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Ärzte raten vom Ohrlochstechen vor dem Schulalter ab.

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Debatte ums Kindeswohl: Hauen und Stechen ums Ohrläppchen

Nach einer Schmerzensgeldklage läuft die Debatte: Ab welchem Alter ist es zumutbar, einem Kind Ohrlöcher zu stechen? Berlins Gesundheitsstaatssekretärin Demirbüken-Wegner sagt: "Der Staat soll sich aus diesem Thema heraushalten."

Berlins Gesundheitsstaatssekretärin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) erklärt zum Streit ums Ohrlochstechen klipp und klar: „Der Staat soll sich aus diesem Thema heraushalten.“ Alleine die Kompetenz und das Engagement der Eltern seien hier gefragt. „Das sage ich als Politikerin und Mutter zweier Töchter von sechs und acht Jahren“, sagt Demirbüken-Wegner. Eine untere Altersgrenze lehnt sie ab, bis zu der nicht gestochen werden darf. Ganz anders sieht das Berlins neuer Beauftragter für Kinder- und Jugendschutz, Detlef Kolbow. „Auf keinen Fall sollte man Kindern unter sechs Jahren Ohrlöcher stechen“, sagte er. Kolbow wurde in der vergangenen Woche von Staatssekretärin Demirbüken-Wegner in sein Amt bei der Senatsgesundheitsverwaltung eingeführt.

Beide nahmen am Sonntag gegenüber dem Tagesspiegel Stellung zur jüngst entfachten Debatte ums Ohrlochstechen unter Berliner Eltern, Juristen und Kinderschutzexperten. Anlass ist die Klage eines Lichtenberger Elternpaares, das wie berichtet von einem Tattoo-Studio Schmerzensgeld fordert, weil dieses angeblich seiner dreijährigen Tochter beim Stechen wehgetan hat. Am Freitag verhandelt das Amtsgericht mündlich über die Klage der Eltern, die ihrem Kind zum dritten Geburtstag auf dessen Wunsch hin Ohrlöcher stechen ließen. Doch der Freude folgten Tränen wegen des Schmerzes, außerdem sei das Loch an der falschen Stelle gestochen worden, so der Vorwurf.

Der Richter drehte nach dem Eingang der Klage allerdings die Stoßrichtung überraschend um: Er will auch prüfen, ob die Eltern überhaupt ihr Einverständnis hätten geben dürfen, also die Einwilligung bei einem derart kleinen Kind noch vom Elternrecht gedeckt ist. Oder ob sich die Kläger schuldig machten, weil sie das eventuell höher zu bewertende Kindeswohl und das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit missachteten. Letztlich geht es um die Frage, bis zu welchem Alter traumatische und gesundheitsschädliche Folgen bei kleineren Kindern drohen. Dem Vernehmen nach will auch der Rechtsausschuss des Bundestages nun diskutieren, ob eine Altersgrenze zu ziehen ist. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass dazu die Ansichten quer durch die Parteien und Fachwelt geteilt sind.

Hals-Nasen-Ohren-Ärzte (HNO), Juweliere und Piercing- sowie Tattoo-Studios, die in Berlin Ohrlöcher stechen, setzen derzeit von sich aus unterschiedliche Grenzen. „Eine Altersuntergrenze gibt es bei uns nicht“, sagt Joachim Dünkelmann vom Bundesverband der Juweliere. Die Eltern müssten selber beurteilen, ob sie ihrem Kind den Eingriff zumuten wollen. Allerdings würden Ohrlöcher nur mit Einwilligung und im Beisein eines Erziehungsberechtigten gestochen. Erst ab dem 16. Lebensjahr reiche die schriftliche Einwilligung der Eltern aus.

Einige Piercer haben sich weit striktere interne Regelungen gegeben. Die Europäische Vereinigung für professionelle Piercings (EAPP) etwa, die in Deutschland, Österreich und den Niederlanden 220 Studios vertritt, erlaubt Ohrlöcher erst ab dem 14. Lebensjahr und nur mit Einwilligung der Eltern. „Bei Jüngeren wäre es eine Verletzung der Fürsorgepflicht“, meint Vorsitzende Martina Lehnhoff. Sie hält daher die gängige Praxis in Juweliergeschäften für fragwürdig.

Berliner HNO- Ärzte raten in der Regel vom Stich ins Ohrläppchen vor dem Schulalter ab. Wer eine empfindliche Haut habe oder zu allergischen Reaktionen neige, solle sich zuvor ärztlich beraten lassen. Ebenso wie der Kinder-und Jugendschutzbeauftragte Detlef Kolbow warnen die Mediziner bei Jüngeren vor dem Risiko, dass an der Einstichstelle mit schmutzigen Fingern herumgespielt wird und so Entzündungen entstehen. Auch bei Kindern, die gerade Schwimmen lernen, sollte man wegen des Chlorwassers zurückhaltend sein. „Es gibt keinen Grund, einer Dreijährigen ein Loch ins Ohr zu stechen“, sagt auch die Geschäftsführerin des Berliner Kinderschutzbundes, Sabine Walther.

Aus Sicht von Gesundheitsstaatssekretärin Emine Demirbüken-Wegner geht das an der Realität des Familienalltages vorbei. „Meine Tochter hat mit vier Jahren kategorisch erklärt, ,Ich will schön sein und Ohrringe tragen‘“, sagt sie. Also habe sie „zig Juweliere vorher angeguckt“ und das Kind „intensiv betreut“ – von den Ohrsteckern, die wochenlang drin bleiben müssen, bis zur Info für die Kita.

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