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Berlin: Dem Esel Beine machen

Norbert Winkelmann hat eine Marktlücke gefüllt: Der 40-Jährige hat den mobilen Pannendienst „Radambulanz“ gegründet

Es dauert einen Moment, bis Norbert Winkelmann einen Parkplatz für seine sperrige Fuhre gefunden hat. Dann klingelt er bei der Kundin, die ihn in diese Moabiter Nebenstraße bestellt hat. Im Hof steht ihr altweißes Stadtfahrrad, ein trauriger Anblick: mit durchhängender Kette, einer Rostschicht auf dem Gepäckträger, einem Platten hinten und einer Acht im Vorderrad. Sieht nach einem größeren Einsatz aus. Winkelmann entfaltet den Anhänger. „Radambulanz“ steht auf der orangefarbenen Kiste, in der sich das Inventar eines kleinen Fahrradladens befindet: Reifen, Schläuche, Speichen, Schrauben, Lampen, Ketten, Griffe, Zahnkränze…

Winkelmann ist 40 und hat außer dem Abitur und einem abgebrochenen Slawistik-Studium keine Qualifikationen, die einen Personalchef überzeugen könnten. Aber von Fahrrädern versteht er genug, um mit seinem mobilen Pannendienst eine Marktlücke zu füllen. Vor gut einem Jahr hat er die Radambulanz erfunden und den Anhänger gezimmert. Marion Šasivari, die Kundin, hat einen Aufkleber mit seiner Telefonnummer an einem Fahrradständer entdeckt. Sie geht erst mal zur Post, während Winkelmann ihr Rad zerlegt. Die eingefahrene Schraube aus dem Hinterreifen lässt sich leicht herausdrehen, aber der Schlauch ist nicht zu retten. Also kommt ein neuer rein. Winkelmann stellt gleich noch die ausgeleierten Speichen nach, von denen prompt zwei reißen, was unter der dicken Dreckschicht nicht gleich zu sehen ist.

Winkelmann ist Kummer gewöhnt, er mag seinen Job – auch wenn er bisher nicht wirklich davon leben kann. Aber allmählich spricht sich herum, dass er an jeden Punkt in die Innenstadt kommt und Fahrräder in aller Regel an Ort und Stelle wieder flott macht. Für hoffnungslose Fälle hat er eine Transportschiene auf seinem Anhänger, um den Patienten mitzunehmen. Die meisten Leute buchen ihn zwei, drei Tage im Voraus. Manchmal rufen sie auch spontan an, wenn sie liegen bleiben, wie neulich der Fahrradkurier. Aber dem war selbst eine halbe Stunde Wartezeit zu lang.

Nach einer Stunde hat Winkelmann im Moabiter Hof beide Räder zentriert, die Kette gewechselt, die Bremsen und ein paar Schrauben nachgezogen. Aber vorsichtig, denn bei einem 20 Jahre alten Billigrad gilt an jedem Gewinde die Bastlerweisheit: Nach lose kommt fest und nach fest kommt ab. „Das Licht war eigentlich das Einzige, was noch funktioniert hat“, sagt Frau Šasivari. Frau Šasivari dreht eine Proberunde. Der Dynamo rumpelt. Deshalb bietet Winkelmann ihr ein besseres Modell für 18 Euro an: „Aber nur, wenn Sie wollen und oft im Dunkeln fahren.“ Andere hätten wohl den neuen Dynamo angebaut, ohne zu fragen, aber Winkelmann ist eher Bastler als Geschäftsmann. Die Rechnung erstellt er im Kopf: Anfahrt plus eineinhalb Stunden Arbeit plus Kette plus Speichen plus Schlauch ... „macht 50 Euro“. Frau Šasivari dankt, zahlt und zeigt Winkelmann den Wasserhahn. Handwaschpaste hat er selber im Anhänger. Die braucht er bei jedem Einsatz.

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