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Berlin: Das Quartier ist saniert, es fehlen nur noch die Menschen

Technikhochschule hofft weiter auf einen raschen Umzug in das verwaiste Industrieviertel Schöneweide

„Ich häng an Schöneweide“, steht auf den blauen Schlüsselbändern. Man könnte sie sich umhängen, wenn man wollte. Das Quartiersmanagement hat davon gerade eine große Kiste voll anfertigen lassen. Ein Band trägt Quartiersmanagerin Irmgard Deiß um den eigenen Hals, die anderen bringen sie und ihre Kollegen bei passender Gelegenheit unters Volk. Zum Beispiel beim interkulturellen Stadtteilfest am vergangenen Sonnabend. Die Party war Teil der „Wohnumfeldverbesserung“ – ebenso wie Bäume und Bänke, die das Quartiersmanagement in den Straßen des einstigen Industrieviertels im Berliner Südosten verteilen lässt. Etwa 25 000 Arbeitsplätze gingen in den Großbetrieben nach der Wende verloren. Zwischen Wilhelminenhofstraße und Spreeufer stehen die riesigen Industriebauten zu 80 Prozent leer, weil trotz (oder wegen) ihrer Edel-Sanierung kaum Firmen einziehen. Auf der anderen Straßenseite gibt es eine Menge freie Wohnungen, denn viele Menschen hängen nicht an Schöneweide. „Wir werden jetzt gezielt versuchen, Studenten anzusprechen und ihnen unser Potenzial an Wohnraum zu zeigen“, sagt Irmgard Deiß.

Das Band zum Wohnungsschlüssel gibt es also, und im März dieses Jahres hat die Quartiersmanagerin auch eine lang ersehnte Argumentationshilfe bekommen: Der Senat beschloss den Umzug eines Großteils der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) nach Oberschöneweide. So war es seit Jahren geplant, so stand es im Koalitionsvertrag, so hat es die FHTW-Leitung gewünscht. Die zurzeit über fünf mehr oder minder baufällige Standorte verstreute Fachhochschule sollte in einige der für rund 250 Millionen Euro aufgemotzten Industriebrachen ziehen, deren Leerstand das Land pro Jahr 2,5 Millionen Euro kostet. Diese Lösung lag nahe: Die Uni platzt aus allen Nähten, und in Schöneweide gibt es zu viel Platz und zu wenig Menschen.

Anfang Juli hat der Senat wieder zusammen gesessen, über den Doppelhaushalt 2004/05 beraten – und das Geld für den Umzug gestrichen. Insgesamt geht es um 96,4 Millionen Euro, von denen das Land bis zum Jahr 2010 etwa 47 Millionen aufbringen muss. Im aktuellen Doppelhaushalt würden die ersten fünf Millionen fällig werden. Nicht gestrichen wurde dagegen das Geld für den „Kaisersteg“ über die Spree, von dem vor allem die Studenten profitieren sollten. Die Brücke kommt, aber die Schlüsselbänder können vorerst in der Kiste bleiben.

Bis zu 6000 der 8600 FHTW-Studenten sollten nach Oberschöneweide kommen, sagt Professorin Katrin Hinz, Vizepräsidentin der Fachhochschule. Unter ihrer Regie hat die Uni noch einmal gerechnet, ob der Umzug auch billiger zu haben wäre. Ergebnis: Es könnte zumindest schneller gehen, so dass alte Standorte – etwa am Ostkreuz, in Marzahn und in Blankenburg – spätestens im Jahr 2008 aufgegeben werden könnten und weniger doppelte Kosten anfielen. Rechtzeitig zu den Haushaltsberatungen in der letzten Augustwoche will die FHTW dem Senat und den Fraktionen im Abgeordnetenhaus das Papier zukommen lassen. Letztlich geht es darum, im Parlament eine Mehrheit dafür zu gewinnen, dass das Geld für den FHTW-Umzug doch wieder in den Haushaltsplan aufgenommen wird. Die Grünen haben schon versprochen zu kämpfen: „Es wäre fatal, lieber ins Quartiersmanagement als in die Wissenschaftsentwicklung zu investieren“, heißt es in der Fraktion. Die Wissenschaftsverwaltung will sich zurzeit nicht äußern.

Leo Penta und Gunther Jancke lächeln mitleidig, als sie das blaue Schlüsselband sehen. „Ja, das Quartiersmanagement ist schön, aber es ist ein Wundpflaster“, sagt Penta, der als Professor für „Community Organizing“ aus den USA nach Berlin kam. Hier hat er „Organizing Schöneweide“ gegründet – eine Plattform von Bürgern und Unternehmern, die den Stadtteil vor dem sozialen Kollaps bewahren wollen. „Jetzt oder nie“ müsse der FHTW-Umzug beschlossen werden, sagt Jancke. Nicht nur, weil der Bund wegen diverser Neuregelungen im Moment deutlich mehr Geld zuzahlen würde als in ein paar Jahren. Sondern auch, weil in der Wilhelminenhofstraße bald nur noch Videothek, Sonnenstudio und Getränkemarkt übrig sein werden. Die verbliebenen Einwohner von Schöneweide können keine Einkaufsstraße am Leben erhalten; kein Kino, kein Restaurant. Bänke auf dem Gehweg ersetzen keine Kaufkraft. Und Schlüsselbänder keine Mieter.

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