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Berlin: Das Schulbuch geht an die Börse

2003 schaffte der Senat die Lernmittelfreiheit ab. Doch Not machte Lehrer, Schüler und Eltern erfinderisch

Vor drei Jahren fanden die Informatikschüler des Tegeler Humboldt-Gymnasiums ein tolles Betätigungsfeld. Da sie gerade das Thema „Datenbanken“ behandelten, kam jemand auf die Idee , dass sie das Gelernte gleich in den Dienst einer guten Sache stellen könnten: Sie programmierten eine Schulbuchbörse auf ihrer Homepage. „Die Schüler waren ganz begeistert“, sagt Informatiklehrer Bernd Kokavecz. Egal ob Diercke-Weltatlas oder Chinesisch-Lektüre – alles sollte man finden können unter www.humboldtschule-berlin.de. So stolz waren die Informatiker auf das Projekt, dass sie sich sogar für den Internetauftritt fotografieren ließen: 20 Jungs, drei Mädchen und zwei Lehrer gucken fröhlich in die Runde, wenn man sich durch die Homepage klickt.

Schulbuchbörsen entwickelten sich seit 2003, weil damals in Berlin die Lernmittelfreiheit abgeschafft wurde, um 15 Millionen Euro zu sparen. Bedürftige sollten die Bücher aber weiterhin kostenlos von der Schulbücherei geliehen bekommen. Bald stellte sich heraus, dass über 20 Prozent in diese Kategorie fallen, weil ihre Eltern Hartz IV, Wohngeld oder Sozialhilfe bekommen. In manchen Bezirken haben sogar bis zu 40 Prozent der Kinder einen Anspruch auf die Schulbücher vom Staat. Deshalb konnte dieser Haushaltsposten nur um 11 statt 15 Millionen gekürzt werden.

Zunächst gab es – auch beim Datenschutzbeauftragten – Befürchtungen, dass man die „armen“ Kinder an ihren gebrauchten Büchern erkennen könnte. Das ist aufgrund einer dezenten Verfahrensweise anscheinend nicht passiert.

Dennoch sind viele Schulen zu einem anderen Modell übergegangen. Sie richten – mit Zustimmung der Eltern – Lernmittel-Fonds ein: Wer nicht vom Schulbuchkauf freigestellt ist, zahlt je nach Absprache einen Betrag zwischen 40 und 60 Euro auf ein Schulkonto. Mit diesem Geld und den Landeszuschüssen für die Bedürftigen kauft dann die Schule Bücher und gibt sie leihweise an die Schüler ab. Diese Lösung hat mehrere Vorteile: Die Eltern zahlen viel weniger als beim eigenen Buchkauf, der bis zu 100 Euro kostet; die Schulen sind finanziell flexibler, weil sie mit dem Fonds eigene Prioritäten setzen können, und durch Sammelbestellungen können Preisnachlässe erreicht werden.

Trotz dieser vielen Vorteile haben sich einige Schulen noch nicht auf das FondsModell verständigt, weil die Schulleiter sich damit nicht beschäftigen oder weil die Gremien nicht zustimmen wollten. „Zweimal habe ich das in der Schulkonferenz abstimmen lassen – jedes Mal ohne Erfolg“, berichtet die Leiterin der Hellersdorfer Mozart-Grundschule.

Dennoch dürfte die Zahl der Lernmittel-Fonds weiter steigen, denn inzwischen zeigt sich, dass es vielen Schulbuchbörsen an Akzeptanz mangelt. Die meisten Schüler stellen ihre Bücher nicht ins Internet, weil sie sie behalten wollen. Oder der Weiterverkauf scheitert daran, dass wegen neuer Rahmenpläne massenweise neue Schulbücher eingeführt werden. Deshalb sind viele Schule dabei, auf das Fonds-Modell umzurüsten – auch das Humboldt-Gymnasium: „Wir haben in einem Jahr nur 30 bis 40 Bücher verkauft“, sagt Lehrer Kokavecz bedauernd. Eine interessante Erfahrung war es dennoch.sve

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