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Desinfizieren ist Pflicht - die Hände am besten 90 Sekunden lang mit dem Mittel einreiben.

© Weigel/dpa

Debatte um Keime: Mehr als 500 Berliner seit 2009 nach Krankenhausinfektion gestorben

534 Berliner sind seit 2009 an Infektionen gestorben, die sie sich in einem Krankenhaus zugezogen haben. Fachleute debattieren mal wieder darüber, was getan werden kann.

Vielleicht weil eben viele Klinikmanager, Ärzte und Pflegekräfte die Lage sowieso immer ernster nehmen, weil sich auf den Krankenstationen viel verbessert hat, wirken die Profis in diesen Tagen fast ratlos. Kürzlich wurde bekannt, dass seit 2009 in Berliner Kliniken 3482 meldepflichtige Infektionen erfasst worden sind – hervorgerufen durch im Krankenhaus erworbene Keime. Infolge dieser Infektionen sind 534 Patienten gestorben. Dies geht aus einer Antwort der Senatsgesundheitsverwaltung auf Anfrage des CDU-Abgeordneten Florian Graf hervor.

Dass in Kliniken eben Kranke liegen, darunter solche mit ansteckenden Keimen, ist so offenkundig wie, dass diese Patienten von draußen womöglich nicht ganz gesunden Besuch bekommen. Auch dass Erreger zunehmend gegen Antibiotika resistent sind, ist bekannt. Denn Natur funktioniert als Prozess, immer mehr Bakterien passen sich immer öfter verwendeten Gegenmitteln an. Dass ist nicht nur für Kliniken, sondern auch für Praxen und insbesondere Pflegeheime ein Risiko. Für gesunde, junge Patienten sind die meisten Klinikkeime kaum gefährlich. Geschwächte, ältere Patienten jedoch können an den multiresistenten Erregern sterben, wenn diese zu Wundinfektionen, Blutvergiftungen, Lungenentzündungen führen. Was also tun?

Berliner Ärztekammer-Chef für mehr Fachkräfte

Hygiene, sagt Günther Jonitz, sei immer auch eine Frage der eingesetzten Fachkräfte. Und in deutschen Kliniken gebe es wegen der knappen Finanzierung zu wenige davon. Deshalb fordert der Präsident der Berliner Ärztekammer die Zahl der Pflegekräfte zu erhöhen. Eine Initiative für ein Volksbegehren für mehr Klinikpersonal hatte dem Senat dazu vor einigen Tagen 47 500 Unterschriften vorgelegt. Auch Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD), ja selbst die Bundesregierung möchte mehr Personal, schließlich sind auf Stationen in Nordamerika und vielen Staaten Westeuropas mehr Pflegekräfte pro Patient im Einsatz als in Deutschland. Noch aber steht nicht fest, ob der in der Bundespolitik diskutierte Zuwachs deutlich sein wird.

Auch in Berlin wird viel gegen Keime in Krankenhäusern getan. Auf dem Bild hält ein Arzt in Bayern seine Hände mit fluoreszierendem Desinfektionsmittel unter Schwarzlicht.
Auch in Berlin wird viel gegen Keime in Krankenhäusern getan. Auf dem Bild hält ein Arzt in Bayern seine Hände mit fluoreszierendem Desinfektionsmittel unter Schwarzlicht.

© Weigel/dpa

Es gebe in Berlin immerhin keinen Anstieg der Infektionszahlen, hatte die Verwaltung von Senatorin Kolat nach Grafs Anfrage mitgeteilt, hingegen gewachsene Aufmerksamkeit für solche Infektionen. Einen „Aktionsplan Krankenhaushygiene“ wolle man zum Jahresende vorstellen. Die Krankenhäuser hätten ohnehin ein „ureigenes Interesse“ daran, Infektionen zu vermeiden, sagte Wolfgang Albers, schon weil die Behandlungen infizierter Patienten viel Geld koste. Linken-Politiker Albers, der Chef des Gesundheitsausschusses im Abgeordnetenhaus ist, wies darauf hin, dass Kliniken offene Häuser seien. Selbst wenn jede Hygienevorschrift penibel eingehalten werde, blieben Besucher eine Gefahrenquelle – an jedem Schuh, an jeder Hose transportierten sie Keime. Absolute Sicherheit gebe es nur in abgeschotteten High-Tech-Laboren. Albers sieht zudem die Agrarindustrie in der Pflicht, dort würden multiresistente Keime massenhaft erzeugt. Erst vor einigen Monaten wurden in der Nähe norddeutscher Tiermastbetriebe solche Keime in Badegewässern nachgewiesen, Folge einer mit enormem Antibiotikaeinsatz betriebenen Landwirtschaft.

Trotz der aufgeworfenen Punkte müssten sich auch Klinikmanager fragen, ob sie die Hygienevorschriften so umsetzten, wie es heute schon möglich und nötig sei, sagte die Berliner Barmer-Chefin Gabriela Leyh. Wer über zu hohe Kosten wegen eingehaltener, personalintensiver Hygienevorschriften klage, solle dies transparent machen: Die Kliniken könnten den Krankenkassen darlegen, welche Maßnahme wie viel koste – schließlich spreche man regelmäßig über die Vergütungen. Die Höhe der Fallpauschalen, mit denen die Kassen die Arbeit am Patienten bezahlen, werden je Bundesland zwischen Krankenhausgesellschaften und Versicherungen ausgehandelt.

Einheitliche Hygiene-Standards fehlen noch

Der für die erwähnte CDU-Anfrage betrachtete Zeitraum reicht bis 2009 zurück. Noch bis Sommer 2012 galt in Berlin eine Hygieneverordnung des Jahres 2006, die schließlich als unzureichend eingestuft worden ist. Der 2012 amtierende Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) hatte eine neue Verordnung erlassen. Seitdem muss der Einsatz von Antibiotika in den Krankenhäusern besser gesteuert werden, eben weil sich erst durch deren massenhaften Gebrauch viele Erreger zu multiresistenten Keimen entwickelt haben. Für die Krankenhäuser hatte die neue Verordnung auch personelle Konsequenzen. Zuvor mussten Kliniken mit mehr als 450 Betten einen eigenen Haushygieniker beschäftigen, seitdem auch Einrichtungen mit 400 Betten.

Die Versicherungen legten 2015 nach, damals sagte die Berliner Chefin der Techniker Krankenkasse: Es sei nicht nachvollziehbar, dass in der gemeinsamen Gesundheitsregion mit Brandenburg unterschiedliche Maßstäbe beim Patientenschutz bestünden. In Brandenburg gelte etwa ein anderer Umgang mit Risikopatienten – so erkrankten Senioren oder Reisenden aus bestimmten Ländern. Inwiefern die Hygieneregeln zwischen den Ländern inzwischen abgestimmt werden, war am Freitag unklar. Die Krankenhaushygiene in Berlin wird hoheitlich von den Gesundheitsämtern der Bezirke kontrolliert. In einigen Bezirken gibt es jährliche, in anderen anlassbezogene Kontrollen.

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