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© Uwe Steinert

DDR-Geschichte: Was machen Stasi-Leute heute?

Der Wissensdurst der Besucher in den DDR-Gedenkstätten - wie dem Checkpoint Charlie - ist ungestillt. Besonders für junge Leute ist das, was sie dort sehen, unvorstellbar und unglaublich.

Gisbert Greifzu steht im Museum am Checkpoint Charlie vor drei Ausstellungsstücken: einem blauen Anorak, einem schmutzigen T-Shirt und einer löchrigen Hose. Sie wurde zerfetzt, als während Greifzus Flucht 1984 eine Selbstschussanlage losging und ihn schwer verletzte: Ein halbes Jahr lag er im Krankenhaus – in Westdeutschland: Die Flucht war ihm trotzdem gelungen. Wann immer der 50-Jährige nach Berlin kommt, schaut er am Checkpoint Charlie vorbei und trifft Museumsleiterin Alexandra Hildebrandt. Viele der Zeitzeugen, die ihrem Haus Erinnerungsstücke überlassen haben, halten Kontakt zu der Einrichtung, eine biografisch begründete Kontinuität des Interesses, auf das die Gedenkstätten mittlerweile seltener setzen können. Denn wie sieht es mit den jungen Leuten aus, die keine persönliche Erfahrung mehr mit der Mauer gemacht haben? Und wollen die Besucher insgesamt jetzt andere Dinge wissen als kurz nach der Wende?

Alexandra Hildebrandt findet nicht, dass sich die Fragen verändert haben: „Was wir hier zeigen, ist für die meisten nach wie vor unvorstellbar und unglaublich.“ Zum Beispiel, dass ein Staat Selbstschussanlagen aufstellte und verzweifelte Bürger dazu trieb, einen Fluchtversuch per Heißluftballon zu starten.

Erhebliche Veränderungen der Besucherfragen zur Mauer stellt dagegen Manfred Fischer fest. „Nach der Wende wollten viele wissen, wo sie noch ein Stück Mauer mitnehmen können“, sagt der geschäftsführende Vorstand des Vereins Berliner Mauer, der die Gedenkstätte an der Bernauer Straße betreut. Damals seien viele gekommen, um sich ein Erinnerungsstück aus dem Mauerrest herauszupicken. Heute dagegen werde in der Gedenkstätte oft gefragt, wie die Mauer überhaupt ausgesehen habe. Während es in den Anfangsjahren stark umstritten war, dass an der Bernauer Straße etwas Mauer stehen gelassen wurde, seien die meisten Menschen jetzt froh darüber.

Gar nicht so sehr verändert haben sich dagegen die Fragen im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Regelmäßige Führungen gibt es dort seit 1994. „Heute muss man eben mehr erklären“, sagt Hubertus Knabe, Direktor der Gedenkstätte. Nach der Wende hätten die Besucher gefragt, wie viele Menschen in Hohenschönhausen in Haft gewesen seien und was die Stasi mit ihnen gemacht habe. „Jetzt wollen viele wissen, was die Nachbarn dazu gesagt haben und was die Vernehmer heute machen“, berichtet Knabe. „Damals war die Erinnerung noch sehr frisch und der Zorn der Besucher bei jeder Führung spürbar.“ Bei denen, die zu DDR-Zeiten persönlich unter der Stasi gelitten hatten, habe es regelrechte Gefühlsausbrüche gegeben.

Die Besucher wollten in diesen Jahren „den Schleier des Geheimnisses“ lüften, der über der ehemaligen Haftanstalt gelegen habe. Gekommen seien vor allem Ostdeutsche und Berliner. In den letzten Jahren habe die Zahl der Schüler zugenommen, die heute die Hälfte der Besucher ausmachen – Jugendliche, viele aus Westdeutschland, die die deutsche Teilung nicht mehr selbst erlebt haben, bei denen man ganz von vorne anfangen müsse.

„Die kommen oft völlig unbeleckt und ein bisschen gelangweilt“, sagt Knabe. Doch den Zeitzeugen gelinge es, die Schüler für die Gefängnisgeschichte zu interessieren. Die Ex-Häftlinge gingen mit ihrem Schicksal dosiert um und schafften es, Freundlichkeit statt Verbitterung auszustrahlen. Viele Teenager schrieben hinterher Dankesbriefe. Vielleicht verzeichnet das Gefängnis ja deshalb einen neuen Rekord: Bis Ende Dezember werden in diesem Jahr 250 000 Menschen dort gewesen sein, 42 000 Menschen mehr als 2007.Rita Nikolow

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