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Meinungssiegerin. Nita Rao aus Australien argumentierte weltmeisterlich.

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Debattierkunst: Streiten als Sport

Wer ist der beste Debattierer? 800 Studenten redeten sich jetzt in Berlin um den Titel. Inzwischen gibt es mehr als 70 Klubs an deutschen Universitäten

„Würden Sie einen Mann zwingen, mit seinem Nachbarn an einem Tisch zu sitzen, nachdem der seine Frau verführt hat?“ Acht aufgebrachte junge Menschen recken auf der Bühne ihre Zeigefinger. Eigentlich diskutieren sie, ob religiöse Gemeinschaften Querdenker rausschmeißen dürfen, doch sie schweifen ab. Vor ihnen im Saal des Hotel Maritim sitzen hunderte Menschen, gekleidet wie für ihren Abschlussball. Neun schwere Kronleuchter hängen, im Stakkato vorgetragene Argumente schweben in der Luft. Argumente von 800 Jungakademikern aus Tadschikistan oder Tasmanien, vorgetragen beim Finale der Weltmeisterschaften im studentischen Debattieren.

Die Streitgespräche folgen festen Regeln: Vier Diskutanten vertreten die Regierung, vier die Opposition. Je sieben Minuten Zeit haben sie im fiktiven Parlament, um die Jury zu überzeugen. Zwischenrufen darf nur, wer vom Redner drangenommen wird. „Antworte mal“, sagt der Anzugträger, der gerade eine Zwischenfrage zum Thema Tisch und Nachbar zugelassen hat. „Mache ich“, ruft seine Gegnerin, doch sie bekommt keine Chance. „Nein, doch nicht“, sagt der Redner und wasserfallt einfach weiter. Am Ende gewinnt ein gemischtes Doppel aus Australien in der Königsdisziplin „Englische Muttersprachler“.

Von den elf deutschen Teams haben es nur die Freiburger Johannes Smalenski und Jannis Limperg ins Finale geschafft, in der Kategorie „Englisch als Fremdsprache“. Smalenski, 27, grauer Anzug, Studiengang Volkswirtschaftslehre, sagt nach dem Finale: „Wir haben schon versucht unser Bestes zu geben, glaube ich.“ Schulterzucken. Nach Rampensau sehen die beiden nicht aus. „Das ist egal, nur die Argumente zählen“, sagt Limperg, 19, angehender Informatiker, im Polo-Dress. In ihrem letzten Kampf mussten die beiden erklären, warum alle von der USA als einziger Supermacht profitieren. Doch es gewannen zwei Portugiesen mit einem Plädoyer für eine multipolare Welt.

Debattieren ist im Grunde perfektes Opportunisten-Training, „man kriegt die Thesen ja vorgegeben“, sagt Smalenski. Er mag Oskar Lafontaine und Gregor Gysi als Redner – aber nur als Redner, beeilt er sich zu betonen. „Politisch ist unser Diskussionsklub natürlich neutral.“ Mittlerweile gibt es mehr als 70 Klubs an deutschen Universitäten, und das obwohl die Szene erst seit einem Jahrzehnt existiert. „Nur die wenigsten wollen Politiker werden, es ist eher Persönlichkeitsbildung“, sagt Limperg.

Das sehen nicht alle so. Das Mutterland der Debattierkunst, England, gibt mit seinem Konfrontationsparlament den Takt vor. Britische Teilnehmer berichten enthusiastisch von ihren politischen Ambitionen. Und davon, dass die große Party gestern Abend mit ihren Drinks ein Dutzend Debattierer ins Krankenhaus gebracht hat.

Unter den Zweitsprachlern, jenen, die Englisch zwar nicht als Muttersprache sprechen, aber einen besonderen Bezug dazu haben, triumphieren Ratib Ali und Aaqib Hoassain aus Bangladesch. „Es ist ein Vorteil, von weit weg zu kommen und gegen die westliche Standards anzureden“, sagt Ali, der in traditionellem Gewand und mit hitzigen Wortkaskaden den Sieg geholt und seinen Bühnenbeitrag selbstbewusst mit „We should win“ beendet hat. Im Unterschied zu politischen TV-Debatten läuft das Profi-Debattieren ohne Moderatoren und ohne Statistiken und Zahlen ab. Ali sagt: „Es war eine Menge Energie drin. Für uns ist es ein Sport.“ Nik Afanasjew

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