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Legitimer Protest. Aber andere Meinungen sind möglich.

© dpa

Debatte um Andrej Holm: Linke, hört auf so zu rechten!

Andrej Holm, ein Opfer der Lügenpresse? Liebe Gentrifizierungskritiker, ihr redet wie die AfD. Besinnt euch bitte auf die Tugenden der Berliner Diskussionskultur: Menschlichkeit, Faktentreue, Respekt vor dem Gegner.

Wie bitte? Ob „wir“ bei der bürgerlichen Presse jetzt zufrieden sind? Nachdem wir den Linken-Politiker und Aktivisten Andrej Holm „erfolgreich“ aus dem Amt des Staatssekretärs für Wohnen und auch aus seiner Anstellung bei der Humboldt-Uni „gemobbt“ haben? Im Auftrag der Immobilienwirtschaft, damit sich das mit ihr verfilzte Establishment weiter an Berlin bereichern kann?

Stopp, bitte sofort aufhören mit diesem Verschwörungsmist! Wir sind hier nicht bei Pegida unterm Sofa, sondern in Berlin, dem progressiven Labor für Dialog und Akzeptanz. Hier zählen gute Recherche und das bessere Argument, hier retweetet man keine Behauptungen, hier sagt keiner „Lügenpresse“.

Seit der Holm-Affäre aber eben doch, weil: Geht ja von links unten gegen „die da oben“, das fiese Kartell aus Volksparteien, Kapitalisten und Mainstreammedien. Da ist natürlich alles erlaubt. Oder?

Das ist so schade! Denn: Wir haben die Chance, besser zu sein! Besser als die Hetzer, die missliebige Ansichten durch Verzerren und Weglassen entstellen. Die relative Übersichtlichkeit einer Stadt wie Berlin ist kein perfekter, aber ein guter Schutz vor Gerüchten und Geraune. Hinzu kommt: Die meisten Teilnehmer am hiesigen Diskurs sind es gewohnt, dass Mitmenschen einen anderen biografischen und kulturellen Hintergrund und auch andere Maßstäbe haben als sie selbst. Damit zum ersten von fünf Debattengrundsätzen nach Holm, die ich hiermit vorschlage:

1. Persönliche Normen sind kein Allgemeingut.
Wenn hier jemand eine jugendliche Stasi-Episode nebst anschließendem karrieristischen Verschweigen für vergleichsweise lässlich hält, gar mit guten Argumenten und plausiblen Referenzen, ist das sein gutes Recht! Nicht okay dagegen ist es, anderen, die anders werten, niedere Motive zu unterstellen.

2. Vermutungen sind keine Fakten.
Wenn jemand das Gefühl hat, ein anderer verschweige seine wahren Absichten, dann muss er, sorry, den Nachweis führen. Und nein, dass eine Zeitung Immobilienanzeigen druckt, beweist nicht, dass ihre Redaktion von der Immobilienwirtschaft gelenkt wird.

3. Vorsicht mit Vergleichen!
Warum IMMER wir? Fragen oft die, die öffentlich in der Kritik stehen. Doch können sie das beurteilen? Was sind vergleichbare Fälle auf der „anderen“ Seite? Wer hat sie wirklich aufmerksam verfolgt? Ist etwa die Plagiatsaffäre um den 2012 entzogenen Doktortitel des CDU-Fraktionsvorsitzenden Florian Graf tatsächlich auf Augenhöhe mit Andrej Holms Stasi-Vergangenheit? Wurde damals zu wenig berichtet? Hatte es damals und hat es heute zu wenig Konsequenzen? Wer trägt daran die Schuld – die Berichterstattung oder die politisch Verantwortlichen? Und was die Karrieren alter Nazis in der alten Bundesrepublik angeht: Dass die heute so nicht mehr möglich wären, ist hoffentlich Konsens.

4. Neue Fragen brauchen neue Antworten.
Wer bis heute behauptet, es gehe im Fall Holm allein darum, dass ein 18-Jähriger fünf Wochen bei der Stasi war, hat nicht zugehört. Auch die gebetsmühlenartige Wiederholung, wie vorbildlich offen dessen Umgang mit der eigenen Vergangenheit sei, wirkt zunehmend seltsam, wenn sie Holms verstockte Reaktion auf neue Fragen und Kritik außer Acht lässt.

5. Bitte keine Äpfel mit Birnen aufwiegen!
Wie bitte, einer darf nicht über eine Stasi-Affäre stolpern, weil er die Berliner Wohnungspolitik zum Besseren verändern könnte? Das ist in etwa, als würde der US-Präsident seine Minister für moralisch unantastbar erklären, weil sie im Beruf erfolgreich sind. Dass davon abgesehen das Urteil über die Bedeutung einzelner Stasi-Verwicklungen natürlich unterschiedlich ausfallen kann: siehe Punkt 1.

So weit erst mal. Ganz wichtig noch: Natürlich ist nicht jede Parteinahme pro Holm, nicht jede Kritik an der Verhältnismäßigkeit der Holm-Kritik unfair. Wäre ja noch schöner, „wir“ begäben uns beim Kritisieren auf das Niveau, das hier kritisiert wurde.

Dieser Text erschien am 21. Januar 2017 als Rant in der gedruckten Tagesspiegel-Beilage Mehr Berlin.

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