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Berlin: Das süße Leben in Wedding

In Berlin gibt es das weltweit einzige Zuckermuseum, weil die erste Fabrik für Rübenzucker einst an der Spree gebaut wurde. Jetzt wird Berlins unbekanntestes Museum 100 Jahre alt

Was wäre das Leben ohne Zucker? Eine recht fade Angelegenheit, findet Bernhard Nickl. Er hat sein Leben ganz den süßen Kristallen gewidmet. „Ohne Zucker wäre kein Leben möglich“, sagt der Biologe, der das Berliner Zuckermuseum in Wedding leitet – und meint damit nicht nur seinen Beruf. Denn Zucker verbirgt sich überall. Chemisch gesehen ist er die Grundlage des menschlichen Ernährungszyklus. Er ist aber auch kulturgeschichtliches Luxusgut und billiges Massenprodukt zugleich, findet sich in Süßigkeiten, Saucen und Nudeln, bildet die Grundlage von Alkohol und Marmelade – und leider auch Karies. Weil das so ist, erzählt das Deutsche Zuckermuseum in der Amrumer Straße seit 1904, wie der Zucker in unsere Welt gekommen ist und was die Süße heute bedeutet. Es ist das einzige Zuckermuseum der Welt. Am 8. Mai feiert es sein 100-jähriges Jubiläum.

Zu sehen gibt es einiges. So steht im Museum etwa das Brandenburger Tor – aus Zucker. Und der Zuckerbläser schafft, einem Glasbläser gleich, jeden Sonntag bizarre Figuren vor den Augen der Kinder: so unter anderem einen Vogel im Sturzflug. Aber weil das Geld im Museum knapp ist, muss der Künstler manchmal auch an der Kasse sitzen und einen Euro Eintritt verlangen.

Im Museum kann man sich auch auf eine süßliche Zeitreise begeben: In den vergangenen Jahrhunderten sah die Welt des Zuckers völlig anders aus als heute. In kolonialen Zuckerrohrplantagen Mittel- und Südamerikas herrschte Sklavenwirtschaft. Als die ersten Ladungen des kostbaren Rohrzuckers in Europa eintrafen, glich das einer geschmacklichen Revolution. In dieser Zeit leisteten sich Europäer Zucker als Luxusgut und bewahrten harte, bräunliche Brocken der Leckerei in edlen Silberschatullen auf.

Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entdeckte der Berliner Chemiker Andreas Marggraf die Runkelrübe als Zuckerlieferant. Kurz darauf entwickelte der Wissenschaftler Franz Carl Achard die erste Produktionsstätte für Rübenzucker in Berlin. Das Monopol des Kolonialzuckers war gebrochen – und der süße Massenkonsum begann. An den Begründer erinnern heute eine Grundschule und eine Straße in Kaulsdorf, die Achards Namen tragen.

Mitten in der detailreichen Schau des Zuckeranbaus und seiner Geschichte steht im Abschnitt „Nebenprodukte“ ein umstrittenes Exponat: eine Dose mit Zyklon B. Denn das atemlähmende Giftgas, von dem mehr als 12000 Kilo in Auschwitz als Mordinstrument eingesetzt wurden, entsteht aus Rückständen der Destillation von Rübenmelasse. Ein unliebsames Exponat ist die rostige Dose für die Zuckerindustrie, die seit Jahren versucht, dieses Abfallprodukt der Zuckerherstellung aus der Ausstellung zu entfernen. Bisher ohne Erfolg. „Wir beugen uns nicht den Industrieverbänden“, sagt Museumsleiter Nickl. „Der Missbrauch muss da rein. Da bleiben wir unbequem.“

Das Technische Museum und das Institut für Zuckerindustrie feiern den hundersten Geburtstag ihres Zuckermuseums mit einem Festakt am 8. Mai und mit Sonderausstellungen zur Langen Nacht der Museen am 28. August. Außerdem hat der Kulturverein Wedding ein Rahmenprogramm organisiert: Es wird Sonderausstellungen, Sonderbriefmarken und Zuckergeld geben, mit dem man in Wedding dann tatsächlich einkaufen kann. Aber auch ein Blick von außen lohnt sich: Denn das Haus besitzt Turmspitzen, die selbst aussehen wie kleine Zuckerhüte.

Amrumer Str. 32, Telefon 314 275 74, geöffnet Montag bis Donnerstag 9.00 bis 16.30 Uhr, Sonntag 11.00 bis 18.00 Uhr

Carola Padtberg

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