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Eine Mutter stillt ihre sieben Wochen alte Tochter.

© DPA

Das Wochenbett: Früher war alles schlechter

Im 19. Jahrhundert starb jede sechste Gebärende im Wochenbett. Die Zeit nach der Geburt ist heute nicht mehr so gefährlich, dennoch oft belastend. So können etwa Depressionen auftreten.

Von Heike Gläser

Dass schwangere Frauen die Geburt ihres Kindes nicht überleben, war jahrhundertelang alltägliche Realität. Vor allem das Kindbettfieber bedeutete eine große Gefahr für junge Mütter. Doch Mitte des 19. Jahrhunderts stieg die Sterberate dramatisch an, als Frauen ihre Kinder nicht mehr zu Hause zur Welt brachten, sondern vermehrt im Krankenhaus, von Ärzten betreut. Was zunächst als Fortschritt galt, erwies sich als oftmals tödliches Risiko. Jede sechste Mutter starb damals am Kindbettfieber. Heute liegt diese Quote in entwickelten Nationen bei acht bis zwölf auf 100 000 Geburten.

Dass die hohe Müttersterblichkeit später so drastisch zurückging, ist dem ungarndeutschen Arzt Ignaz Semmelweis zu verdanken. Der Chirurg und Geburtshelfer erkannte, dass eine bessere Hygiene Frauen davor bewahren kann, am Kindbettfieber zu erkranken. Bakterien und Keime sowie die Gefahr, die von ihnen ausging, waren damals unbekannt.

Die Wöchnerinnen starben an Blutvergiftung

Als junger Arzt trat Ignaz Semmelweis 1846 eine Stelle in der Geburtshilfe des Allgemeinen Krankenhauses in Wien an. Dort hatte man zwei Geburtsstationen eingerichtet. In der einen wurden die werdenden Mütter von Hebammen betreut, die es gewohnt waren, bei der Geburt auf Sauberkeit zu achten, in der anderen wurden die Frauen von Medizinstudenten untersucht, die oft zuvor im Seziersaal mit Leichen gearbeitet hatten und danach ihre Hände nicht reinigten. Semmelweis fiel auf, dass wesentlich weniger Frauen im Kindbett starben, die von Hebammen unterstützt wurden, während die schmutzigen Hände der Medizinstudenten bei vielen Wöchnerinnen zu einer Blutvergiftung führten.

Diesen Zusammenhang veröffentlichte Semmelweis in einer Studie und setzte sich mit Nachdruck dafür ein, dass Ärzte und Schwestern ihre Hände sauber halten. Waschen mit Seife allein reiche seiner Ansicht nach nicht aus, um die Hände zu desinfizieren. Semmelweis führte verbindlich die Waschung mit Chlorkalk ein. Innerhalb von zwei Monaten sank die Sterblichkeit der Wöchnerinnen von 20 auf 1,2 Prozent.

Er wird von seinen Kollegen nicht ernst genommen

Später erkennt er, dass neben Leichenbestandteilen auch von den Patienten im Krankenhaus eine Gefahr für die Gebärenden ausgeht. Reste von eitrigen Substanzen zum Beispiel in unzureichend gereinigten Laken können das Kindbettfieber hervorrufen. Als 1861 Semmelweis' Buch „Die Aetiologie, der Begriff und die Prophylaxis des Kindbettfiebers“ erscheint, ist er Professor für Geburtshilfe an der damaligen Universität in Pest, dem heutigen Budapest. Allerdings wird er lange von Kollegen nicht ernst genommen. Heute sind seine Verdienste unbestritten: Ihm gelang es, durch einen streng empirischen Zugang eine äußerst wirkungsvolle Prävention gegen Kindbettfieber zu entwickeln. Zu Lebzeiten wurde Semmelweis für seine Erkenntnisse verspottet, heute gilt er als Pionier der Handdesinfektion und als „Retter der Mütter“.

Die ersten zehn Tage nennt man Frühwochenbett

Trotz aller medizinischen Fortschritte, die Semmelweis angestoßen hatte, ist die Gefahr des Kindbettfiebers – heute häufiger als Wochenbettfieber bezeichnet – immer noch nicht gänzlich gebannt. Das sogenannte Puerperalfieber kann zum Beispiel durch entzündliche Prozesse auftreten: „Ursache kann ein Stau des Wochenflusses, also des Wundsekrets der abheilenden Gebärmutterinnenwand, sein, aber auch ein Milchstau“, sagt Anja Constance Gaca. Sie arbeitet als freiberufliche Hebamme in der Schwangeren- und Wochenbettbetreuung in Prenzlauer Berg. Gaca hat im Jahr 2016 gemeinsam mit der Schauspielerin Loretta Stern auch ein Buch über das Wochenbett veröffentlicht. Hebammen sind nach wie vor nicht nur in der Schwangerenvorsorge und in der Geburtshilfe gefragt, sondern auch in der ersten Phase nach der Geburt. Die ersten zehn Tage bezeichnet man als Frühwochenbett, die gesamte Wochenbettzeit dauert sechs bis acht Wochen. „Die von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierte Wochenbettbetreuung durch die Hebamme umfasst sogar einen Zeitraum von bis zu zwölf Wochen nach der Geburt“, sagt Anja Constance Gaca. Nach ihrer Erfahrung ist diese Phase eine besondere und schützenswerte Zeit, „in der die Mutter die körperlichen und seelischen Umstellungs- und Heilungsprozesse bewältigt und sich die Eltern-Kind-Beziehung intensiviert.“

Eine Geburt ist Schwerstarbeit

Während der Geburt vollbringen Frauen körperliche Höchstleistungen, das ist Schwerstarbeit. Unmittelbar nach einer vaginalen Geburt setzen erste Rückbildungsprozesse ein, die Blutzusammensetzung ändert sich, der gesamte Organismus stellt sich um. Die Gebärmutter, die sich im Laufe der Schwangerschaft um das 20-Fache vergrößert hat, schrumpft sehr rasch nach der Geburt wieder auf circa zehn bis 15 Zentimeter Länge. Die Ablösung von Plazenta und Eihäuten hinterlässt eine große Wunde im Uterus, der Heilungsprozess beginnt damit, dass der Körper die Gewebereste abstößt.

Unmittelbar danach setzt der Wochenfluss ein. Er ist nichts anderes als das Wundsekret der abheilenden Gebärmutterinnenwand, an der die Plazenta saß. Die sogenannten Lochien, wie der Wochenfluss fachsprachlich auch genannt wird, sind in der ersten Zeit nach der Geburt blutrot und heftiger als eine Periodenblutung, nehmen aber Ende der ersten Woche stark ab, verändern Farbe und Konsistenz und hören schließlich ganz auf. Der Wochenfluss wird deshalb auch als „Spiegel der Wundheilung“ bezeichnet.

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Schonung und Entlastung sind wichtig

Neben Geburtsverletzungen wie Dammriss oder -schnitt oder der Wunde durch einen Kaiserschnitt gibt es noch weitere Verletzungen der Geburtswege, die für die Wöchnerinnen sehr schmerzhaft sein können. Auch wenn Frauen die Folgen einer Geburt sehr unterschiedlich wahrnehmen, sind Schonung und Entlastung für alle Wöchnerinnen sehr wichtig. „Gerade der von außen nicht sichtbare Beckenboden wird durch Schwangerschaft und Geburt belastet“, sagt Anja Constance Gaca. „Mehrgebärende spüren die Nachwehen meist intensiver als Frauen, die das erste Kind geboren haben.“

Gaca bietet deshalb im Rahmen ihrer Wochenbettbetreuung auch Rückbildungsgymnastik an, die darauf ausgerichtet ist, die Körpermitte zu kräftigen und zu stabilisieren, gerade weil der Beckenboden und die umliegende Muskulatur zumeist stark überdehnt sind. Dies kann verschiedene Auswirkungen haben – von Rückenschmerzen über Inkontinenz bis hin zu Senkungsbeschwerden oder einem Gebärmuttervorfall.

Häufiges Anlegen stimuliert die Milchbildung

Parallel kommt die Milchbildung in Gang: Am Anfang erhält das Neugeborene kleine Mengen an Kolostrum, auch Erstmilch oder Vormilch genannt. „Das häufige Anlegen in den ersten Tagen stimuliert die für die Milchbildung zuständigen Hormone“, sagt Hebamme Gaca, die auch eine Ausbildung zur Still- und Laktationsberaterin absolviert hat. Da es für eine ausreichende Milchbildung essenziell sei, das Baby häufig und korrekt an die Brust anzulegen, hilft die erfahrene Hebamme den Wöchnerinnen bei Stillschwierigkeiten, die vor allem am Anfang vorkommen. „Die Zusammensetzung der Muttermilch ändert sich in den ersten Tagen und Wochen – vom Kolostrum zur Übergangsmilch bis hin zur sogenannten reifen Frauenmilch“, erklärt die Still-Expertin. „Die sich verändernde Zusammensetzung zum Beispiel im Eiweiß- und Fettgehalt sind genau auf die sich ebenfalls verändernden Bedürfnisse des Säuglings abgestimmt.“ Darüber hinaus erhalte das Baby durch bestimmte Inhaltsstoffe einen enormen immunologischen Schutz.

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Viele Wöchnerinnen empfinden Ängste und Sorgen

Der durcheinander geratene Hormonhaushalt hat auch Auswirkungen auf die psychische Verfassung der Wöchnerin. Der Abfall des während der Schwangerschaft sehr stark erhöhten Östrogen- und Progesteronspiegels ist im Wochenbett rasant, während durch das Stillen gleichzeitig die Konzentration von Prolaktin extrem ansteigt. Sorgen, Ängste, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Schlafschwierigkeiten, Antriebsarmut oder Traurigkeit können zwar zu ganz normalen Empfindungen im Wochenbett gehören, aber auch Symptome einer beginnenden psychischen Krise sein. „Es ist deshalb immer wichtig, dass wir als Hebammen die Gesamtsituation und nicht nur einzelne Symptome im Blick haben“, sagt Anja Constance Gaca.

Psychische Belastungen – man spricht von postpartalen Symptomen – reichen von einem leichten Stimmungstief, das nicht als Krankheitsbild gilt, bis zu postpartalen Depressionen oder gar psychotischen Störungen. „Vom Babyblues, auch Heultage genannt, sind 25 bis 50 Prozent aller Wöchnerinnen betroffen“, weiß Gaca aus Erfahrung. „Der Übergang in eine Wochenbettdepression kann allerdings fließend sein.“ Es gebe aber auch eine positive Wirkung der Hormone: „Oxytocin, das beim Stillen ausgeschüttet wird, reduziert zum Beispiel das Stresshormon Cortisol, wirkt beruhigend und senkt den Blutdruck. Und Prolaktin fördert das Brutpflegeverhalten.“

Frauen haben oft unrealistische Erwartungen

Wie Mütter die physische Trennung vom Kind erleben, sei sehr unterschiedlich, findet Anja Constance Gaca: „Als Hebamme erlebe ich da alle Emotionen von Erleichterung über Dankbarkeit bis Stolz, aber eben auch Traurigkeit oder noch gar nicht einordenbare Gefühle.“

Ihrer Ansicht nach werde heutzutage den Veränderungs- und Umstellungsprozessen oft nicht mehr genug Raum gegeben. Durch mediale Bilder geprägt, hätten Frauen manchmal sehr unrealistische Erwartungen an das Mutterwerden: Das normale Leben gehe einfach weiter, es kommt nur das Baby dazu. „Doch so ist es ja nicht“, sagt sie. „Das Leben wird auf einmal auf den Kopf gestellt und es braucht Zeit, um vom Ausnahmezustand in den Alltag zu finden.“ Die Wochenbettzeit ist eine kostbare Zeit, in der es Mütter langsam angehen lassen sollten.

Zum Weiterlesen: „Das Wochenbett“ von Loretta Stern und Anja Constance Gaca. Kösel Verlag, 176 Seiten. 17 Euro. Diesen und weitere Artikel zu den Themen Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Familie finden Sie im Gesundheitsratgeber „Tagesspiegel Eltern & Kind“. Das Magazin ist für 12,80 Euro erhältlich unter www.tagesspiegel.de/shop oder Tel. 29021-520.

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