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Berlin: Das Springen der Hammel

Warum sich Abgeordnete an Odysseus orientieren

Die Tücken der Technik und die knappe rot-rote Mehrheit verhelfen jetzt einer lange vergessenen demokratischen Abstimmungstechnik zur Renaissance. Der sogenannte Hammelsprung wird in der neuen Legislaturperiode häufig angewandt werden, kündigt die Opposition im Abgeordnetenhaus an. Auch bei der Sitzung am heutigen Donnerstag könnte das Verfahren zur Anwendung kommen.

Der Hintergrund: Die 13 Jahre alte Abstimmungsmaschine des Parlaments funktioniert nicht mehr zuverlässig, wie Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) erklärt. Bei der Abstimmung mit Lochkarten seien wiederholt Stimmen nicht korrekt gezählt worden. Also entschied Momper, die Maschine nicht mehr zu nutzen. Deswegen werden bei namentlichen Abstimmungen pro Abgeordneten drei Karten ausgegeben, von denen jeder eine persönlich abgibt: Ja, Nein, oder Enthaltung. Bei geheimen Wahlen, wie der des Regierenden Bürgermeisters, gibt jedes Parlamentsmitglied einen Stimmzettel ab. Und bei offenen Abstimmungen setzt man auf Handzeichen – was die Vorstufe zum Hammelsprung ist. Ist nämlich die Mehrheit vom Präsidium des Parlaments aus nicht klar zu sehen, müssen die Abgeordneten den Saal verlassen und werden bei der Rückkehr durch eine von drei Türen gezählt, die nach Ja, Nein und Enthaltung aufgeteilt sind.

Der Name „Hammelsprung“ geht nach Angaben des Bundestages, der die Methode ebenfalls kennt, auf ein Intarsienbild über einer Abstimmungstür im Reichstag zurück. Das Bild zeigte den blinden Polyphem aus der griechischen Mythologie, der seine Hammel zählt, unter deren Bäuchen sich Odysseus und seine Gefährten angeklammert haben, um der Gefangenschaft zu entkommen.

Da Rot-Rot nur noch drei Abgeordnete mehr hat als die Opposition, haben CDU, FDP und Grüne angekündigt, jetzt öfter den Hammelsprung zu fordern – in der Hoffnung, dass die knappe Mehrheit mal nicht für eine Abstimmung ausreicht.lvt

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