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Berlin: Das Sozialamt kapituliert

In Neukölln befürchtet das Publikum, dass die Bearbeitung der Fälle wegen der zeitweisen Schließung noch länger dauert

Neukölln. Was ist der Unterschied zwischen einem geöffneten Sozialamt und einem geschlossenen? Na? Kommen Sie nie drauf. Es sei denn, Sie sind Sozialamtsprofi.

Die Antwort könnte vom Delphischen Orakel sein: Man wartet immer, bis man drankommt.

Beate, allein erziehende Mutter, wartet jetzt zwei Stunden auf dem Flur vor dem Zimmer A 115, in dem eine gewisse Frau H. für Fälle mit den Geburtsdaten 12., 13. und 14. zuständig ist. An der Tür hängen verschiedene Zettel, die unmissverständlich klarmachen, dass ohne Termin jedes Warten „zwecklos“ ist.

Seit kurzem hängt noch was an der Tür: Das Sozialamt Neukölln ist vom 14. bis zum 22. November für den „Publikumsverkehr“ geschlossen. Nicht wegen Betriebsausflug oder Renovierungsarbeiten oder Weihnachtsferien. Sondern „wegen Bewältigung aufgelaufener Mehrarbeit“. Das ist neu in Deutschland. Neuköllns Sozialstadtrat Michael Büge (CDU) will damit den „Teufelskreis liegen gebliebener Akten durchbrechen“. Das Sozialamt kapituliert vor dem wachsenden Ansturm der Bedürftigen. Für die Sozialhilfeempfänger aus dem Berliner Süden wird lediglich ein Notdienst da sein.

Und was sagen die Bedürftigen? Nee, hat er noch gar nicht gelesen, meint Ronny, der gebückt vor einem der grünen Türen im Erdgeschoss sitzt. Wozu auch? „Muss man halt mit leben.“ Heute wartet Ronny, der junge arbeitslose Maler und Lackierer, nur auf seinen „Überleitungsschein" von der Abt. Soz 302 im Rathaus zur Abteilung Soz 46/47 am Weigandufer. Über diesen Schein ist Ronny sehr froh, denn mit der Abt. 46/47 verbindet er freundliche Sachbearbeiter und Termin nahes Drankommen. Hier im Rathaus herrsche dagegen ein „heilloses Durcheinander“. Auf seinen Schein wartet er schon gut eine Stunde.

Rosemarie – „Hausfrau, fast 50“ – muss das leider bestätigen. Ihre Weihnachtsbeihilfe bekam sie schon mal zu Ostern – „dafür hab ich dann Ostereier gekauft“, ihr Sommerbekleidungsgeld erst im Herbst. Gelegentlich verschwänden Akten. Beim Wiederfinden durfte sie schon mal mithelfen. Im Zimmer 07 hat sie vor einigen Wochen den Antrag auf Winterbekleidungsgeld abgegeben und seitdem nichts mehr gehört. Nun sitzt sie vor Zimmer 26, das jetzt für sie zuständig sei, um nachzuhaken, ob es vor dem ersten Schnee noch was wird. Eine Stunde hat sie schon gewartet – leider vor einem anderen, falschen Zimmer. Jetzt wird sie aufgerufen, verschwindet hinter der grünen Tür und ist nach 30 Sekunden wieder da. „Herr E. hat mir bestätigt, dass es diesmal nicht sechs Monate dauern wird.“ Ihre Akte mit dem Antrag hatte er allerdings noch gar nicht gesehen. Rosemarie ahnt, was es bedeutet, wenn das Amt für eine Woche schließt: „Da wird einiges auflaufen. Und danach werden die Wartezeiten noch länger.“ Beate findet das alles „nicht mehr normal“. Sie hat sich für das Gespräch mit Frau H. in Zimmer A 115 extra ihre Sozialarbeiterin mitgenommen, weil Frau H. als recht kratzbürstig gilt. Doch die Sachbearbeiterin zeigt sich nicht. Termine werden nur bis 11 Uhr vergeben. Jetzt ist es halb eins. Vielleicht ist Frau H. schon lange weg und das Amt geschlossen.

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