären. Doch schon während der Sanierung kommt es zu massiven Auseinandersetzungen. „Da wurde bis aufs Blut gestritten“, sagt einer der Arena-Freunde. „Walter wollte den Hof mit LED-Kacheln pflastern, das hätte mehrere Millionen Euro gekostet.“ Ein leuchtender Fußboden. Tolle Idee, aber unbezahlbar. Die große Auftakt-Premiere der „Dreigroschenoper“ mit Regisseur Klaus Maria Brandauer im August 2006 hängt am seidenen Faden. Der Theatersaal ist noch nicht fertig. Brandauer schäumt, verlässt wütend das Haus, um dann doch am nächsten Tag weiterzuproben. Die vorläufige Betriebsgenehmigung der Bauaufsicht kommt einen Tag vor der Premiere.

Nach der „Dreigroschenoper“ zerbricht das Arena-Quartett. Joachim Barth und Marcus Flügge, für Walters Aufstieg mit der Arena mindestens mitverantwortlich, steigen aus der Betreibergesellschaft aus. Aus Freunden sind Gegner geworden. Walter weigerte sich, Teile des Palastes an Dritte zu verpachten: das historische Bad im Obergeschoss, den Club im Keller und etliche leer stehende Büroetagen. Damit sei das finanzielle Desaster absehbar gewesen, sagt Barth. „Ich habe ihm vorausgesagt, dass er so in den Abgrund steuert.“ Walter reagiert nicht. Er will es so machen wie in der Arena. Alles aus einer Hand, damit es keinen Streit im Haus gibt, wegen Lärms oder Werbekonzepten.

Nun ist Falk Walter Alleinherrscher im Palast – und schliddert langsam in das prophezeite Desaster hinein. Die Eigentümer verlangen die vertraglich vereinbarte Miete, rund 1,7 Millionen im Jahr. Viel zu hoch für das halb fertige Haus. Walter schmeißt aber nicht hin. Er stemmt sich weiter gegen das heraufziehende Unheil. Er hat ja noch die „Caveman“-Millionen, die zuverlässig sprudeln. Den Keller will er zu einem Club ausbauen, das Bad im Dachgeschoss mit Original-Mosaiken rekonstruieren. Seine Vision ist ein Vergnügungstempel, der die sagenhafte Aura des kaiserlichen Admiralspalastes in die Gegenwart holt.

Doch plötzlich verschwinden neu gelieferte Brandschutztüren, von der Baustelle auf dem Nachbargrundstück dringt Zement ein, und die erste große Musical-Eigenproduktion, die aufwendig beworbene Hitler-Farce „The Producers“, floppt. Falk Walter gibt nicht auf, das hat er noch nie getan, das tut er auch jetzt nicht, obwohl er mit dem Rücken zur Wand steht. „Es macht mir wahnsinnig Spaß, mich mit Dingen zu beschäftigen, die zunächst unmöglich erscheinen“, sagte er 2003, als er den Palast übernehmen wollte und alle ungläubig den Kopf schüttelten. So was sagt er heute nicht mehr. Er ist sich der Wirkung seiner Sätze nicht mehr sicher.

Mitte 2009 bahnt sich das vorerst letzte Debakel an. Die Rechte an „Caveman“ gehen verloren, der Cashflow der Cashcow versiegt. Ende des Jahres kündigen die Eigentümer des Palastes ihrem Miteigentümer Falk Walter den Generalmietvertrag. Walter wehrt sich, ficht die Entscheidung an, doch die Zeit läuft gegen ihn. Im August 2010 reicht er einen Insolvenzantrag ein und lädt die Presse in den Palast, um sich öffentlich zu rechtfertigen. Er redet pausenlos, eine Dreiviertelstunde lang. Er wolle, dass ihm endlich zugehört wird. Er sage die Wahrheit, die „100-prozentige Wahrheit“. Er sagt es sanft, fast demütig. Man möchte ihm glauben.

Einer, der ihm nicht mehr glaubt, ist Hans Christian Steinmüller, ein Immobilienberater vom Kurfürstendamm, einer, der die Kunst verehrt, aber immer auch nach ihrem Preis fragt. Auch Steinmüller gehört ein Teil des Palastes. Er sagt, dass er sich beteiligt hat, weil er vom Haus und dem Arena-Quartett überzeugt gewesen sei, auch von Falk Walter als PR-Naturtalent. „Konzeptionell war das genial.“ Nur hätten die vier Männer nicht gut mit dem Aufpasser von der Bank harmoniert, der den Bau überwachen sollte. Dann musste noch der Architekt ausgewechselt werden. Und schließlich der eskalierende Konflikt zwischen Walter und Barth. „Die sind wie Yin und Yang.“ Walter extrovertiert, Barth introvertiert. Mit Walter zu verhandeln sei eine Achterbahnfahrt ins Irreale. „Falk hat ein anderes Wahrnehmungsbild.“

Steinmüller sieht für Walter keine Zukunft mehr im Palast. „Der Boden ist verbrannt.“ Die Programmplanung laufe jetzt ohne ihn weiter. „Wir denken auch an Operette, Kollo und so.“

Der Gedanke, andere könnten den Palast erfolgreicher betreiben als er, empfindet Falk Walter als himmelschreiendes Unrecht. Niemand sei dazu in der Lage. „Es ist Unsinn, es anders zu machen.“ Er weiß, dass solche Sätze überheblich klingen. Er gilt in der Szene als Perfektionist, der schlecht delegieren kann, sich gerne in Details verbeißt und darüber den Blick für die Proportionen verliert. Die „Caveman“-Darsteller – 18 sollen es insgesamt gewesen sein – wurden vom Ur-Caveman Falk Walter persönlich ausgebildet und trainiert. Selbst um die Wasserhähne in den Palasttoiletten würde er sich kümmern, sagt er. Wenn man ihn denn noch ließe. „Die laufen bei jedem Draufdrücken 17 Sekunden“, genau acht Sekunden zu lange. Herausgeworfenes Geld.

Falk Walter, der Pfennigfuchser und Kontrollfreak. Sich mit Kalkulationen, Gutachten und Baubeschreibungen zu beschäftigen mache ihm Spaß, sagt er. Wohl auch, um den Eindruck zu zerstreuen, er könne nicht mit Geld umgehen. Was aus dem Schauspieler Falk Walter geworden ist? Er will nicht von früher reden, kramt lieber in seinen Papieren. Doch der Schauspieler ist immer präsent. Die Füße machen Wiegeschritte, die Hände durchschneiden die Luft, die Augen ertasten den nächsten Gedanken, und der Zeigefinger martert an der Thekenkante ein Streichholz, erhöht ganz langsam den Druck. Plötzlich sind alle Sinne auf diesen Finger fixiert, Walter unterbricht seinen Satz, der Körper verfällt in totale Erstarrung, wartet auf dieses winzige Ereignis. Knick.

Vom Schauspiel kommt er her. Hat studiert, an der Universität der Künste, doch an den städtischen Bühnen der Republik wurde Walter schnell klar, dass tägliche Spielroutine mit beruflicher Leidenschaft nicht viel zu tun hat. In den 90er Jahren entdeckte er zufällig ein stillgelegtes Busdepot in Treptow und machte sich mit Freunden daran, die Halle in einen Theater- und Konzertraum zu verwandeln. In guten Zeiten machte die Arena einen Umsatz von rund zwölf Millionen Euro im Jahr.

Der Mythos des unbezwingbaren Sturkopfs Falk Walter, für den der Westen auch schon mal am anderen Ende des Ostens liegt, reicht aber schon länger zurück. Mit 20 verschwindet der Abiturient mit Schweißerlehre zusammen mit einem befreundeten Fotografen aus seiner Heimatstadt Cottbus. Ein falsches Visum für die Mongolei in der Tasche, reist er durch die Wüste Gobi bis nach China, um endlich in Peking an die Pforte der westdeutschen Botschaft zu pochen. So viel Irrwitz, Spaß und Abenteuerlust hatten nur wenige auf ihrer Flucht aus der DDR.

Für psychologische Studien seiner selbst interessiert sich Walter nicht. Man mag ihm Besessenheit, Eitelkeit, Selbstüberschätzung vorhalten, er sei „objektiv im Recht“. Die „Aktenlage“ spreche für ihn, auch wenn viel Geld und Vertrauen verbrannt worden sind. „Für mich hört der Palast noch nicht auf.“

Der Insolvenzverwalter möchte, dass Walter im Admiralspalast keine Gäste mehr empfängt. Walter empfängt trotzdem, führt aber nicht mehr im Palast herum. Es ist besser, nicht auf bestimmte Leute zu treffen. Misserfolge, die es auch gab, hat er bisher still und heimlich beerdigt. Das geht nun nicht mehr.

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