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Rausgehen, einschreiten, unsere Straßen und Plätze gegen Gewalt von unten und oben verteidigen? Oder wegziehen?

© Doris Spiekermann-Klaas

Dealer und Makler: Klassenkampf in Friedrichshain

Lange schien es, der Stadtteil könne die Widersprüche Berlins auflösen: arm sein und sexy, original und originell. Doch nun wird die dortige Mittelschicht zum Opfer ihrer eigenen Toleranz. Da bleibt wohl nur der Exodus.

Ich wusste, dass es gegen die Kiez-Etikette verstößt, in unserem liberalen Stadtteil, dessen Bewohner so stolz darauf sind, dass hier wirklich jeder nach seiner Façon wüten kann. Doch ich tat es trotzdem: Ich wählte 110. Es war beim Anblick der saufenden Dealer-Truppe, die diesen Platz in der Nähe meiner Wohnung besetzt. Als eines Tages so viele Kunden dort anstanden, als wäre Schlussverkauf, dachte ich: Schluss mit Occupy! Das ist auch mein Kiez. Und wieder rief ich die Polizei, als ich sah, wie grölende Fans der Punkband Pöbel & Gesocks Flaschen auf Autos schleuderten und ein Dixi-Klo der Bauarbeiter umwarfen.

Kurz schämte ich mich wie Judas für die Anrufe, dann fühlte ich Befreiung von dem Druck, immer tolerant zu müssen. Auch wenn es nichts half: Als die Polizei zu den Dealern kam, hingen da nur noch ein paar Kiffer herum. Und bei den Punks stiegen die Beamten gar nicht erst aus dem Wagen. Zwar wisse man, dass hier auch mit harten Drogen gedealt werde, erklärte ein Polizist später. Aber a) habe man nicht die Ressourcen, hier Beweise dafür zu sammeln, und b) sei das politisch im Bezirk auch nicht gewollt. Das bestätigten Ordnungsamtsmitarbeiter. Aus Angst vor Schlägen würden sie sich auf die Parkraumbewirtschaftung beschränken.

Friedrichshain: Dieser Stadtteil galt für viele Zugezogene (fast) aller Schichten und Nationalitäten vor 15 Jahren, aber auch noch vor fünf, als gute Alternative zum überhippen Mitte und dem angeblich schon versnobten Prenzlauer Berg. Hier schien das Verhältnis aus originellem und originalem Berlin noch zu stimmen: Punk neben Omi, Studi neben Wurstfachverkäuferin – klar, alle lebten aneinander vorbei, das aber doch insgesamt konfliktfrei genug, so dass viele Junge blieben und Familien gründeten. So wie ich.

Doch nun kippt die Stimmung, wie gebürtige Friedrichshainer bestätigen. Vom Kneipenwirt bis zur Friseurin, viele sagen, dass Friedrichshain „zu Ostzeiten“ mit seinen Arbeiteraltbauwohnungen ohne Klos und mit Kohlenheizungen zwar „irgendwie assi“ gewesen sei, seit der Wende aber seine besten Jahre erlebt habe. Nun träfen immer mehr Trinker auf immer mehr Kinderwagen-Muttis, immer mehr Arme auf Reiche, Party-Touristen auf alle anderen. An einem Ort, wo jeder zu Hause ist, fühlt sich niemand mehr daheim.

Die Mittelschicht muss sich wehren - oder wegziehen

Kevin P. Hoffmann
Kevin P. Hoffmann

© Doris Spiekermann-Klaas

Wir Bewohner und unsere Vertreter in der Bezirksverwaltung unter dem blassen Grünen Franz Schulz sind Opfer der eigenen Toleranz: Drogenhändler, Spielplatzpinkler, Kampfhundführer werden oft als Bereicherung dieses „Ortes der Vielfalt“ begriffen, zu dem die Bundesregierung den Bezirk 2008 erklärt hat. Zugleich ist er Opfer der Finanzkrise: Investoren nutzen die Billigkreditlage, um die letzten Baulücken mit hochwertigen Neubauten zu schließen. Betonmischer poltern durch den Kiez – und erste Geländewagen mit abgedunkelten Scheiben. Mieten steigen. So vernichtet Geld Rückzugsräume gerade für die kleinen Leute, wie Grünflächen und Eckkneipen. Auch das ist Gewalt.

Wenn Oberschicht so auf Unterschicht trifft, bleibt dazwischen kein Platz mehr für die junge Mittelklasse, die die Stütze des lokalen Einzelhandels und der Gastronomie ist. Zieht sie weiter, bleiben dem deindustrialisierten Stadtteil nur die Firmen entlang der Mediaspree. Das einzig Gute an der Gentrifizierung Friedrichshainer Prägung ist, dass der Stadtteil mit seiner moderaten Ausländerquote von 13,5 Prozent (Kreuzberg: fast 29) kaum anfällig ist für simple Botschaften eines Buschkowsky oder Sarrazin. Hier könnten konstruktive Ideen eine Chance haben. Nur „mehr Polizei“ ist keine. Die schlechte Nachricht ist, dass die Bezirksverwaltung unter Schulz den Ortsteil offenbar für ein Biotop hält, in das man nicht eingreifen darf. Und dass der Senat glaubt, mit dem Bau sozialer Wohnungen in Nachbarbezirken ließe sich der Konflikt lösen.

Wir Friedrichshainer, egal woher wir kommen, sollten nicht auf die Politik oder gar die Polizei warten. Wir sollten aufhören, Hundekot, Glasscherben und Gepöbel als künstlerische Ausdrucksform zu begreifen. Wir können rausgehen, einschreiten, unsere Straßen und Plätze gegen Gewalt von unten und oben verteidigen. Oder wegziehen. Dann aber geht ein einst liebenswertes Stück Berlin kaputt.

Dealer und Makler: Wo wirklich jeder zu Hause ist, fühlt sich niemand mehr daheim.

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