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Berlin: Das Whitney-Wunder

Die Diva ist zurück. Im Wintergarten zaubert ein Musiktalent die perfekte Illusion.

Wintergarten, das neue Programm „All Night long“. Die Soul-Varieté-Show mit ihrer ausschweifend wilden Musik und einer spektakulären Akrobatiknummer nach der anderen geht in die Zielgerade, das Finale kündigt sich an. Eine große schlanke Frau steht plötzlich vor der Band in der Mitte der Bühne, schon ihr Rücken kann entzücken, sie macht ein paar Tanzschritte, singt mit 180 Stundenkilometern, ach, Phon, ins Mikrofon und dreht sich plötzlich um: Hey, what’s that? Whitney Houston, die Soul- und Popikone, ist wiederauferstanden.

Heldinnen einer Stilrichtung können nicht sterben, mit über 170 Millionen verkauften Tonträgern sind sie lange nach ihrem Tod präsent. Aber so leibhaftig wie hier? Diese Wuschelfrisur, die aufgeworfenen Lippen, der schlanke Körper, das Glitzerkleid und diese Bewegungen? Dachten wir nicht, dass Whitney Houston am 11. Februar 2012 mit 48 in Beverly Hills in einer Badewanne ertrunken ist? Die Illusion ist so perfekt wie der Gesang von Ikenna Benéy Amaechi mit einem Stimmvolumen über drei Oktaven. Ikenna bringt mit „Step by step“, „My love is your love“ oder „I wanna Dance with Somebody“ den Saal zum Kochen, singt wie Cecilia Bartoli und Jochen Kowalski zusammen. Und nach ihren Popkoloraturen steht Ikenna vorn an der Rampe, legt den Schalter auf Bassbariton und sagt: „I am a Man.“

Er hätte auch sagen können, dass er ein Berliner ist, denn „früher bin ich immer an diesem Wintergarten, der einmal das Quartier Latin war, vorbeigegangen, wenn ich zur Schule musste – wir haben hier zwei Straßen weiter gewohnt“. Wir, das sind Mutter und Sohn. Ikenna wurde in Berlin geboren, lebte dann als Kind acht Jahre in Nigeria, von wo die Mutter über Ghana mit ihren beiden Jungs an der Hand zurück nach Deutschland kam. Eines Tages wurde ihm Berlin zu klein, kaum war die Realschule zu Ende, saß er schon mit einem One-way-Ticket im Flugzeug nach Gran Canaria, „dem Schwulen-Mekka“. Rannte mit seinem Foto von Hotel zu Hotel, sang ein Lied – und hatte am Ende 14 Zusagen für den nächsten Tag. In Hotels und Clubs, mit Freunden. Der Junge mit der Mädchenstimme wurde eine Attraktion, verbrachte das erste halbe Jahr auf den Kanaren. Aber wenn der Sommer kam, zog es ihn nach Berlin, denn „keine Stadt ist in der warmen Jahreszeit schöner als Berlin mit seinem Grün, den Parks, dem Wasser und den Bäumen“.

Ikenna erzählt das alles und viel mehr im gemütlichen Wintergarten-Bistro, er raucht nicht, trinkt Kaffee, sonst nix, hat zu kleinen Zöpfchen geflochtene schwarze Haare. Sein Gesicht ist feingeschnitten, aber, nein, fotografieren solle man ihn ungeschminkt lieber nicht, er muss und möchte in einer Stunde Whitney Houston sein. Dazu hat er über hundert selbst genähte Perücken und Kleider zur Auswahl, um den weiblichen Teil in sich auszuleben: „Ich bin immer Ikenna, der die Songs von Whitney singt, aber ich bilde mir nicht ein, Whitney zu sein.“ Wenn es auch so aussieht. Die Ähnlichkeit hat Ikenna sogar eine Einladung der berühmten Ivana Trump auf ihre Jacht eingebracht, „ich, in St. Tropez, zwischen den ganzen Millionären, spiele plötzlich in der A-Klasse. Ist das nicht verrückt?“ Sagt er, freut sich, weil er auch dort „den Ikenna aus Berlin-Schöneberg rausblitzen lässt“.

Die Show im Wintergarten läuft bis 9. Februar 2014, am 10. sitzt Ikenna im Flugzeug nach Bangkok, von dort geht es nach Hongkong – mit Kisten voller Klamotten, Schminke und Perücken, „I will always love you“ singt er dann, für seine Mutter in Berlin und für Whitney im Himmel. Und natürlich für sich, den jungen Mann, der jetzt hinter die Bühne schlendert und dann als Frau aus der Kulisse kommt.

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