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Berlin: „Das Wort Affäre will ich so bald nicht wieder hören“

2011 war für Potsdam ein widersprüchliches Jahr, sagt Jann Jakobs. Der Oberbürgermeister will daraus Lehren ziehen – und gelassener werden.

Herr Jakobs , 2011 ist das erste Jahr Ihrer zweiten Amtszeit – es wird als Jahr der Affären in Potsdams Geschichte eingehen. Wie konnten die Dinge derart aus dem Ruder laufen?

2011 nur auf die Probleme der Stadtwerke oder die Diskussion um Grundstücksverkäufe zu reduzieren, wäre stark verkürzt. Das Potsdamer Jahr 2011 hat zwei Seiten: Auf der einen ist es sehr erfolgreich gewesen. Wir sind mit der Mitte sehr weit vorangekommen, haben Richtfest für den Landtagsneubau gefeiert, es gibt grünes Licht für die neuen Bauten an der Alten Fahrt, und wir haben vom Infrastrukturminister eine Zusage über weitere 8,6 Millionen Euro bis 2015 für die Mitte bekommen. Damit können wir die nötigen Straßenbauarbeiten und den Abriss der Fachhochschule bezahlen. Wir haben pünktlich alle Gelder aus dem Konjunkturpaket II des Bundes verbaut und abgerechnet. Dazu gehören Großprojekte wie die Sanierung des Karl-Liebknecht-Stadions und der Bau der Mehrzweckhalle am Luftschiffhafen. Ich könnte vieles mehr nennen, was auf der Habenseite steht – die positive Wirtschaftsentwicklung, die mit 7,2 Prozent geringste Arbeitslosenquote...

Auf der anderen Seite haben die Stadtwerke-Affäre und der Vorwurf von Ungereimtheiten bei Grundstücksverkäufen das Jahr geprägt.

Das sind Diskussionen, die ich mir gern erspart hätte, insbesondere was die Stadtwerke und die Energie und Wasser Potsdam – also die EWP – angeht. Aber aus einer Krise kann man ja auch lernen. Man kann es durchaus so interpretieren, dass hier jetzt eine notwendige Diskussion erfolgt, die zu produktiven Ergebnissen geführt hat. Vor allem was die Transparenz der städtischen Unternehmen angeht.

Doch noch einmal: Wie konnte es in Potsdam so aus dem Ruder laufen?

Der Eindruck, dass dies geschehen sei, mag ja bei Ihnen entstanden sein. Aber ich finde, man kann die Entwicklung der Stadt nicht auf diese Aspekte reduzieren.

Das tut ja auch niemand.

Aber Ihre Frage hat das impliziert!

Das war nicht die Absicht. Also: Die Stadtwerke-Affäre wird aufgearbeitet, die Transparenzkommission hat ihren Abschlussbericht vorgelegt und fordert einen Neuanfang bei den städtischen Unternehmen.

Nein, so würde ich das nicht sagen. Es geht nicht um einen totalen Neuanfang. Ich gebe zu, dass durch die öffentliche Diskussion der Eindruck entstehen konnte, alles müsse vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Doch so ist es nicht, und da hat auch die Transparenzkommission sehr verantwortlich gearbeitet. Sie hat drei Bereiche bearbeitet – das Sponsoring, die Regeltreue in den städtischen Unternehmen und die Frage, ob wir die Verantwortlichkeiten in den Geschäftsführer-Aufsichtsrats-Konstruktionen verändern müssen. In diesen drei Bereichen wird es Veränderungen geben. Bei der öffentlichen Diskussion hatte man zuweilen den Eindruck, es sei mithilfe krimineller Strategien Geld hin und her geschoben worden. Wir stellen jetzt fest, dass das Sponsoring der Stadtwerke und der EWP nicht unsinnig gewesen ist. Doch es hat an Transparenz gefehlt. Und die stellen wir jetzt her.

Sie sind im neunten Jahr Oberbürgermeister. Ist Ihnen nie aufgefallen, dass die Strukturen der Kommunalunternehmen ungeeignet sind?

Was das Thema Transparenz und Sponsoring angeht: Ja, doch. Das hat dazu geführt, dass wir mit der Anti-Korruptionsorganisation Transparency International schon Gespräche über einen Beitritt Potsdams geführt hatten ...

... das hatten doch die Stadtverordneten zuvor beschlossen, die Verwaltung musste es umsetzen ...

... ja, aber ich habe das aufgegriffen und gesagt, dass es sinnvoll ist, Regeln aufzustellen. Das war keine einfache Diskussion. Durch die Vorgänge bei der EWP hat die Debatte noch einmal eine andere Dynamik bekommen. Aber dass wir da blind gewesen wären, kann man nicht sagen.

Das heißt, Sie hätten sowieso etwas unternommen, auch wenn es die Stadtwerke-Affäre nicht gegeben hätte?

Ja.

Das würden jene, die Sie als Teil des Systems des ehemaligen Stadtwerke-Chefs Paffhausen auffassen, sicher bezweifeln.

Wir haben auch gehört, dass das hier eine Bananenrepublik ist! Diese Vorwürfe und Behauptungen sind Überspanntheiten in der damaligen konkreten Situation gewesen. Bei der Bewertung solcher Vorgänge wie um die Stadtwerke haben alle eine große Verantwortung – sie liegt nicht nur beim Oberbürgermeister, sondern auch bei den Stadtverordneten und teilweise bei der Presse. Man kann über diese Vorfälle, die natürlich kritisierenswert sind, der Stadt auch ein Image verpassen, das sie nicht verdient hat und das langfristig eher Schaden verursacht.

Sie sind früher öfter gefragt worden, wie sehr die prominenten Potsdamer Günther Jauch und Wolfgang Joop die Stadt mitregieren. Jetzt drängt sich die Frage auf, wie sehr Peter Paffhausen mitregiert hat.

Wollen Sie darauf eine Antwort haben?

Ja.

Er war Geschäftsführer der Stadtwerke und der EWP. Nicht mehr und nicht weniger.

Schon zum zweiten Mal musste die Stadt jüngst einen Sportverein vor der Pleite retten – logische Konsequenz des Zusammenbruchs des Systems Paffhausen?

Dem SV Babelsberg 03 hat die EWP offensichtlich ab und an über schwierige finanzielle Situationen geholfen, ohne dass die entsprechenden Gremien damit befasst waren. Insofern hätte es für den Verein ohnehin eine andere Regelung geben müssen. Was den zweiten Verein, den VfL Potsdam, angeht, haben die Diskussionen um die EWP und um Grundstücksvergaben einige Sponsoren in Misskredit gebracht – vollkommen ungerechtfertigt. Diese Leute haben gesagt: Wir machen da nicht mehr mit. Das muss jetzt kompensiert werden.

Im Klartext sagen Sie, dass Theodor Semmelhaack, dessen Unternehmen im Mittelpunkt der Debatten um Grundstücksverkäufe stand, deshalb den VfL Potsdam nicht mehr sponsort und der Verein in Schwierigkeiten geriet.

Das habe ich nicht gesagt. Doch es herrscht eine Atmosphäre, in der jemand, der sich finanziell in Sportvereinen engagieren will, damit rechnen muss, angeprangert zu werden. Da ist eine große Zurückhaltung spürbar.

Es gab Vorwürfe, bei der Privatisierung städtischer Immobilien mit mehr als 1000 Wohnungen vor elf Jahren habe es Unregelmäßigkeiten gegeben. Auch der Fernsehmoderator Günther Jauch hatte Kritik geübt. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Ja. Wir haben uns ausgetauscht. Aber wir haben vereinbart, dazu nichts zu sagen.

Ein Grundstücksgeschäft macht seit einigen Wochen Schlagzeilen: der Fall Bertiniweg. Die Linke will deshalb Ihren Stellvertreter Burkhard Exner abwählen. Sie haben bisher nichts zum Fall gesagt. Warum?

Die jeweiligen Beigeordneten müssen ihre Geschäftsbereiche selbstständig vertreten. Da müssen sie, ein wenig platt ausgedrückt, auch den Kopf hinhalten. Im Fall Burkhard Exner will ich aber sehr deutlich sagen, dass ich bisher keinerlei Hinweise darauf habe, dass es womöglich eine persönliche Intervention gab, diesen Vorgang am Bertiniweg in die eine oder andere Richtung zu bringen. Insoweit gilt es, ihn hier in Schutz zu nehmen.

Der Landtagsneubau hat Richtfest gefeiert. Was haben Sie empfunden, als Sie im Innenhof standen?

Ehrlich gesagt: Ich bin da gar nicht reingekommen, weil so viele Menschen dort waren. Diese Menge zu sehen war mit das Bewegendste, was ich in meiner Amtszeit erlebt habe. Diese große Identifikation der Potsdamer mit der Mitte, dem Schloss. Der Andrang bestätigte die Überzeugung, die ich immer hatte: Es ist egal, wo die Leute wohnen, ob in Drewitz, am Stern, im Bornstedter Feld oder in der Nauener oder Berliner Vorstadt – das Stadtschloss ist der Kristallisations- und Identifikationspunkt.

Potsdam wächst und wächst. Neue Schulen und Kitas kosten Millionen, günstige Wohnungen werden knapper. Ist das Wachstum noch zu bezahlen?

Was das Wohnen angeht, können wir an kleinen Schräubchen drehen, auch mithilfe der kommunalen Pro Potsdam. Aber das hat keine tragenden Effekte. Da hilft nur eins: Das Land muss wieder ein Förderprogramm für Wohnungsneubau auflegen. Die Mittel des Bundes dafür fließen ja ans Land, da muss dann Butter bei die Fische. Allein werden wir es nicht schaffen, für bezahlbare Mieten zu sorgen.

Was haben Sie sich für 2012 vorgenommen?

Ich hoffe, dass wir dieses widersprüchliche Jahr 2011 dazu nutzen können, aus den Vorkommnissen die richtigen Lehren zu ziehen. Und: Ich will gelassener bleiben. Werden.

Welches Wort wollen Sie so schnell nicht wieder hören?

Affäre.

Das Interview führte Sabine Schicketanz

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